Brunetti muss entscheiden
Der 27. Fall geht auch ins Private
Bei Donna Leon rechnet man schon lange nicht mehr mit einem deftigen Krimi. Auch Brunettis 27. Fall macht da keine Ausnahme. Ja, es kommt ein Opfer vor. Aber lange wissen weder Brunetti noch die Leser, wie der harmlose Buchhalter zu Fall gekommen ist. Viel mehr Raum als die Ermittlungen interessieren in diesem Buch der Alltag im von Touristen überrannten Venedig, das erstaunlich stabile Privatleben der Brunettis, die Intrigen rund um den Vize-Questore Patta, die Widersprüche in der Gesellschaft und auch die Rolle der ebenso attraktiven wie rätselhaften Signorina Elettra, deren Schönheit nur vergleichbar ist mit der von Claudia
Grifoni, der temperamentvollen Neapolitanerin. Beide Damen übrigens sind Brunetti herzlich zugetan. So könnte der Titel „Heimliche Versuchung“auch auf mögliche Techtelmechtel des Familienvaters mit einer der beiden Schönen hinweisen. Da legt Donna Leon gekonnt eine Fährte, die jedoch in die Irre führt. Eigentlich geht es um ganz andere Dinge, oberflächlich banale Unregelmäßigkeiten, die dem Staat viel Geld kosten. Wie entscheidet sich der Staatsdiener Brunetti? Bis es zur Nagelprobe kommt, begibt sich der Commissario in mehrere Sackgassen, tritt in einige Fettnäpfchen und strapaziert mit Monologen über Antigone die Geduld der Leser. Trotzdem werden treue Fans ungeduldig auf den 28. Fall „ihres“Commissario warten, um wieder mit ihm durch Venedig zu streifen.