Rieser Nachrichten

Der Bebop Express auf dem Country Gleis

Der Gitarrist mischt in Kempten Klassiker von Dolly Parton und Hank Williams auf

- VON MICHAEL DUMLER

Kempten Grenzen gibt es für ihn nicht, Berührungs­ängste hat er keine. Der US-amerikanis­che Gitarrist John Scofield war stets ein Neugierige­r, einer, der die Musik aufsog. In seiner Jugend in Connecticu­t Rock und Blues, später Jimi Hendrix und vor allem Jazz. Vor zwei Jahren verblüffte Scofield die Fangemeind­e mit einem Album, auf dem er sich Country-Klassiker zur Brust nahm. „Country for old men“heißt die Scheibe, mit der er immer noch unterwegs ist und die er nun beim 34. Jazzfrühli­ng in Kempten vorstellte.

Ausgetrete­ne Pfade sind nicht sein Ding. Der Musiker John Scofield streunt gerne herum, sucht als Solist immer auch das Extreme – im vollen Bewusstsei­n, auch mal abzustürze­n. Das schätzte auch Miles Davis an ihm, der ihn Anfang der 80er Jahre in seine Tourband holte und mit ihm Kompositio­nen erarbeitet­e. Wer sich durch die zahllosen Soloalben Scofields der letzten 40 Jahre hört, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus – wegen der aparten, virtuosen Versierthe­it des Meisters, seiner von feinen Melodiebög­en getragenen Kompositio­nen und der konstanten musikalisc­hen Klasse.

Der Gitarrist schart stets nur die Besten um sich. Zum Jazzfrühli­ng hat der 66-Jährige seinen langjährig­en Schlagzeug­er und Freund Bill Stewart mitgebrach­t. Der Mann ist eine sichere Bank, verleiht dem an diesem Abend etwas rauen, lauten ScofieldSo­und Struktur und Tiefe. Ein souveränes Kontrabass-Fundament liefert Vicente Archer. Geradezu eine Wucht ist Gerald Clayton am Steinway-Flügel und vor allem an der Orgel, die er herrlich zum Heulen, Blubbern und Glucksen bringt. Und der Meister selbst? Gibt relaxt und gut aufgelegt die Richtung vor.

„Jede neue Musik, die gut ist, hat jede Menge altes Zeug in sich“, hat Scofield einmal gesagt (nachzulese­n im Booklet seines famosen 2015er Albums „Past Present“). Er mag gute Songs mit schönen Melodien, und dazu gehören auch jede Menge CountrySon­gs. Dolly Partons „Jolene“beispielsw­eise oder James Taylors „Bartender’s Blues“. Er nähert sich diesen Stücken mit Liebe und Respekt, aber auch mit der Bestimmthe­it eines selbstbewu­ssten Jazzers. Los geht’s mit einer noch brav angejazzte­n Version von George Jones’ „Mr. Fool“. Doch schon bei Kenny Rogers’ „The Gambler“zeigt Scofield seine große Interpreta­tionskunst. Zu Beginn bringt er die Country-Songs mit Legato und Vibrato zum Swingen, was ihn hin und wieder selbst zum Schmunzeln bringt. Und dann nimmt er Melodie und Rhythmus auseinande­r, dekonstrui­ert wild die vertrauten Klassiker. Am härtesten trifft es Hank Williams’ „I’m so lonesome I could cry“, das kaum mehr zu erkennen ist. Ab geht da nicht nur der BebopExpre­ss auf dem Country-Gleis. Nach der Pause fast ohne Halt.

Zum Schluss gibt es dann noch etwas zum Ausschnauf­en. Mit einer traumhaft-zarten Version von Shania Twains Country-Pop-Hit „You’re still the one“entlässt John Scofield die staunenden 400 Zuhörer in die Nacht.

Festival Zum Abschluss des Jazzfrüh lings spielt am Samstag, 5. Mai (20 Uhr), im Stadttheat­er in Kempten das Count Basie Orchestra.

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Foto: Matthias Becker

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