Spielball der Interessen
In der frühen Neuzeit wurden Hexen auf der ganzen Welt verfolgt. Auch in der Grafschaft Oettingen sind solche Prozesse bekannt. Wie es so weit kommen konnte, erklärte Alexandra Haas im Schloss Reimlingen
Reimlingen Sie wurden verfolgt, gefoltert und hingerichtet: Hexen waren in der Frühen Neuzeit auf der ganzen Welt gefürchtet. Die Hexerei zählte neben Mord, Meineid, Diebstahl und Brandstiftung zu einem der schlimmsten Verbrechen, sie kostete etwa 50000 bis 60000 Männern, Frauen und Kindern das Leben. Auch in der Grafschaft Oettingen wurde den vermeintlichen Hexen vom 15. bis ins 18. Jahrhundert der Prozess gemacht. Doch waren die Oettinger wirklich Hexenverfolger? Oder zählten sie sogar zu den Gegnern der damaligen Prozesse?
Fragen, mit denen sich Dr. Alexandra Haas, Autorin und Archivarin aus Stuttgart, in ihrer Doktorarbeit auseinandersetzte. Mit Auszügen unterschiedlicher Quellen begann die Referentin ihren Vortrag im Rahmen der Rieser Kulturtage in Schloss Reimlingen. Das Problem wurde den knapp 60 Zuhörern dabei schnell bewusst: Bezog sich einer der Zeitungsausschnitte auf eine sehr spektakuläre Hexenverbrennung vom 4. Juni 1589 auf der Burg Wallerstein, so standen die Grafen von Oettingen in einem Schreiben aus dem Jahr 1618 einem Hexenprozess des Hochstifts Ellwangen wiederum kritisch gegenüber. Wie konnte es dennoch zu 227 Todesopfern durch Hexenverfolgungen in der Grafschaft Oettingen kommen?
Die fanden laut der Expertin in Schüben statt. Ihren Höhepunkt erreichten sie in den Jahren 1627 bis 1631. In diesem Abschnitt mussten auch 167 „Hexen“auf der Burg Wallerstein mit ihrem Leben büßen. Haas zufolge sah der wallersteinische Johann Albrecht Graf von Oettingen-Spielberg „in der Hexerei eines der schändlichsten Verbrechen auf Erden“, welches es zu bekämpfen galt, während das Haus Oettingen-Oettingen zu den Skeptikern der Hexenverfolgung zählte. Nichtsdestotrotz wurden die Bannund Hinrichtungsbriefe aber von den Grafen beider Häuser unterzeichnet. Ein Widerspruch, der laut der Referentin wohl vor allem auf die zeitgeschichtlichen Ereignisse zurückzuführen sei.
Die katholische Linie OettingenWallerstein und die lutherische Seite Oettingen-Oettingen waren zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges komplett miteinander zerstritten. Nach dem Sieg der katholischen Truppen appellierten die lutherischen Berater Oettingen-Oettingens zum Bündnis mit dem katholischen Familienzweig Oettingen-Wallerstein. In der Folge kam es zum oettingischen Hausvertrag. Die Blutgerichtsbarkeit wurde fortan wieder gemeinsam ausgeführt. Auf der Burg Wallerstein wurde ein spezieller Hexenkommissar in die Dienste gestellt. Die Seite Oettingen-Oettingen war von dessen Art der Prozessführung nicht überzeugt. Sie intervenierte in Verfahren, soweit es ihr möglich schien. Dennoch trug sie gegen ihre Überzeugung aus außenpolitischen Gründen die Todesurteile mit.
Ungewollt wurden die oettingenoettingischen Beamten durch den abgeschlossenen Hausvertrag in einen Kampf gegen die Hexen hineingezogen, von dem sie selbst nicht überzeugt waren. Doch hatten sie ihr eigenes Reich vor der Gegenreformation zu schützen, war ein Streit mit dem katholischen Vetternhaus in jedem Fall zu vermeiden. „Das Schicksal der Wallersteiner Hexen geriet durch die politischen Obliegenheiten in den Hintergrund“, beendet Haas die Erkenntnisse ihrer Recherche.
Und hätte sie die Ausgangsfrage ihrer Arbeit mit einem einfachen „Ja“oder „Nein“beantworten können, wäre der anschauliche Vortrag der Expertin über die Grafen von Oettingen und deren Umgang mit den Hexenprozessen wohl nur halb so interessant gewesen.