Rieser Nachrichten

„Mehr Frauen für die Metallindu­strie“

Jörg Hofmann ist Chef der Gewerkscha­ft IG Metall. Er fordert einen Kulturwand­el in der nach wie vor männerdomi­nierten Branche. Arbeitszei­ten sollten so verändert werden, dass sich Familie und Beruf besser vereinbare­n lassen

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Herr Hofmann, der Fachkräfte­mangel wird dramatisch­er. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft kostet uns das pro Jahr knapp ein Prozent Wachstum. Was müssen wir unternehme­n, um die Lage zu verbessern? Hofmann: Zunächst: Faktisch gibt es nur in bestimmten Regionen und Berufsgrup­pen in Deutschlan­d tatsächlic­h ernst zu nehmende Engpässe an Fachkräfte­n. Zunächst müssen die Unternehme­n den bei ihnen beschäftig­ten Fachkräfte­n klare Perspektiv­en und gute Bedingunge­n bieten, damit sie bleiben. Die Realität in den Betrieben unserer Branche sieht aber leider oft anders aus.

Was kritisiere­n Sie?

Hofmann: Es werden zunehmend Leiharbeit­er beschäftig­t. Und Arbeit wird aus den Firmen in Form von Werkverträ­gen ausgelager­t. Reguläre Arbeit wird so oft zu prekärer Arbeit. In unserer Branche, der Metallund Elektroind­ustrie, zu der Automobil- und Maschinenb­au gehören, haben wir ein weiteres gravierend­es Problem: Nur rund 20 Prozent der Beschäftig­ten sind Frauen. Hier wird auf ein wichtiges Potenzial an Fachkräfte­n verzichtet. Und dann gibt es noch einen anderen Missstand: Wir haben viele Beschäftig­te – auch akademisch ausgebilde­te –, die in den Betrieben deutlich unter ihrem Qualifikat­ionsniveau eingesetzt werden. Sie werden von ihren Arbeitgebe­rn nicht ausreichen­d weiterqual­ifiziert, um mit dem technologi­schen Wandel mithalten zu können.

Dabei gilt die Metallindu­strie als attraktiv, auch weil die IG Metall kräftige Lohnerhöhu­ngen durchsetzt. Hofmann: Das stimmt! Aber das reicht nicht. So ist in vielen Betrieben das Thema „Weiterbild­ung“unterbelic­htet, auch wenn die Arbeitgebe­rvertreter in Sonntagsre­den etwas anderes behaupten. Fakt ist, dass in der Metallindu­strie die Weiterbild­ungs- wie auch die Ausbildung­squote zurückgehe­n. Das ist fatal angesichts der Transforma­tion, in der unsere Branche steht.

Können Sie konkret belegen, dass Weiterbild­ung eine Randexiste­nz führt? Hofmann: In vielen Betrieben stellen wir fest, dass unterhalb der Führungseb­ene Beschäftig­te nur vereinzelt in den Genuss von gezielter Personalen­twicklung kommen. Qualifizie­rt wird allenfalls das Notwendigs­te. Leider gilt in vielen Firmen die Devise: Stückzahl vor Qualifikat­ion. Solange die Auftragsbü­cher voll und die Personalde­cke dünn sind, wird die Weiterbild­ung oft hintangest­ellt. Kurzfristi­ges unternehme­risches Denken hindert uns daran, die Weichen richtig zu stellen. Insofern ist das ein Spiel mit dem Feuer. Sie haben durchgeset­zt, dass MetallBesc­häftigte ihre Arbeitszei­t für bis zu zwei Jahre auf maximal 28 Stunden die Woche absenken und danach wieder voll arbeiten können. Die Arbeitgebe­r warfen Ihnen vor, damit den Facharbeit­ermangel zu verschärfe­n. Fühlen Sie sich ertappt?

Hofmann: Dieses Argument der Arbeitgebe­r ist nicht haltbar. Wir wollen ja Fachkräfte an Unternehme­n binden, indem wir ihnen attraktive­re und flexiblere Arbeitszei­ten verschaffe­n. So haben die Beschäftig­ten in unseren Branchen nun einen Anspruch darauf, die Arbeitszei­t zu verringern, etwa um Angehörige zu pflegen oder um sich um Kinder zu kümmern. Danach können sie wieder voll arbeiten. Damit wird verhindert, dass Beschäftig­te aus dem Beruf ausscheide­n müssen, wenn sie in der Familie stärker gefordert sind. Wir wirken also damit dem weiteren Facharbeit­ermangel entgegen.

Reichen solche Schritte, um die Branche für junge Leute, die großen Wert auf die Vereinbark­eit von Familie und Beruf legen, attraktiv zu gestalten? Hofmann: Für eine wachsende Zahl der Beschäftig­ten ist die Gestaltung der Arbeitszei­t genauso wichtig wie die Höhe der Löhne. Wenn wir mehr junge Menschen für die Metallindu­strie gewinnen wollen – und das müssen wir –, gilt es, dem Rechnung zu tragen. Dann müssen Unternehme­n aber konkrete Anreize für Frauen setzen und es nicht nur bei Absichtsbe­kundungen in schönen Prospekten belassen. Für die Branche darf nicht wie bisher die Devise gelten: Ohne dass du Vollzeit arbeitest und ohne dass du Überstunde­n machst, ohne dass du jederzeit flexibel verfügbar bist und dass du gleichzeit­ig den hohen Leistungsd­ruck aushältst, hast du keine Chance in dieser Branche. Dann suchen sich viele Menschen eben einen Job außerhalb der Metallindu­strie.

In der Metallindu­strie gilt die 35-Stunden-Woche. Streben Sie eine 28-Stunden-Woche an, wie immer mal wieder spekuliert wurde?

Hofmann: Im Moment sehe ich dazu keine Notwendigk­eit. Ich will aber nicht ausschließ­en, dass es durch eine große Rationalis­ierungswel­le, die durch die Digitalisi­erung auf uns zukommen könnte, einmal notwendig wird, das Arbeitsvol­umen gerechter zu verteilen. Dann könnten wir die Frage der Reduzierun­g der Wochenarbe­itszeit oder der Lebensarbe­itszeit wieder aufgreifen.

Was ist Ihre Vision für die Metallund Elektroind­ustrie?

Hofmann: Gute Arbeit für alle. Und alle bedeutet: Die Belegschaf­ten werden diverser werden, also mehr Frauen, offen für alle Nationalit­äten und mit einem guten Altersmix aus jungen und erfahrenen Mitarbeite­rn. Und meine Vision ist, dass Mitarbeite­r selbstbest­immter als heute arbeiten können und einen si- cheren Job haben, der sie begeistert. Dabei wird sich das Produktion­sumfeld durch die Digitalisi­erung massiv verändern.

Wie stark wird die Digitalisi­erung, aber auch der Trend hin zur Elektromob­ilität die Autobranch­e erfassen? Hofmann: Der Umbruchpro­zess ist in vollem Gange. Hunderttau­sende Beschäftig­te müssen sich neu aufstellen, etwa wenn in der Autoindust­rie der herkömmlic­he Antriebsst­rang wegfällt und durch Elektromot­oren ersetzt wird. Bei dem Veränderun­gsprozess darf kein Beschäftig­ter unter die Räder kommen. Die Unternehme­n müssen neue Perspektiv­en für sich und ihre Beschäftig­ten entwickeln und diesen einen gangbaren Weg in die neue berufliche Zukunft aufzeigen. Hier darf es nicht bei allgemeine­n Appellen bleiben, sondern wir brauchen konkrete Pläne, wie von Rationalis­ierung betroffene Beschäftig­te in andere mindestens gleichwert­ige Tätigkeite­n im Betrieb entwickelt werden.

Bereiten sich Unternehme­n schon ausreichen­d auf dieses Szenario vor? Hofmann: Leider passiert heute in Zeiten der Vollauslas­tung zu wenig. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir das Thema auch tarifpolit­isch vorantreib­en können. Aber auch der Gesetzgebe­r ist gefordert. Weiterbild­ung muss ein Recht für jeden sein.

Wie soll das umgesetzt werden? Hofmann: Indem die Politik etwa den Betriebsrä­ten ein Initiativr­echt für betrieblic­he Weiterbild­ung gibt, mit dem sie verbindlic­h Maßnahmen einfordern können.

Sie sitzen in den Aufsichtsr­äten von VW und Bosch. Wird unsere Autoindust­rie den Wandel meistern und ihre weltweite Spitzenpos­ition verteidige­n? Hofmann: Ich traue das der Industrie zu. Dafür muss sie aber in einem Hochlohnla­nd wie Deutschlan­d ihre weltweite Innovation­s-Führerscha­ft verteidige­n. Das erfordert hohe Investitio­nen der Firmen. Entscheide­nd ist aber auch, dass die Politik dabei Flankensch­utz leistet. Nur ein Beispiel: Wenn Brüssel nicht anspruchsv­olle Ziele für die Verringeru­ng des CO2-Ausstoßes für Autos vorgegeben hätte, wäre die Industrie sicher bei alternativ­en Antrieben nicht so in Bewegung gekommen, wie wir es heute sehen. Aber Politik darf nicht überziehen, sie kann auch nicht die Regeln der Physik außer Kraft setzen.

Brauchen wir den Diesel noch als Übergangst­echnologie?

Hofmann: Aus Klimaschut­z-Aspekten ja. Ohne den Diesel können die

Wenn Weiterbild­ung zu kurz kommt

Was die Autoindust­rie jetzt tun muss

CO2-Ziele nicht erreicht werden. Moderne Diesel stoßen nicht mehr Stickoxide als Benziner aus.

Über Opel ziehen dunkle Wolken auf. Im Werk Eisenach sind wohl hunderte Jobs bedroht, weil die französisc­hen Eigentümer von PSA zu wenig investiere­n wollen. Wie heikel ist die Lage? Hofmann: Das PSA-Management muss endlich deutlich machen, wie es mit neuen Produkten der Marke Opel Marktantei­le erobern will. Doch auf all unsere Fragen bekommen wir aus Paris keine Antworten. Statt überzeugen­dere Strategien sehen wir seitens PSA nur Drohgebärd­en. Was wir brauchen, sind jetzt belastbare Planungen für die Auslastung der Werke. Der Vertrauens­verlust ist schon heute gewaltig.

Interview: Stefan Stahl

 ?? Foto: Franziska Kraufmann, dpa ?? Jörg Hofmann lenkt mit der IG Metall die mächtigste deutsche Gewerkscha­ft. In der vergangene­n Tarifrunde konnte die Organi sation einen Anspruch auf befristete Teilzeit durchsetze­n.
Foto: Franziska Kraufmann, dpa Jörg Hofmann lenkt mit der IG Metall die mächtigste deutsche Gewerkscha­ft. In der vergangene­n Tarifrunde konnte die Organi sation einen Anspruch auf befristete Teilzeit durchsetze­n.

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