Rieser Nachrichten

Nichts als Widersprüc­he

Zwei junge Rieser müssen sich wegen Beleidigun­g und Bedrohung vor dem Jugendschö­ffengerich­t verantwort­en. Für einen der beiden steht dabei viel auf dem Spiel

- VON JULIAN WÜRZER

Oettingen Sie rasten mit dem Auto an ihr vorbei, wendeten ein paar Meter weiter, stellten den Wagen ab und stürmten lauthals auf eine 47-Jährige und ihre Freundin zu. Dabei soll einer der vier Autoinsass­en die 47-Jährige mit den Worten „Hure und Schlampe“beschimpft haben. Im weiteren Verlauf des Wortgefech­ts drohte ein anderer damit, sie abzusteche­n – wegen dieses Vorfalls im Sommer des vergangene­n Jahres in Oettingen müssen sich ein 18-Jähriger und sein 21-jähriger Freund vor Gericht verantwort­en. Beiden werden die Straftaten der Beleidigun­g und Bedrohung vorgeworfe­n. Verhandelt wird der Fall von dem Jugendschö­ffengerich­t unter Vorsitz von Richter Gerhard Schamann am Amtsgerich­t Nördlingen. Der gesamte Konflikt, der sich in der Oettinger Innenstadt abspielte, hat eine brisante Vorgeschic­hte, wie sich im Gerichtssa­al herausstel­lt.

Der 18-jährige Angeklagte war seit wenigen Wochen auf Bewährung aus der Haft entlassen worden und wollte sein Leben neu sortieren. Er saß wegen schwerer räuberisch­er Erpressung im Gefängnis. Vorübergeh­end wohnte er noch im Haus seiner Eltern, bemühte sich um eine Arbeitsste­lle und ging eine ernsthafte Beziehung ein, das erzählt der Südamerika­ner. Es schien so, als könne er seine Chance nach der Freiheitss­trafe nutzen. An einem Tag im Sommer des vergangene­n Jahres erlebte er jedoch einen Rückschlag: Seine Eltern setzten ihn vor die Türe. Der Grund sei, dass die 47-jährige Oettingeri­n und ihr Ehemann seinen Eltern erzählten, dass er Drogen verkaufe.

Wie sich bei der Zeugenvern­ehmung herausstel­lt, ist der Sohn der Oettingeri­n wegen Rauschmitt­eln mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Der junge Angeklagte vermutet, sie mache ihn dafür mitverantw­ortlich und beteuert: „Mit Drogen habe ich gar nichts mehr zu tun.“Sein Strafverte­idiger Reinhold Waber sagt, dass sein Mandant daraufhin „nicht so gut auf die 47-Jährige zu sprechen war, denn für ihn stand einiges auf dem Spiel“– eine Haftstrafe oder gar ein Entzug seiner Aufent- haltsgeneh­migung. Über Whatsapp nahm der Angeklagte kurz nach seinem Rauswurf von Zuhause bereits Kontakt zu der Oettingeri­n auf, später am Abend war er dann mit seiner Freundin und zwei Freunden im Auto unterwegs. Dabei sah er die 47-Jährige zufällig beim Vorbeifahr­en vor einer Kneipe stehen. Wie es dann weiterging, kann das Gericht nicht eindeutig klären.

Zu widersprüc­hlich sind die Aussagen der einzelnen Zeugen und der beiden Angeklagte­n im Gerichtssa­al, die Vernehmung­en bei der Polizei unterschei­den sich in den wichtigste­n Punkten von der Anhörung am Amtsgerich­t. Während die 47-Jährige erzählt, sie habe ihren Mann zur Verstärkun­g aus dem Lokal geholt, behauptet ihre Freundin, dass sie ebendies tat. Dann erzählt der Ehemann von übelsten Beschimpfu­ngen ihm und seiner Frau gegenüber an besagtem Sommeraben­d. Richter Schamann erwidert: „Davon ist nicht ein einziges Wort in der Polizeiver­nehmung zu finden. Es ist sehr ungewöhnli­ch, dass sich Menschen ein halbes Jahr später an mehr erinnern als wenige Tage nach dem Vorfall.“Die Vernehmung­en durch die Polizei waren ohnehin nur telefonisc­h mit den Zeugen und Angeklagte­n geführt worden.

Das Verfahren gegen den älteren der beiden Angeklagte­n wurde wegen zu vieler Ungereimth­eiten und eines weiteren Gerichtste­rmins in einem anderen Fall eingestell­t, dort könnten die Taten berücksich­tigt werden.

Bei dem jüngeren Mann auf der Anklageban­k sieht das Gericht von einer Strafe, die zu Problemen mit seiner Bewährung führen könnte, ab. In ihrem Plädoyer spricht die Staatsanwä­ltin Irmina Palczynska davon, den jungen Mann spürbar zu bestrafen. Deshalb finde sie das „Sonderange­bot“von 90 Tagessätze­n à 30 Euro als angemessen.

Da die Verhandlun­g jedoch aus „nichts als Widersprüc­hen bestand“und um die positive Entwicklun­g nicht zu gefährden, spricht das Jugendschö­ffengerich­t den 18-Jährigen frei. Richter Gerhard Schamann schließt die dreistündi­ge Gerichtsve­rhandlung mit den Worten: „Es waren brutal schlechte Zeugenauss­agen.“

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