Rieser Nachrichten

Der Mann nach den Castros

Miguel Díaz-Canel war bisher vor allem ein hölzern wirkender Parteifunk­tionär. Das Volk kennt ihn allerdings auch von einer anderen Seite. Nun regiert er das Land

- VON SANDRA WEISS

Havanna Seit sechs Jahren taucht sein silbergrau­er Haarschopf regelmäßig in den kubanische­n Staatsmedi­en auf. Präsident Raúl Castro delegierte an seinen Vize immer häufiger öffentlich­e Auftritte – und für die im Kaffeesatz­lesen geübten Kubaner war klar: Miguel Díaz-Canel ist der Auserwählt­e, der die Macht von den Castros erben würde.

Am heutigen Freitag wird der große, verschloss­en wirkende Ingenieur mit den durchdring­enden grüngrauen Augen 58 Jahre alt, am Donnerstag wählte ihn das Parlament mit 603 von 604 Stimmen erwartungs­gemäß zum neuen Staatspräs­identen Kubas und damit zum Nachfolger von Raúl Castro. Ab 2021 soll er zusätzlich auch die Partei führen. Es ist die Krönung einer langen Parteikarr­iere. Aber auch ein vergiftete­s Geschenk, denn die Insel steht vor großen Herausford­erungen, die Díaz-Canel ohne eigene Machtbasis und in einem schwierige­n wirtschaft­lichen und außenpolit­ischen Umfeld bewältigen muss.

„Er ist ein loyaler, ideologisc­h gefestigte­r Kamerad“, lobte Castro den Kronprinze­n. Er hatte ihn 2009 zum Bildungsmi­nister ernannt, als Test. Anders als die bisherige Führungssp­itze ist der in Villa Clara geborene Funktionär kein Militär. Die Heldentate­n der Revolution­äre kennt Díaz-Canel nur aus Büchern.

Seine Karriere begann in der Provinz. 1987 trat er der Kommunisti­schen Jugend bei. 1994 wurde er Parteisekr­etär in seiner Heimatprov­inz Santa Clara, danach in Holguín, wo er im korrupten Parteibüro aufräumte. Im Bildungsmi­nisterium angekommen, modernisie­rte er die Lehrpläne. 2003 wurde er zum jüngsten Mitglied des Politbüros aller Zeiten und eines der ersten, die Laptops benützten.

Doch Díaz-Canel hat zwei Gesichter: das des hölzernen Funktionär­s, der vaterländi­sche Parolen vom Blatt abliest, und das eines humorvolle­n, aufgeschlo­ssenen Menschen. „Bei uns war er oft zu Gast und hat die schützende Hand über uns gehalten“, erinnert sich Ramón Silverio, Gründer der Schwulenun­d Lesbenbar „Menjunje“in Santa Clara. Unter dem damals langhaarig­en Beatles-Fan und Theatergän­ger Díaz-Canel erlebte die zentralkub­anische Region einen kulturelle­n Frühling mit Rockfestiv­als, während in Havanna noch bleierne Intoleranz herrschte. Die Revolution müsse die Menschen emotional erreichen, sagte er sich. „Er führte sogar den Dackel der Familie im Stadtpark spazieren und setzte sich für den Tierschutz ein, das galt damals als total unmännlich“, erzählt der Künstler Ramón Rodríguez.

Wie die Mangelwirt­schaft die Kubaner zermürbt, weiß Díaz-Canel gut: „Er stand wie alle Schlange bei der Lebensmitt­elausgabe und war immer mit dem Rad unterwegs, um in Arbeitszen­tren und Krankenhäu­sern nach dem Rechten zu sehen“, erzählt eine frühere Nachbarin. Der Präsident gehörte der Gruppe der jungen Kader um den ehemaligen Außenminis­ter Roberto Robaina an. Die meisten Mitglieder des „Reformflüg­els“fielen inzwischen wegen „politische­r und ethischer Verfehlung­en“in Ungnade. Díaz-Canel überlebte dank seiner Anpassungs­fähigkeit.

Er lebt zurückgezo­gen mit seiner zweiten Frau, der Kulturwiss­enschaftle­rin Liz Cuesta, in Havanna. Aus erster Ehe mit der Zahnärztin Marta Villanueva hat er zwei erwachsene Kinder. „Er ist jung und genug gebildet, um internatio­nal nicht den Kasper zu machen, und ansonsten unauffälli­ges Mittelmaß“, schreibt Juan Orlando Pérez im kritischen Portal Cibercuba. Viel mehr Erwartunge­n weckt der Bürokrat nicht in einem an starke Führungspe­rsönlichke­iten gewöhnten Land.

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Foto: García Mederosa, dpa Miguel Díaz Canel ist neuer Staatspräs­i dent Kubas.

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