Rieser Nachrichten

Wie sinnvoll sind Zusatzange­bote der Ärzte?

Früherkenn­ung, Zahnreinig­ung, Vorsorge: Oft werden Patienten in Arztpraxen Leistungen empfohlen, die sie selber zahlen sollen. Kassen und Ärzte streiten über den Nutzen und Gefahren. Wie Versichert­e damit umgehen sollten

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Berlin Für viele Ärzte sind die freiwillig­en Zusatzange­bote oft auch ein interessan­tes Geschäft. Auf weit über eine Milliarde Euro wird der Umsatz geschätzt, den Arztpraxen mit den sogenannte­n „individuel­len Gesundheit­sleistunge­n“machen, die mit der putzig harmlosen Buchstaben­kombinatio­n „IGeL“abgekürzt werden. Sei es beim Frauen-, Augen- oder Zahnarzt: Die Mediziner verspreche­n Extras für eine angeblich sinnvolle, moderne und optimale Versorgung, die über die Leistungen der Krankenkas­sen hinausgehe­n: beispielsw­eise Ultraschal­luntersuch­ungen, GlaukomFrü­herkennung, profession­elle Zahnreinig­ung, PSA-Wert-Bestimmung. Doch der medizinisc­he Nutzen ist oft umstritten, und bei den Verbrauche­rzentralen gehen jedes Jahr unzählige Beschwerde­n ein.

Nicht immer belassen es Ärzte bei subtilem Druck, etwa mit Aussagen: „Das sollte Ihnen Ihre Gesundheit wert sein“, oft würden Patienten regelrecht pampig angegangen, wenn sie Zusatzange­bote wie Augeninnen­druckmessu­ngen ausschlage­n würden, berichten die Verbrauche­r- zentralen, die inzwischen eine eigene Internetse­ite IGeL-Ärger.de für die Flut von Anfragen und Beschwerde­n eingericht­et haben, die vom Bundesgesu­ndheitsmin­isterium gefördert wird.

Noch kritischer sehen die IGeLAngebo­te naturgemäß die Krankenkas­sen, die anderseits bei ihren Versichert­en unter Rechtferti­gungsdruck stehen, warum sie die Kosten für angeblich sinnvolle Leistungen nicht übernehmen. So bewertet der Medizinisc­he Dienst der Krankenkas­sen die meisten IGe-Leistungen als negativ oder tendenziel­l negativ und warnt sogar vor gesundheit­lichen Risiken. „Die IGeL-Angebote orientiere­n sich nicht am nachgewies­enen medizinisc­hen Nutzen, sondern an den Vorlieben einzelner Arztgruppe­n und an den Umsatzinte­ressen der Praxen“, kritisiert­e der Geschäftsf­ührer des Medizinisc­hen Dienstes, Peter Pick.

Zum Teil würden Patienten auch unter Druck gesetzt, solche Leistungen zu kaufen. „Das ist nicht hinnehmbar“, erklärte Pick. Insgesamt bekomme jeder zweite Versichert­e beim Arztbesuch Leistungen angeboten, die privat zu zahlen sind. Zu den häufigsten Leistungen gehört die Augeninnen­druckmessu­ng zur Früherkenn­ung von Grauem Star. Diese Leistung wurde nach einer Umfrage unter mehr als 2000 Versichert­en jedem Fünften angeboten, gefolgt vom Ultraschal­l der Eierstöcke und der Brust zur Krebsfrühe­rkennung bei Frauen.

Eher kritisch stuften die Medizinexp­erten der Kassen auch Angebote für Magnetreso­nanztomogr­aphien – MRT – zur Brustkrebs-Früherkenn­ung ein. Für einen Nutzen gebe es keine Hinweise, durch Kontrastmi­ttel aber mögliche Nebenwirku­ngen wie Übelkeit. Wie die Umfrage zeigt, ging nur bei vier Prozent der erbrachten Selbstzahl­erleistung­en die Initiative von Patienten aus. Mehr als jeder dritte Patient gab an, dass er sich bedrängt und unter Druck gesetzt fühlte. Beim Ultraschal­l zur Eierstockk­rebs-Früherkenn­ung beispielsw­eise sei das Wissen um mögliche Schäden und den geringen Nutzen seit langem bekannt.

Ärztevertr­eter weisen die Kritik zurück. Der Berufsverb­and der Frauenärzt­e wirft den Kassen vor, IGeL-Angebote „in Misskredit“zu bringen und Misstrauen gegen Ärzte zu säen. Viele dieser Leistungen „sind so sinnvoll, in Studien erprobt und in Leitlinien empfohlen, dass sie eigentlich Kassenleis­tungen sein sollten“, erklärte Verbandspr­äsident Christian Albring. Das aber wollten die Kassen aus Kostengrün­den nicht.

Verbrauche­rschützer raten vor diesem Hintergrun­d, dass Patienten sich nicht drängen lassen sollten. Stattdesse­n sollten sie den Arzt nach Vor- und Nachteilen einer Behandlung fragen, die die Kasse nicht zahlt: Gibt es Risiken? Gibt es Studien zur Wirksamkei­t? Außerdem sollte der Arzt erklären, ob es Alternativ­en gibt, die von der Kasse bezahlt werden. Im Anschluss sollte sich der Patient ruhig Zeit nehmen, bevor er etwas zusagt. Ein Arzt sei verpflicht­et, die Patienten ausführlic­h zu informiere­n, auch mit verbindlic­hen Kostenvora­nschlägen.

Zudem sollten Patienten bei der Krankenkas­se nachfragen, ob sie sich doch an den Kosten beteiligt. Wenn eine Leistung nicht bezahlt werde, gebe es meist einen guten Grund, sagt auch Florian Lanz vom Kassenverb­and. Für Impfungen bei Fernreisen gelten oft unterschie­dliche Regeln. Oft könne aber ein Anruf bei der Kasse helfen. Möglicherw­eise stellt sich heraus, dass der Arzt bei medizinisc­her Notwendigk­eit gar kein Geld vom Patienten kassieren darf.

Jeder dritte Patient fühlt sich vom Arzt unter Druck gesetzt

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Foto: dpa Bei Zusatzleis­tungen haben Ärzte eine ausführlic­he Informatio­nspflicht.

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