Deutschland braucht ein Bündnis für Weiterbildung
DGB-Chef Hoffmann warnt zum Tag der Arbeit vor dem Entstehen eines digitalen Proletariats. Warum Menschen auf den technologischen Wandel besser als heute vorbereitet werden müssen
Der frühere Tui-Chef Michael Frenzel hat einen interessanten Vorschlag gemacht: Als Präsident des Wirtschaftsforums der SPD plädiert er dafür, den Tag der Arbeit am 1. Mai in einen Tag der Zukunft der Arbeit umzubenennen. Damit könnten, noch intensiver als am Dienstag geschehen, zentrale Fragen unserer Zeit diskutiert werden: Wie gehen wir mit den revolutionären Entwicklungen der Digitalisierung und Automatisierung um? Auf welche Weise lässt sich verhindern, dass Millionen Menschen zu einem „digitalen Proletariat“werden, wie es DGB-Chef Reiner Hoffmann provokativ auf den 1. Mai hin formuliert hat?
Dabei ist der umwälzende Prozess längst im Gange: IndustrieRoboter werden nicht mehr mit Schutzzäunen umgeben. Sie unter- sich gegenseitig und arbeiten Hand in Hand mit Menschen zusammen. So ersetzen natürlich Maschinen Menschen, auch wenn an anderer Stelle neue Jobs, etwa im IT-Bereich oder in der Weiterbildungsbranche, entstehen.
Dabei bleibt es nicht: Weil sich dank künstlicher Intelligenz immer größere Datenmengen auswerten lassen, glauben Experten, dass die vollautomatische Prüfung von Versicherungsverträgen, Steuererklärungen oder Röntgen-Bildern einmal großflächig Realität wird. Nach einer alarmierenden Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom sehen 25 Prozent der Firmen in Deutschland mit mehr als 20 Mitarbeitern die Existenz ihres Betriebs durch die Digitalisierung bedroht. Diese Unternehmen stehen für rund 3,4 Millionen Arbeitsplätze.
Deshalb wählt der DGB-Chef so drastische Worte, zumal auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ermittelt hat, dass 25 Prozent der Beschäftigten in Berufen arbeiten, die durch den technologischen Wandel ersetzt werden können. Doch es ist Vorsicht geboten, angesichts der beunruhigenden Zahlen allzu düstere Zukunftsszenarien zu entwerfen.
Denn die positive Nachricht lautet: Wir haben es selbst in der Hand, den Wandel in eine digitale Gesellschaft sozial ausgewogen zu gestalten. Die zuversichtliche Haltung lässt sich wiederum auf eine IAB-Studie stützen. Professor Enzo Weber, Arbeitsmarkt-Experte des Instituts, geht davon aus, dass in Deutschland bis 2025 zwar rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze wegfallen, in gleichem Umfang aber neue und damit andere Jobs entstehen.
Daraus lässt sich vor allem eine Lehre ableiten: Unternehmen müssen Beschäftigte intensiver qualifizieren. Hier geschieht noch zu wenig, wie IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zu Recht beklagt. Da darf es nicht bei einer Qualifikatistützen onsmaßnahme pro Jahr bleiben. Gerade ältere Beschäftigte brauchen eine Art Digital-Paten in ihrer Firma, der sie an die Hand nimmt und in die neue Zeit geleitet. Betriebe müssen also kurzfristig auf etwas Rendite verzichten, um langfristig dank fitter digitaler Mitarbeiter gute Gewinne zu erzielen. Das Thema ist für unsere Volkswirtschaft aber von derart elementarer Bedeutung, dass der Staat Teil eines solchen Digital-Paktes – nennen wir es Bündnis für Weiterbildung – werden sollte. Der Koalitionsvertrag sieht ja zumindest ein Recht auf Weiterbildungsberatung vor.
SPD-Chefin Andrea Nahles hatte jedoch schon weitaus mehr angepeilt. Ihre Idee, für jeden Beschäftigten ab Berufseintritt ein Chancenkonto von 5000 bis maximal 20 000 Euro einzurichten, hat Charme. So könnten Mitarbeiter Geld für Weiterbildung abheben.
Es wäre jedoch ein großer Fehler, das Projekt – wie es sich Nahles vorgestellt hat – ganz aus Steuergeldern zu finanzieren. Warum sollen Firmen nicht die Hälfte in einen Bildungs-Fonds einzahlen? Sonst würden Betriebe aus der Pflicht entlassen, obwohl sie am meisten von einem solchen überfälligen Bündnis für Weiterbildung profitieren.