Rieser Nachrichten

Als die Landwirte in der Stadt lebten

Die neue Ausstellun­g „Ackern in der Stadt“im Nördlinger Stadtmuseu­m wird eröffnet. 1030 Rinder und 4632 Hühner wurden einst innerhalb der Mauern gehalten

- VON PETER URBAN

Nördlingen Es war ein regelrecht­es „Familientr­effen“der ehemaligen Stadtbauer­n und beziehungs­weise oder deren Nachkommen: Im Nördlinger Stadtmuseu­m wurde die Eröffnung der neuen Ausstellun­g „Ackern in der Stadt“gefeiert. Die zeigt auch die persönlich­e Geschichte von Oberbürger­meister Hermann Faul: Auf dem Titelbild der Ausstellun­g ist seine Familie auf einem ihrer Felder abgebildet, den Daniel im Hintergrun­d.

Faul benannte nicht nur alle Personen auf dem Foto, er erzählte gleich noch viel mehr über die agrarische Vergangenh­eit der Stadt. Dass es zum Beispiel ehemals ständig mehr als siebzig Höfe innerhalb der Nördlinger Stadtmauer gab und bis zu 22 Marktplätz­e, auf denen von Brettern über Rüben bis zum Vieh alles angeboten und verkauft wurde. Er nannte auch konkrete Zahlen, die man sich heute so gar nicht mehr vorstellen kann: Noch 1956 zählte man in Nördlingen 4800 davon 90 Vollzeit-„Ökonomen“, wie man die Landwirte damals nannte. Die hatten insgesamt 70 Pferde, 1030 Rinder, 480 Schafe, 78 Ziegen, 4632 Hühner (Lacher im Publikum und die Frage, wer die wohl alle so genau gezählt habe), 132 Gänse und so einiges mehr. Hermann Faul erinnerte sich auch noch an die Milchkanne­n, die man „zum Linse“(Molkerei in der Polizeigas­se) gebracht habe und an den Ausspruch seiner Mutter: „Wenn ich Milchgeld habe, dann hab’ ich an Schmuh’“– also etwas Kleingeld, das sie den Kindern auch mal für Süßigkeite­n zustecken konnte.

Andrea Kugler, Leiterin des Stadtmuseu­ms und Initiatori­n der Ausstellun­g, bedankte sich bei allen, die mit ihren Geschichte­n, Erzählunge­n und vor allem Fotos diesen Blick in die Vergangenh­eit erst möglich gemacht haben. Denn „Literatur“oder andere Aufzeichnu­ngen über die bäuerliche Vergangenh­eit in Nördlingen gibt es so gut wie nicht und weiter zurück wie bis ins 19. Jahrhunder­t führten auch die Überliefer­ungen nicht. Dennoch konnte sie interessan­te Details nennen: Dass zum Beispiel (nach einem Verzeichni­s der Kühe von 1871) nicht die Ökonomen das meiste Vieh hatten, sondern allen voran die Brauer und Wirte, dann ein Bäcker und dann kamen erst die Bauern. Und auch die größten Grundbesit­zer waren die evangelisc­he Kirche, die Familie Döderlein – und danach reihten sich die Brauer ein.

Was allerdings auch den Vorteil hatte, dass sich viele Nebenerwer­bsbauern in der Stadt selbststän­dig machen konnten, da weder die Kirche noch die Brauer das Land selbst bestellten, sondern die Felder verpachtet­en. Dass die Stadt von der Arbeit der Bauern und dem regen Treiben auf den Märkten außerorden­tlich profitiert hat, darauf hatte schon der Oberbürger­meister hinHaushal­te, gewiesen. Nach dem Markt wurde, je nachdem wie die Geschäfte gelaufen waren, eingekehrt und auch eingekauft, auch die Landwirtsc­haftsschul­e und die Baywa hatten in dieser Hochzeit ihre Ursprünge.

Schon die beiden Vorträge waren höchst interessan­t, die anschließe­nde Führung durch die Ausstellun­g war für viele ein Eintauchen in ihre eigene Geschichte. Die vielen Erinnerung­en, die Andrea Kugler während ihrer Arbeit erfahren hat, hat sie auf Erzählbann­ern verewigt. Nicht nur die lohnen einen Besuch im Stadtmuseu­m, auch die ehemaligen Standorte der Höfe und was aus diesen Häusern geworden ist, dürfte nicht nur für alteingese­ssene Nördlinger höchst interessan­t sein.

Seinen spontanen Gefühlsaus­bruch „Wie bunt die Stadt damals war“, korrigiert­e Oberbürger­meister Faul allerdings sofort selbst: „Na ja, es war schon vieles grau und sehr einfach damals und die meisten mussten ums nackte Überleben kämpfen. Bunt ist die Stadt wirklich erst heute.“

Größter Grundbesit­zer war die Kirche

 ?? Foto: Stadtarchi­v Nördlingen, Johann Kellermann ?? Die Landwirte wohnten nicht nur innerhalb der Nördlinger Stadtmauer, ihre Waren wurden auch auf einem der 22 Marktplätz­e feil geboten. Unser Bild stammt aus der Zeit um 1900 und zeigt den Platz bei den Kornschran­nen.
Foto: Stadtarchi­v Nördlingen, Johann Kellermann Die Landwirte wohnten nicht nur innerhalb der Nördlinger Stadtmauer, ihre Waren wurden auch auf einem der 22 Marktplätz­e feil geboten. Unser Bild stammt aus der Zeit um 1900 und zeigt den Platz bei den Kornschran­nen.

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