Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (33)

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„L egen Sie ihn hier auf das Bett neben meinem“, sagt Beerboom. „Dann kann ich ihm immer eins in die Fresse geben, wenn er heute nacht aufwacht, so was macht mir Laune …“

„Ich will ihm gleich einen Umschlag machen.“

„I was! Der brauch doch keinen Umschlag für das bißchen Schrammen. Sollten Sie gesehen haben, wie die mich manchmal im Zet in der Mache gehabt haben!“

„Warum haben Sie denn so ’ne Wut auf den Berthold? Der hat Ihnen doch nichts getan.“

„Ich wollte, ich wäre so schön besoffen wie der! Das kann einen doch neidisch machen. Das letztemal war ich’s Weihnachte­n 28 im Zet, da haben wir Möbelspiri­tus aus der Tischlerei getrunken…“

„Guten Abend, Kinder“, sagt der Betrunkene und richtet sich auf. „Bin scheinbar ein bißchen doller gefallen als beabsichti­gt. Na, WolleTeddy hat klein beigegeben, hat mich doch wieder aufgenomme­n!

Was dem Morgen sein Pastor für ’nen Marsch blasen wird!“

„Sie sind ja gar nicht besoffen“, sagt Beerboom mürrisch.

„Dann ist es eine Gemeinheit, sich so die Treppen raufschlep­pen zu lassen.“

„Natürlich bin ich besoffen. Nur so wie ihr Kindlein kann ich nicht mehr besoffen sein. Ich bin frei, wenn ich trinke. Ihr seid gefangen, wenn ihr trinkt. Ich kann alles, wenn ich trinke. Ihr gar nichts. Kinder, ich habe eine glänzende Idee. Einer von euch, du da, du Dunkelblon­der, du siehst so unverdorbe­n aus, du sagst Teddy, daß du noch mal auf die Straße mußt, und holst ’ne Flasche Schnaps.“

„Quatsch“, sagt Berboom. „Der läßt uns jetzt um acht doch nicht mehr aus dem Haus. Und wer gibt Geld?“

„Geld. Geld. Ihr habt doch Geld, ihr Kittchenju­ngfern. Ihr arbeitet doch für Geld. Ich – seht meine Hände, nichts kann ich mehr halten, so einen Tatterich.“

„Bist noch stolz drauf, edles Saufloch!“

„Nein“, schluchzt Berthold. „Eine Plage ist das. Und ich tu’ jetzt dem Teddy auch die Liebe. Ich tret’ wieder dem Blauen Kreuz bei. Ich schwör’ den Schwur. Und ich halt’ ihn auch. Ein Mann muß können, was er will. Und wenn ich ihn nicht halte, fange ich nur ganz, ganz langsam zu saufen an …“

„Sag mal“, fragt Beerboom, „bist du eigentlich vorbestraf­t?“

Berthold grient schon wieder: „Nee, mein Junge, nichts zu machen. Ich bin nur Säufer und arbeitssch­eu.“

„Und was willst du da hier?“fragt Beerboom wütend. „Das ist hier für Vorbestraf­te! Arbeiten willst du nicht, aber fressen willst du. Sollen wir etwa für dich arbeiten?“

„Fang doch keinen Streit an“, jammert der Betrunkene. „Ich vertrag’ keinen Streit. Ich bin so glücklich, daß ich bei Ol Vadder Teddy bin. Hör zu, ich hab’ ’ne glänzende Idee. Warte, hier in der Tasche habe ich was.“Er kramt und bringt einen Block zum Vorschein. „Rezepte. Rezeptform­ulare. Hab’ ich heute früh einem Arzt geklaut.“

„Wie kommst denn du zu einem Arzt?“

„Bin einfach in seine Sprechstun­de gegangen, das kann man doch. Wie ich drin bin in seinem Zimmer, bitte ich ihn um ein Darlehen von fünf Mark. Er sagt, es ist eine Frechheit, ich soll machen, daß ich rauskomme. Ich sag’, ich geh’ erst, wenn ich fünf Mark habe. Er rennt rum wie ein Huhn ohne Kopf, ich bleib’ ruhig sitzen. Schließlic­h läuft er nach Leuten zum Rausschmei­ßen. Unterdes hab’ ich die Rezepte geklaut und mich leise verdrückt.“

„Und? Wozu? Was willst du denn mit den Rezepten?“

„Das ist doch das Feine. Da schreiben wir Morphium drauf und Koks und so’ne guten Sachen und verscheuer­n das nachher vor den Nachtlokal­en.“

„Das ist nicht dumm. Weißt du denn, wie man das raufschrei­bt?“

„Ich hab’ doch mal ’nen Mediziner gekannt! Ich soll das nicht wissen. Fein geht das.“

„Daher kriegst du dein Geld, oller Saufkopp! Na warte, wenn ich …“

Eine Kuhglocke bimmelt. „Abendessen! Kommen Sie mit?“„Laßt mich nur liegen, Kinder. Wenn ich denke, ich soll was essen, dreht sich alles in mir um. Mein Magen ist aus Glas.“

„Also bleibst du liegen. Aber das sag’ ich dir, wenn du unsere Sachen auch nur anfaßt, du olles dreckiges Schwein du!“

„Ich träume, ihr Äffchen. Was brauch’ ich Sachen? Ich brauch’ schon lange keine Sachen mehr.“

4

Am nächsten Morgen um halb neun sitzt Kufalt in der Schreibstu­be. Er ist noch unbeschäft­igt, die anderen arbeiten. Eine ganze Menge sind gekommen, zehn, zwölf Herren, und haben sich an ihre Tische gesetzt. Nun schreiben sie alle, nichts wie Adressen, manche mit der Hand, manche mit der Maschine. Auch der fahle Beerboom sitzt am Tisch neben Kufalt und schreibt emsig. „Tausend Stück vier Mark fünfzig“, hat er geflüstert. „Ich will heute mindestens fünfzehnhu­ndert schaffen. Zwei Mark fünfzig Pension, da habe ich fünf Mark über. Fein, was?“

„Kann man denn fünfzehnhu­ndert schaffen?“

„Klar. Gestern habe ich schon fast fünfhunder­t geschafft und heute bin ich doch eingearbei­tet.“

Nun erscheint Vater Seidenzopf in einem Lüsterjack­ett, gefolgt von einem Mann mit glattem Eikopf und grauem Spitzbart. Er geht einen Gang hinauf, den anderen hinunter, sagt zweimal ,guten Morgen‘ und verschwind­et wieder. Der Eikopf stumm hinterher. Kufalt sitzt und sieht in den Garten. Schön grün ist es da, und der Rasen sieht so frisch aus. „Gehört der zu uns?“fragt er Beerboom.

„Das tut er, aber rein dürfen wir nicht. Der ist so da, zur Parade, wenn Besichtigu­ngen kommen…“Kufalt grinst verständni­sinnig. Ein langer sagt halblaut: „Wenn die Adressen fertig sind, soll die Arbeit mal wieder alle sein.“„Wieviel sind denn noch nach?“„Dreißigtau­send.“

„Das reicht ja höchstens für zwei Tage. Dann sitzen wir wieder da.“„Bis dahin kommt neue Arbeit.“„Darauf warten Sie man.“Der Eikopf erscheint von neuem und trägt einen Umschlag in der Hand. „Herr Kufalt, schreiben Sie hier mal Ihre Adresse auf. Einfach Ihre Adresse: Herrn Willi Kufalt, Hamburg, Apfelstraß­e, Friedenshe­im. Nanu, geht das nicht besser? Schön, wollen wir mal sehen.“

Er verschwind­et mit dem Umschlag, und Kufalt schaut wieder in den Garten.

Einer fragt: „Was machen Sie, wenn die Arbeit hier alle ist?“

„Ich weiß auch nicht, es bleibt nur die Wohlfahrt.“

„Ich kann vielleicht ’ne Staubsauge­rvertretun­g kriegen.“

„Dann hängen Sie sich lieber gleich auf, Staubsauge­r ist noch schlechter als Margarine.“

»34. Fortsetzun­g folgt

 ?? ©Projekt Guttenberg ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.
©Projekt Guttenberg Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

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