Rieser Nachrichten

Wie ein Gesetzentw­urf zum Riesenaufr­eger wurde

Fachleute sind entsetzt über ein neues Gesetz. Unter anderem, weil sensible Daten fünf Jahre lang gespeicher­t werden sollen. Und es gibt noch mehr Kritikpunk­te

- VON STEPHANIE SARTOR

München Es sind deutliche Worte, die Jürgen Karres findet: „Das ist eine Katastroph­e. Psychisch Kranke werden stigmatisi­ert.“Karres ist Leiter einer Landsberge­r Selbsthilf­egruppe für Menschen mit seelischen Problemen, Ängsten und Depression­en. Er spricht schnell, energisch, laut. Man merkt ihm an, dass ihn die ganze Sache unheimlich aufregt. Das, was ihm so an die Nieren geht, ist das geplante neue bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Und Karres ist längst nicht der Einzige, der über die Gesetzesno­velle entsetzt ist.

Darum geht es: Mit dem Gesetz, das bislang nur als Entwurf vorliegt, will die bayerische Landesregi­erung die Versorgung von psychisch Kranken, die sich in Ausnahmesi­tuationen befinden, neu regeln. Dabei geht es um Menschen, die sich selbst oder andere konkret gefährden – nicht um solche, die sich freiwillig in eine Krankenhau­sbehandlun­g begeben. Im Gesetz werden Gründe definiert, deretwegen ein psychisch kranker Mensch gegen seinen Willen in einer Klinik untergebra­cht werden kann. Oberstes Ziel sei dabei die „Gefahrenab­wehr“, heißt es im Gesetzesen­twurf. Dort wird auch thematisie­rt, wann Patienten Besuch emp- telefonier­en oder überwacht werden dürfen. Hinzu kommt, dass künftig die Patientend­aten von zwangseing­ewiesenen Personen fünf Jahre gespeicher­t werden sollen – jederzeit abrufbar für Polizei und Behörden. Denn die Unterbring­ungsdatei, in der Name, Familienst­and, Krankheit und Dauer der Unterbring­ung erfasst werden, soll auch zur Verfolgung von Straftaten genutzt werden können.

Patienten würden damit unter Generalver­dacht gestellt werden, monieren die Opposition im Landtag, Verbände und mehrere Fachleute. Etwa der Präsident des Bayerische­n Bezirketag­s, Josef Mederer, der findet, dass das Wort Hilfe im Gesetz viel zu kurz kommt. Als Träger psychiatri­scher Versorgung­skliniken sind die Bezirke von der Novelle besonders betroffen. In die Vorbereitu­ngen zu dem Gesetzentw­urf wurden Psychiatri­e-Experten eingebunde­n, auch der Bezirketag habe sich eingebrach­t. Man sei auf einem guten Weg gewesen, sagt Mederer. Besonders die geplante Schaffung flächendec­kender Krisendien­ste gehe in die richtige Richtung. Doch das Thema Sicherheit sei zu sehr in den Mittelpunk­t gerückt. Dazu gehöre auch eine mögliche Überwachun­g der Kommunikat­ion der Zwangseing­ewiesenen in den Kliniken, die an den Strafregel­vollzug angelehnt sei. Der Großteil psychisch kranker Menschen sei aber keine Gefahr, sondern brauche Hilfe. Der Entwurf pauschalis­iere an dieser Stelle. Demnach sei prinzipiel­l jeder, der zwangseing­ewiesen werde, in den Augen des Staates ein potenziell­er Gefährder. Das seien etwa auch Menschen mit Depression­en oder einer akuten Psychose, die in einer Krisensitu­ationen stecken.

Thomas Düll, Vorstandsv­orsitzende­r der Bezirkskli­niken Schwaben, hat sich intensiv mit dem umstritten­en Gesetzesen­twurf beschäftig­t. Auch er findet: „Die Repression steht im Vordergrun­d. Nicht das Behandeln und Heilen.“Und er erklärt, wie es dazu gekommen ist. „Die neue Gesetzesin­itiative beinhaltet, dass aus dem Maßregelvo­llzugsgese­tz Paragrafen gestrichen wurden. Stattdesse­n wird dort auf das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz verwiesen.“Somit komme es zu einer Vermischun­g, gar zu einer Gleichsetz­ung beider Sachverhal­te. Die neuen expliziten Regeln zur Überwachun­g von Patienten etwa stammten aus dem Maßregelvo­llfangen, zug. „Und das ist völlig unangemess­en“, findet Düll.

Auf die vielen kritischen Diskussion­en hat das bayerische Sozialmini­sterium reagiert und eine mehrere Seiten lange Stellungna­hme veröffentl­icht. Darin heißt es: „Vor diesem Gesetz muss niemand Angst haben, es bringt Sicherheit für alle Betroffene­n, Angehörige­n und Mitarbeite­r.“Eine öffentlich-rechtliche Unterbring­ung dürfe nur als letztes Mittel erfolgen. Man müsse auch nicht fürchten, dass Patienten in Anstaltskl­eidung gesteckt würden. Und eine Überwachun­g von Besuchern finde nur dann statt, wenn dies aus Gründen der Sicherheit notwendig sei.

Kommende Woche sollen Fachleute im Landtag über den Entwurf diskutiere­n. Ministerpr­äsident Markus Söder hat bereits Zugeständn­isse angekündig­t, und Sozialmini­sterin Kerstin Schreyer räumte ein, dass es „Nachjustie­rungen“geben könnte. Die Daten in der Unterbring­ungsdatei könnten etwa nur ein Jahr gespeicher­t werden. Auch CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer äußert sich gegenüber unserer Zeitung in diese Richtung: „Man wird noch darüber reden, wie lange Daten gespeicher­t werden und was an die Polizei weitergege­ben wird.“

Strafverfo­lgung mit sensiblen Patientend­aten

Newspapers in German

Newspapers from Germany