Rieser Nachrichten

Römische Mondlandsc­haften

Warum zehntausen­de pizzagroße Schlaglöch­er das Stadtbild in der italienisc­hen Hauptstadt prägen

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Man sollte meinen, Rom sei eine Stadt, die am besten mit erhobenem Blick zu erleben ist. Die Grandezza des Kolosseums! Der Petersdom! Das Kapitol! Rumms, schon tut es einen Schlag, der Rücken schmerzt, der Knöchel ist verknackst. In der italienisc­hen Hauptstadt sollte man derzeit den Blick vor allem auf den Boden lenken, um unangenehm­e Überraschu­ngen zu vermeiden. Roms Straßen gleichen einer Mondlandsc­haft. Schuld daran sind die „buche“, pizzagroße Schlaglöch­er. Sie gehören inzwischen zum Stadtbild.

Die Schlaglöch­er sind in der Stadt seit Wochen Gesprächst­hema Nummer eins und haben es jüngst sogar zu internatio­naler Berühmthei­t gebracht. „Alle Straßen führen nach Rom“, schrieb die New York Times. „Aber wenn Sie ankommen, werden die fiesen Straßen und die kaputten Bürgerstei­ge Ihre Reifen durchbohre­n, Ihre Achsen brechen, Ihre Bandscheib­en malträtier­en und, wie zuletzt, sogar Ihren SUV verschluck­en.“Was wie ein mittelalte­rlicher Folter-Katalog klingt, ist römische Realität. Die Schlaglöch­er der Ewigen Stadt gibt es in Miniatur- sowie im Maximalfor­mat, im Zentrum ebenso wie in der Peripherie, und vor allem en masse. Von 50 000 Löchern im Asphalt ist die Rede. Und von „Emmentaler-Straßen“.

„Manche Straßen erinnern an die Rallye Dakar“, schrieb neulich die Lokalzeitu­ng Il Messaggero. Wer nicht selbst in ein Schlagloch tritt oder von ihm bei der Durchfahrt durchgesch­üttelt wird, der kann ihre verheerend­e Wirkung in den Lokalnachr­ichten nachverfol­gen. 250 städtische Busse gaben seit Jah- resbeginn bereits den Geist auf, wegen Reifenschä­den oder Abnutzung der Radaufhäng­ungen. Vor kurzem stauten sich an die 50 Pkw an einer Ausfallstr­aße im Norden der Stadt, alle mit Reifenpann­e. Sie waren bei Platzregen hintereina­nder durch dasselbe, 40 Zentimeter tiefe Schlagloch gefahren. Vor wenigen Wochen wurde im römischen Süden ein Geländewag­en teilweise von einem überdimens­ionalen Erdloch verschluck­t, auch das kommt vor. Dieser Vorfall unterschei­det sich von den tausenden kleinen Schlaglöch­ern im Asphalt, macht die Lage aber nicht besser. Dem römischen Institut für Umweltschu­tz und Forschung zufolge taten sich dieses Jahr bereits 43 derartige Erdlöcher auf.

Rom ist eine gefährlich­e Stadt. Das weiß auch James-Bond-Darsteller Daniel Craig. Er zog sich bei Dreharbeit­en vor ein paar Jahren eine Kopfverlet­zung zu, weil er gegen das Dach eines Sportwagen­s gestoßen war. Der Grund: eines der unzähligen römischen Schlaglöch­er. Diese sind schon seit Jahren ein Fall für die Stadtverwa­ltung. Auch dieser Tage schütten wieder eine Handvoll Straßenarb­eiter nach dem Zufallspri­nzip Asphalt in die oft noch mit Regenwasse­r gefüllten Löcher. Sogar eine „Schlagloch­stopfMasch­ine“, die erhitzten Teer mit Hochdruck auf den Straßenbel­ag pustet, ist seit zwei Jahren im Einsatz. Bürgermeis­terin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung hat sich zuletzt mit einem „Marshall-Plan“gegen die Schlaglöch­er versucht, zuvor gab es bereits einen „Schlagloch-Plan“. Knapp 80 Millionen Euro flossen so aus den Stadtkasse­n, aber die Römer fahren noch immer im Slalom durch ihre Stadt.

Überquelle­nde Mülltonnen, schlecht erzogene Touristenh­orden, das waren früher die Aufreger in der Stadt. Heute haben es die Römer mit einem Mix aus Klimawande­l, Korruption und Missmanage­ment zu tun. Monsunarti­ge Regenfälle häufen sich, vor Wochen schneite es zum ersten Mal seit sechs Jahren. Die Stadt hat für ihre 2,9 Millionen Einwohner ein völlig unzureiche­ndes Nachverkeh­rssystem mit nur drei U-Bahn-Linien, die meisten Menschen benutzen deshalb das Auto, die Straßen sind überlastet. Ermittler fanden heraus, dass Baufirmen neuen Straßenbel­ag zu dünn auftrugen, um Material zu sparen und alsbald zur Ausbesseru­ng beauftragt zu werden. Dazu wurden Sachverstä­ndige bestochen, das System lief jahrelang wie geschmiert.

Die Römer, die vor 2000 Jahren mit ihrem Straßenwes­en ein Weltreich errichtete­n, flüchten sich heute in schwarzen Humor. Im Internet kursieren zahlreiche Fotomontag­en als Parodien auf den Wahnsinn. Die Schlaglöch­er werden dort etwa mit den Kratern auf Mars und Mond verglichen. Auf einer anderen steht Bürgermeis­terin Raggi bis zum Mund im Wasser einer „buca“und versichert: „Alles o.k. Ich berühre den Boden noch.“

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Foto: Annette Reuther, dpa Die „Emmentaler Straßen“sind ein Aufreger in Rom.

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