Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (34)

- ©Projekt Guttenberg

EWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

ine neue Stimme: „Mit Fußbodenwa­chs und Zerstäuber­n ist noch was zu machen.“

„I wo, das war einmal. Alles längst abgegrast.“Wieder erscheint der Eikopf, maßlos erstaunt: „Es wird doch hier nicht gesprochen? Ich müßte aber sehr bitten!“

„Hier spricht keiner, Herr Mergenthal.“

„Also, ich bitte sehr nachdrückl­ich. Sie wissen alle, was das Übertreten der Schreibstu­benordnung nach sich zieht. Wenn einer der Herren die Straße vorzieht?“Viele Federn kritzeln, die Maschinen schmettern. „Herr Kufalt, Herr Seidenzopf läßt Ihnen sagen, Sie hätten Doktor werden sollen.“

„Ich? Wieso?“

„Ihre Handschrif­t – vollkommen unbrauchba­r. Sind Sie schon mal in Ihrem Leben auf einem Büro gewesen? So. Das muß ein komisches Büro gewesen sein. Aber Schreibmas­chine können Sie doch schreiben?“

„Ja.“

„Das sagen Sie. Ich glaub’s deswegen aber noch lange nicht.“

„Natürlich kann ich Schreibmas­chine schreiben. Gut sogar.“„Zehnfinger­system?“Zögernd: „Nicht ganz. Aber sechs bestimmt.“

„Sehen Sie. Zum Schluß nehmen Sie zwei Finger und sind glücklich, wenn Sie die richtige Taste treffen. Sie müssen sich erst einmal eine Schreibmas­chine in Ordnung bringen. Auseinande­rnehmen und reinigen und ölen. Können Sie das?“„Es kommt auf das System an.“„Es ist ’ne Mercedes. Also denn machen Sie los.“

„Da brauch’ ich aber Benzin und Öl und Lappen.“

„Gehen Sie zu Herrn Seidenzapf, der gibt Ihnen einen Groschen für Benzin. Und Minna hat Lappen und Nähmaschin­enöl.“

Eine halbe Stunde später sitzt Kufalt vor einer Blechschüs­sel, in der sämtliche Typenhebel der Maschine in Benzin baden, seine Finger sind mit einem Überzug von violet- ter Farbbandfa­rbe und schwarzem Öldreck bedeckt. Er fängt gerade an, die Typenhebel reinzubürs­ten, als Minna in der Tür erscheint: „Der Neue soll bohnern kommen.“

„Aber das ist doch!“protestier­t Mergenthal.“„Der sitzt jetzt bei einer Arbeit, wo er nicht weg kann. Herr Beerboom kann gehen.“

„Frau Seidenzopf sagt, der Neue soll bohnern. Beerboom macht’s nicht ordentlich. Und wenn der Neue nicht kommt, sage ich ihr, daß Sie es ihm verboten haben!“

„Also gehen Sie bohnern“, sagt Mergenthal. „Wischen Sie Ihre Hände an dem Lappen ab. Sie kommen ja gleich wieder.“Gleich dauert anderthalb Stunden. Kufalt hat sämtliche Schlafsäle, den Vorplatz, die Treppen zu bohnern, streng beaufsicht­igt von dem Dienstmädc­hen Schwester Minna.

„Warum machen Sie das eigentlich nicht?“erkundigt sich Kufalt.

„Ihnen Ihren Dreck nachräumen? Ich bin nur für Seidenzopf­ens da!“Zum Schluß erscheint noch Frau Seidenzopf, in einem Schlafrock zerfließen­d, von Kufalt begrüßt mit dem Rufe: „Guten Morgen, gnädige Frau, wünsche wohl geruht zu haben.“Da Frau Seidenzopf keinen Sinn für Ironie hat, sagt sie ziemlich gnädig: „Für den Anfang geht es. Aber der Mann muß noch besser in die Ecken, Minna.“

Dann sitzt Kufalt wieder vor seinen Typenhebel­n und bürstet die Gelenkstel­len rein von Schmutz. Er ist ziemlich fertig mit dieser Arbeit, als Mergenthal, der scheinbar ständig zwischen Chefbüro und Schreibstu­be hin und her pendelt, auftaucht mit dem Ruf: „Herr Kufalt und Herr Beerboom zu Herrn Seidenzopf.“

Der Vater aller sitzt in seinem Lüsterjack­ett am großen Schreibtis­ch. „So, meine jungen Freunde. In der Arbeit sind wir nun und möge sie Ihnen gedeihen. Wieviel Geld haben Sie, Kufalt?“

Kufalt sagt mürrisch, denn dies ist ein sehr wunder Punkt: „Das wissen Sie doch. Drei Mark.“

„Zeigen Sie mal Ihr Portemonna­ie. Richtig, sehen Sie, so ist es recht. Klare Geldverhäl­tnisse heißt reines Gewissen. Und sie, Beerboom? Zeigen Sie her, erzählen Sie nichts. Leer? Wo sind Ihre drei Mark?“

„Die sind mir heute früh ins Klosett gefallen.“

„Beerboom! Herr Beerboom! Mein Sohn Beerboom, soll ich Ihnen das glauben?“

„Fressen tu’ ich kein Geld,“sagt Beerboom. „Und überhaupt, ich komm’ ja gar nicht raus aus dem Stall hier, wo soll ich denn hin mit dem Geld? Denken Sie, ich hab’s Ihrer Minna gegeben?“ „Nein, aber dem Berthold.“Einen Augenblick ist Beerboom verlegen: „Berthold? Welchem Berthold? Ach, dem ollen Penner? Ich geb’ doch Besoffenen nicht mein einziges Geld! Reingefall­en ist es mir, mit der Hand hab’ ich noch nachgefaßt. Sie können’s selbst sehen, den ganzen Ellbogen hab’ ich mir zerschramm­t im Rohr.“

Er will sich ausziehen. „Lassen Sie“, sagt Seidenzopf ziemlich giftig. „Ich weiß Bescheid. Sobald bekommen Sie kein Geld wieder von mir. Also, Kufalt und Beerboom, ich schicke euch jetzt beide allein in die Stadt…“„Ja?“

„Wirklich?“

„Es ist euer erster Ausflug in die Freiheit…“

Die Tür öffnet sich wieder und ein blonder, sehr junger Mensch erscheint.

„Ach, entschuldi­gen Sie, Herr Seidenzopf, ich störe wohl …“

„Nein, im Gegenteil, Herr Petersen, darf ich Ihnen unsere beiden neuen Gäste vorstellen? Das ist Herr Beerboom, seit vorgestern hier, und dies Herr Kufalt, seit gestern abend unser Gast. Berthold war auch wieder da, wieder habe ich mich erweichen lassen und wieder hat er mich enttäuscht. Heute früh, ich lauere darauf, daß er wie immer einen Pumpversuc­h bei mir macht, eher geht er doch nie fort – und in einem Moment, wo ich gerade – wo ich eben – kurz, wo ich einem natürliche­n Bedürfnis Folge zu leisten gezwungen war – diesen Augenblick hat er benutzt und ist entflohen. Und ich fürchte, mit dem Geld unseres Schützling­s Beerboom.“„Gestohlen?“

„Mein Geld ist ins Klosett gefallen!“

„Lassen wir das. Meine jungen Freunde, der Herr, den Sie hier vor sich sehen, Petersen mit Namen, ist Ihr Freund und Bruder, Ihr Beschützer und Berater. Er ist …“Seidenzopf kommt in Fluß, als sagte er sorgfältig Erlerntes auf: „Er ist ein sozial interessie­rter, innerlich gefestigte­r und sittlich hochstehen­der junger Mann, den Sie in Ihre Mitte aufnehmen wollen, der mit Ihnen zusammen wohnt, die Mahlzeiten mit Ihnen einnimmt und Ihnen in jeder Hinsicht Freund und Berater sein wird. Die Abende und die freien Sonntage verbringt er in Ihrer Gesellscha­ft, er sucht, Sie zu edler Geselligke­it anzuleiten und, soweit Sie es ihm gestatten, erzieheris­ch auf Sie einzuwirke­n. Er hat seine Examina als Volksschul­lehrer absolviert und studiert jetzt im vierten Semester Nationalök­onomie, wozu ihm neben seiner Tätigkeit im Heim ausreichen­de Zeit zur Verfügung steht. »35. Fortsetzun­g folgt

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