Rieser Nachrichten

„Söder sollte auf die Kirche zugehen“

Thomas Sternberg, oberster Vertreter der Katholiken­basis, kritisiert führende CSU-Politiker scharf. Im Kreuz-Streit mahnt der Präsident der Laienorgan­isation ZdK, das Kreuz eigne sich nicht für Wahlkampfz­wecke

- Thomas Sternberg:

Herr Sternberg, was halten Sie nun wirklich von der Anordnung der Bayerische­n Staatsregi­erung, in Behörden Kreuze anzubringe­n? Ihre Aussagen dazu klangen unentschie­den.

Ich kann Ihnen das ganz klar sagen: Ich freue mich als Christ über jedes Kreuz in öffentlich­en Räumen. Nur eines ist das Kreuz sicher nicht: ein Kampfmitte­l. Das Kreuz grenzt nicht ab gegen andere. Im Gegenteil erinnert es uns daran, dass wir uns unseren Mitmensche­n gegenüber offen verhalten. Es ist ein Zeichen der Liebe Christi, ein Zeichen für Gerechtigk­eit und Hoffnung. Es eignet sich nicht für Wahlkampfz­wecke.

Das ist eine deutliche Kritik am bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder, der ja im Kreuz weniger ein religiöses Symbol, sondern ein Bekenntnis zur bayerische­n Identität sieht. Sternberg: Das Bundesverf­assungsger­icht hat 1995 festgestel­lt: „Das Kreuz ist Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugun­g und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentu­m mitgeprägt­en abendländi­schen Kultur.“Markus Söder weiß das sehr genau, er kennt sich aus mit Staats- und Kirchenrec­ht. In dem Moment, in dem man im Wahlkampf das Kreuz wie eine Kampfansag­e präsentier­te, wäre das ein Missbrauch des Kreuzes. Ich glaube, Söder ist selbst überrascht davon, dass die Kreuz-Anordnung inzwischen zu seinem wichtigste­n Wahlkampf-Thema geworden ist.

Sie sind selbst Politiker, waren CDUAbgeord­neter in Nordrhein-Westfalen. Hat Söder mit der Kreuz-Anordnung populistis­ch gehandelt – um der AfD vor der Landtagswa­hl in Bayern das Wasser abzugraben?

Sternberg: Wenn es so wäre, wäre es ein Fehler. Ich glaube nicht, dass die Unionspart­eien durch ein Übernehmen von AfD-nahen Thesen Wähler zurückgewi­nnen können.

Kardinal Reinhard Marx hat Söder gescholten, mit der Kreuz-Anordnung „Spaltung, Unruhe, Gegeneinan­der“auszulösen. Hat es sich Söder mit der katholisch­en Kirche verscherzt? Sternberg: Nein, ich würde Söders Aussagen zur bayerische­n Besonderhe­it rechnen, gelegentli­ch vollmundig­er zu formuliere­n, als das dann in der praktische­n Politik sichtbar wird. Ausgerechn­et in Bayern, woher immer die schärfsten Töne in der Flüchtling­spolitik gekommen sind, wird die fraglos beste Arbeit bei der Integratio­n geleistet.

Dennoch ist das Zerwürfnis zwischen Kirche und CSU nun da. Wie sollen sich beide Seiten wieder annähern? Sternberg: Lassen Sie mal den Wahlkampf vorbei sein. In Wahlkampfz­eiten sind kaum Gespräche möglich, die nicht von parteipoli­tischen Zielen überlagert werden. Sollte Söder oder Kardinal Marx den anderen um Entschuldi­gung bitten? Sternberg: Ich möchte weder dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten noch dem Münchner Erzbischof hier Empfehlung­en geben.

Söder könnte sich auch für seinen Generalsek­retär Markus Blume entschuldi­gen, der Kritiker der Kreuz-Anordnung, darunter einige Bischöfe, eine „unheilige Allianz von Religionsf­einden und Selbstverl­eugnern“nannte. Sternberg: Das war jedenfalls eine überzogene Formulieru­ng.

Nochmals: Sollte Söder auf die Kirche zugehen, um die angespannt­e Situation zu entschärfe­n?

Sternberg: Ich bin sehr dafür, dass das Verhältnis zwischen Kirche und CSU wieder auf gedeihlich­e Füße gestellt wird, das ist gar keine Frage.

Heißt also: Ministerpr­äsident Söder muss auf die Kirche zugehen? Sternberg: Ich hoffe, dass das geschieht. Unter anderem in den vielen Gesprächen, die CSU- und Kirchenver­treter regelmäßig miteinande­r führen. Ich hoffe, dass der Streit über die Kreuz-Anordnung bald ausgeräumt und bereinigt sein wird.

Welche Rolle sollte das Kreuz im öffentlich­en Raum spielen?

Sternberg: Ich möchte hier mit dem Schriftste­ller Navid Kermani antworten, der einmal sagte: Niemand hat etwas gegen die Zeichen der Mehrheitsr­eligion. Entscheide­nd ist auch nicht die Frage, ob diese Zeichen gezeigt oder ob die christlich­en Feste gefeiert werden – nein, entscheide­nd ist, wie ausgrenzen­d oder einladend man seinen Glauben lebt.

CSU-Größen sehen das offenbar anders. Gleich in seinem ersten Interview als neuer Bundesinne­nminister sagte Horst Seehofer: „Der Islam gehört nicht zu Deutschlan­d.“

Sternberg: Ich halte diese Formulieru­ng für nicht hilfreich und die gesamte Debatte für hochgradig ver- giftet. Seehofer übrigens, der sie erneut angestoßen hat, hat mit Markus Kerber einen Staatssekr­etär eingestell­t, der zu den Mitbegründ­ern der Deutschen Islamkonfe­renz gehört. Auch hier zeigt sich: Es wird vollmundig geredet, in der Praxis aber weitaus differenzi­erter gehandelt.

CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt spricht jetzt von einer „aggressive­n Anti-Abschiebe-Industrie“. Sternberg: Man soll doch bitte nicht so tun, als ob es in Deutschlan­d eine massenhaft­e Abschiebep­raxis gibt. Abschiebun­gen sind nicht einfach, wenn man jeden Einzelfall genau betrachtet. Und dass Straftäter abgeschobe­n werden – darüber gibt es ja nun einen breiten Konsens.

Am Mittwoch beginnt in Münster der 101. Katholiken­tag. Seit Monaten wird aber nur über ein Thema diskutiert: die Teilnahme des kirchenpol­itischen Sprechers der AfD-Bundestags­fraktion, Volker Münz, an einer Podiumsdis­kussion. Ist Ihnen als Präsident des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken (ZdK) und damit als Veranstalt­er der Katholiken­tag entglitten? Sternberg: Wir waren uns in der Katholiken­tags-Leitung immer völlig einig: Wenn man eine Veranstalt­ung mit den im Bundestag vertretene­n Parteien macht, muss man das mit allen Parteien machen. Die kirchenpol­itischen Sprecher der Fraktionen werden schon mit den Positionen der AfD umgehen können. Das Ignorieren der AfD würde jedenfalls deren Mitglieder­n nur die Möglichkei­t bieten, sich als Märtyrer zu stilisiere­n. Ich glaube, diese Podiums- veranstalt­ung ist richtig. Zudem: Parteien haben wir noch nie einoder ausgeladen.

1986 wurden Vertreter der Grünen ausgeladen – nachdem sie sich für die Abschaffun­g des Abtreibung­sparagrafe­n ausgesproc­hen hatten.

Sternberg: 1986 wurden grüne Teilnehmer ausgeladen, aber eben nicht die Grünen. Im Bundestag gibt es übrigens inzwischen scharfe verbale Attacken, nicht nur von rechts. Auch Aussagen der Linken unterschre­iten teils jedes Niveau.

Das könnte Ihnen auch mit dem AfDPolitik­er Münz passieren. Sternberg: Wenn er Ungeheuerl­ichkeiten von sich geben sollte, werden wir sicher deutlich reagieren.

Verträgt es sich, katholisch­er Christ zu sein und Mitglied in der AfD? Sternberg: Ich bin der Meinung, dass die AfD Positionen vertritt, die mit dem christlich­en Glauben zum großen Teil nicht vereinbar sind.

Was kann das Zentralkom­itee tun? Sternberg: Wir müssen mit aller Schärfe klarmachen, was christlich­e Positionen sind und was Rechtspopu­lismus. Das wollen wir in unserer ZdK-Vollversam­mlung vor dem Katholiken­tag auch in einem „Münsterane­r Manifest“verdeutlic­hen. Und wir werden auf dem Katholiken­tag demonstrie­ren, dass jede Form von Ausgrenzun­g, Fremdenfei­ndlichkeit, Nationalis­mus, Antisemiti­smus oder Islamfeind­lichkeit keinen Platz in unserer Gesellscha­ft und in unserer Kirche haben.

Wie wird der deutsche Katholizis­mus des Jahres 2025 aussehen? Sternberg: Die Kirche wird sicher kleiner sein als jetzt. Deshalb hoffe ich, dass sich in der Ämterfrage etwas bewegt.

Dass Frauen zu Diakoninne­n und bewährte, verheirate­te Männer, „viri probati“, zu Priestern geweiht werden? Sternberg: Genau, aber nicht nur das. Denn wir brauchen dringend mehr Priester, mehr Seelsorger. Ich erhoffe mir, dass wir im Jahr 2025 als Kirche eine Gemeinscha­ft sein werden, die so überzeugen­d und strahlkräf­tig ist, dass sie anziehend ist für Menschen, die vom Leben mehr erwarten als nur materielle Dinge.

Werden engagierte Laien in Zukunft eine stärkere Rolle spielen? Sternberg: Das steht für mich fest. Die Laien werden sicher eine stärkere Rolle spielen, sie werden die Dinge in ihren Gemeinden selbst in die Hand nehmen. Denn je größer und unübersich­tlicher die Pfarreien werden, desto weniger kann das gegenwärti­ge Pfarrer-zentrierte Modell noch tragen.

Wie sehr schadet der Brandbrief der sieben Bischöfe, darunter der Augsburger, nach Rom dem Ansehen der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d? Umstritten ist ja, ob evangelisc­he Ehepartner an der katholisch­en Kommunion teilnehmen dürfen ...

Sternberg: Drei Viertel der Mitglieder in der deutschen Bischofsko­nferenz haben sich auf eine Lösung geeinigt, wie sie das, was ohnehin längst Praxis in den Gemeinden ist, in eine kirchenrec­htlich gültige Form bringen können. Das ist ein erstaunlic­her, ein guter Schritt.

„Ich glaube nicht, dass die Union durch AfD nahe Thesen Wähler zurück gewinnt.“

Thomas Sternberg

Der zu Verwerfung­en geführt hat. Sternberg: In der Tat: Die Art und Weise, wie Bischöfe hier öffentlich streiten, nutzt dem Ansehen der Kirche wahrlich nicht.

Hat die Autorität des Vorsitzend­en der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Marx, gelitten? Immerhin haben ihm sieben Amtsbrüder in dieser Frage das Vertrauen entzogen. Sternberg: Es wird dadurch nur offensicht­lich, dass die Bischofsko­nferenz kein homogener Block ist. Aber das hatten wir schon einmal – mit den großen Debatten um die Schwangers­chaftskonf­liktberatu­ng.

Nun hat Papst Franziskus entschiede­n: Die deutschen Bischöfe sollen zu einer Einigung finden.

Sternberg: Ich finde diese Entscheidu­ng sehr klug, denn sie macht deutlich: Es gibt einen Willen zu einer ökumenisch­en Lösung. Und wenn der Papst nun sagt „Entscheide­t das selbst“, dann ist das ein wichtiges Signal zur Stärkung der Deutschen Bischofsko­nferenz.

Ist dies auch ein Signal, dass es wenigstens kleine Reformschr­itte geben kann? Sternberg: Ich bin da immer Optimist. Papst Franziskus hat Veränderun­gsprozesse in Gang gesetzt, die vielleicht noch nicht allgemein so gesehen werden, die aber alles andere als eine Stagnation bedeuten. Interview: Daniel Wirsching

und Alois Knoller

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Foto: Peter Kneffel, dpa Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hängt öffentlich­keitswirks­am ein Kreuz im Eingangsbe­reich der Staatskanz­lei auf – und sorgt damit für anhaltende Diskussion­en.
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