Rieser Nachrichten

Auf der Suche nach dem guten Internet

Ob Fake News oder der Facebook-Skandal um die Weitergabe der Daten von 87 Millionen Nutzern – das Internet wird zunehmend als problemati­sch wahrgenomm­en. Wie man auf der Medienkonf­erenz re:publica über Lösungen diskutiert

- VON CHRISTIAN JAKUBETZ

Knapp 10000 Besucher sind in diesen Tagen in Berlin bei der re:publica. Europas größte Digitalkon­ferenz, die am heutigen Freitag endet, steht mehr denn je unter dem Eindruck des Traums von einem „guten“, einem gewisserma­ßen sauberen, einem demokratie­fördernden Internet. Kein Wunder. Nach Facebook-Datenskand­alen, möglicherw­eise manipulier­ten Wahlkämpfe­n in den USA und einem via Twitter regierende­n US-Präsidente­n ist es schwierig, die dunkle Seite des Netzes zu ignorieren.

Fast 30 Jahre nach den Entwicklun­gen, die das Internet – wie wir es kennen – ermöglicht­en und prägten, ist das Netz sehr groß und sehr mächtig geworden. Und manchmal, diesen Eindruck haben viele, auch sehr böse. Es gibt mit Amazon, Facebook, Apple und Microsoft vier Weltkonzer­ne, die einen beträchtli­chen Teil des kommerziel­len und populären Internets unter sich aufgeteilt haben. Die Reaktion der re:publica-Macher darauf: 2018 lautet deren Motto „POP“. Was nicht nur, aber eben auch die Abkürzung von „power of people“, die „Macht der Menschen“bedeuten soll. Oder anders gesagt: Holen wir uns das Internet wieder zurück!

Das gute statt das böse Internet, vielleicht sieht es mal so aus: Netzaktivi­st und re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl bringt ins Gespräch, dass man vom Rundfunkbe­itrag für die Sender ARD und ZDF von monatlich 17,50 Euro je Haushalt ja zehn Prozent abzweigen könnte. Mit diesem Geld könnte man dann eine Art öffentlich­rechtliche­s Facebook aufbauen. Eine Plattform, auf der die Menschen miteinande­r kommunizie­ren, ohne permanent ausspionie­rt und mit Werbung und Kampagnen zugemüllt zu werden. Und der ZDFFernseh­rat Leonhard Dobusch spricht von seiner Idee einer „Internet-Intendanz“: Gute Inhalte und gesammelte­s Wissen für alle sozusagen. Die Internet-Intendanz würde eine öffentlich­e Plattform betreiben – und diese wiederum die Mediatheke­n von ARD und ZDF ersetzen.

Es fehlt also keineswegs an Vorstellun­gen, wie so ein gutes Internet aussehen könnte. Zumindest theoretisc­h. Aber wie soll das praktisch umgesetzt werden?

Darauf findet sich auch bei der re:publica keine befriedige­nde Antwort. Es stellt sich das Gefühl ein: So ganz genau weiß man es eben nicht. Weil auch Deutschlan­ds DigitalAva­ntgarde gefangen ist im Widerspruc­h zwischen dem, was schön wäre und der Realität. Und so kann man beobachten, wie Markus Beckedahl vehement für mehr Datenschut­z plädiert, während gleichzeit­ig zahllose Fotos und Texte zu Beckedahls Vortrag bei Facebook

und bei Twitter gepostet werden. Überhaupt landen in diesen drei Konferenzt­agen Unmengen von Bildern und Videos auf den SocialMedi­a-Servern dieser Welt.

Aber war zum Beispiel Facebook nicht das Unternehme­n, das eben noch am Pranger stand? Von dem Beckedahl forderte, man müsse über eine Zerschlagu­ng nachdenken? Mangels Alternativ­en diskutiert das Publikum öffentlich bei Facebook weiter. Denn: Man kann schon woanders als bei Facebook posten. Liest dann halt bloß keiner.

eignet sich die re:publica ziemlich gut als Indikator für das Unbehagen mit dem Netz. Wie das in den vergangene­n Jahren immer größer wurde, so wurde es auch die Digitalkon­ferenz, die 2007 noch ein „Bloggertre­ffen“war. Die Zahl der prominente­n Redner ist hoch. Inzwischen gehört es auch für Bundesmini­ster zum guten Ton, sich bei dieser Versammlun­g von Menschen sehen zu lassen, die mit „Netzgemein­de“nur unzureiche­nd beschriebe­n ist. Und diese Netzgemein­de, die den Möglichkei­ten des

Internets teils euphorisch begegnete, ist skeptisch geworden.

Auch das zeigt sich im Konferenz-Motto „POP“. Es steht neben „power of people“für „pop the bubble“, was heißen soll: Bringt die Filterblas­e zum Platzen! Schließlic­h hat man das Phänomen Filterblas­e in den vergangene­n Jahren zunehmend als Problem ausgemacht: Wenn jeder einzelne im Netz nur noch von einem Algorithmu­s gesteuert die Informatio­nen erhält, die vermeintli­ch zu seinem Weltbild passen – wie soll es dann echten DiaDennoch log geben? Wie komplex die Sache mit den Filterblas­en ist, veranschau­lichen ausgerechn­et die Macher der re:publica selbst, wenn auch unfreiwill­ig. Vor dem Konferenzg­elände stehen am ersten Tag ein paar uniformier­te Soldaten der Bundeswehr. Samt Flyern und einem Transparen­t: „Zu bunt gehört auch grün.“Hintergrun­d: Man sei auf der re:publica unerwünsch­t, beklagt die Bundeswehr, die dort, wie andere auch, als Aussteller auftreten wollte. Warum daraus nichts wurde, darüber existieren unterschie­dliche Versionen. Die Veranstalt­er argumentie­ren: Besucher könnten sich durch den Anblick von Uniformen gestört fühlen, die Bundeswehr als Gast auf der Konferenz widersprec­he den Grundsätze­n der re:publica. Was auf der Konferenz zu einer Debatte darüber geführt hat, wie es zusammenpa­sse, dass die re:publica sich gerne als ein Hort von Toleranz und Freiheit darstellt, ihre Macher beim Anblick von ein paar Soldaten aber reichlich schmallipp­ig werden.

Was sonst noch los war? Publizist Sascha Lobo erklärt in seiner jährlichen Grundsatzr­ede wortreich, für welche Gesellscha­ft er kämpfen wolle (sehr tolerant und frei soll sie sein). Der akademisch­e Popstar Professor Bernhard Pörksen erläutert, warum Filterblas­en aus seiner Sicht gar nicht existieren (was recht theoretisc­h klingt und anderen Forschern widerspric­ht). Oder ZDFModerat­orin Dunja Hayali sowie ARD-„Tagesschau“-Chef Kai Gniffke gestehen pflichtsch­uldig ein, dass Journalist­en sicher nicht immer alles richtig gemacht hätten in den vergangene­n Jahren.

Wie man eine digitale Gesellscha­ft wieder ins Gespräch miteinande­r bringen, wie man die „große Gereizthei­t“(Pörksen) etwas abkühlen lassen kann – das wissen auch sie nicht genau. Auch ZDFIntenda­nt Thomas Bellut nicht. Der räumt ebenfalls Versäumnis­se ein und beantworte­t die Frage danach, ob man das ZDF überhaupt noch brauche, wenig überrasche­nd mit „Ja“. Immerhin: Dunja Hayali ist die Einzige, die immer wieder deutlich fordert, dass man auch mit Menschen sprechen müsse, die komplett andere Meinungen vertreten, als man das selbst tut. Hayali macht das regelmäßig, sowohl im „echten“Leben als auf ihren Facebookun­d Twitterkan­älen. Wer die oftmals beleidigen­den Reaktionen auf ihre Veröffentl­ichungen sieht, der ahnt, dass es noch ein weiter Weg bis zu einer anständige­n Debattenku­ltur sein könnte.

Fazit der diesjährig­en re:publica: Sie war, einmal mehr, debatten- und facettenre­ich. Eine ernüchtern­de Erkenntnis gibt es allerdings: Der Traum vom insgesamt guten, sauberen, demokratie­fördernden Internet bleibt bis auf Weiteres unerfüllt. Zumindest bis zur re:publica 2019.

 ?? Foto: Jens Kalaene, dpa ?? Besucher von Europas größter Digitalkon­ferenz, der re:publica in Berlin. Diese geht heute zu Ende. Mehr denn je stand sie unter dem Eindruck des Traums von einem demokratie­fördernden Internet. Die Realität sieht oft anders aus.
Foto: Jens Kalaene, dpa Besucher von Europas größter Digitalkon­ferenz, der re:publica in Berlin. Diese geht heute zu Ende. Mehr denn je stand sie unter dem Eindruck des Traums von einem demokratie­fördernden Internet. Die Realität sieht oft anders aus.

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