Migräne: Eine Krankheit des Nordens?
Studie zeigt, dass die heftigen Kopfschmerzen und die Wanderbewegungen des Menschen in grauer Vorzeit zusammenhängen könnten
Leipzig/Cambridge/Helsinki Stress, Hormonschwankungen oder bestimmte Lebensmittel: Die Auslöser für eine Migräneattacke sind vielfältig und noch nicht umfänglich wissenschaftlich geklärt. Eine Studie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig könnte nun jedoch wichtige Hinweise für eine Ursache der anfallartigen Kopfschmerzen liefern: So berichten die Wissenschaftler, dass genetische Ursachen eine Rolle spielen könnten.
Und zwar geht es um Gene, die mit der Anpassung an kälteres Klima zusammenhängen könnten. Mit anderen Worten: Als unsere Vorfahren den warmen afrikanischen Kontinent verließen und sich auch in kälteren Gefilden niederließen, half ihnen ein bestimmtes Gen, sich an die neuen Wetterbedingungen anzupassen. Es führte aber gleichzeitig bedauerlicherweise dazu, anfälliger für Migräne zu sein. Migräne ist eine neurologische Erkrankung mit zahlreichen Symptomen, die von Lichtempfindlichkeit und Sehstörungen über Übelkeit und Erbrechen bis hin zu pulsierenden, halbseitigen und heftigen Kopfschmerzen reichen können.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht Migräne an sechster Stelle der am schwersten behindernden Erkrankungen des Menschen. Pro Tag haben allein in Deutschland rund eine Million Menschen mit Migräneattacken zu kämpfen. Erst Ende April hatten die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft neue Leitlinien zur Behandlung von Migräne vorgestellt. Dabei gaben sie an, dass in Deutschland etwa acht bis zehn Prozent der Männer und zehn bis 25 Prozent der Frauen an Migräne leiden. In der Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen nehme Migräne unter allen neurologischen Krankheiten gar den ersten Platz ein.
Global sollen über eine Milliarde Menschen betroffen sein. Wobei es im Weltbevölkerungsvergleich Un- terschiede gibt: In Europa und Amerika ist Migräne viel stärker verbreitet als in Afrika oder Asien. Eine mögliche Erklärung dafür liefert das Team um den Evolutionsgenetiker Felix Key vom MaxPlanck-Institut für evolutionäre Anthropologie. So gab es in den vergangenen 50 000 Jahren verschiedene Wanderungsbewegungen, in deren Verlauf Menschen aus Afrika etwa in die kälteren Breitengrade Europas und Asiens umsiedelten. „Diese Kolonisierung könnte durch genetische Anpassungen begleitet worden sein, die den frühen Menschen halfen, mit den niedrigeren Temperaturen umzugehen“, erläutert Genetikerin Aida Andres vom University College London. Zur Überprüfung dieser Vermutung nahmen die Wissenschaftler das Gen TRPM8 in den Fokus, das die Bauanleitung für einen Kälterezeptor ist, der Menschen erlaubt, mit kühlerem Wetter besser umzugehen. Sie entdeckten, dass eine Variante jenes Gens in den vergangenen 25 000 Jahren bei Bevölkerungsgruppen im Norden immer häufiger wurde. Das Erstaunliche ist: Die Forscher fanden heraus, dass nur fünf Prozent der Menschen mit nigerianischen Vorfahren über diese Genvariante verfügen – aber 88 Prozent der Menschen mit finnischer Abstammung.
Insgesamt nehme der Anteil der Menschen mit dieser Genvariante in höheren Breitengraden und mit kälterem Klima zu. Eben jene Variante wird nun von Forschern mit Migräne-Kopfschmerzen in Verbindung gebracht.
Migräne kommt allerdings nicht nur in bestimmten Breitengraden häufiger vor, sondern auch in bestimmten Familien. Auch diese Tatsache führen Wissenschaftler nun auf genetische Ursachen zurück. Sie fordern nun größere Studien, um mehr Genvarianten zu finden, die an der Entstehung von Migräne beteiligt sind. Das sei vor allem für die Entwicklung neuer Medikamente wichtig.