Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (47)

- ©Projekt Guttenberg

DWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

rei Mark zehn habe ich noch ausgelegt.“

„Kriegen Sie gleich wieder. Wie ist es, haben Sie vielleicht Zange und Brecheisen, daß ich die Kisten aufmachen kann? Nein, nicht? Gar nichts? Aber Sie müssen doch so was im Haus haben! Wirklich nicht? Wo ist denn die nächste Eisenhandl­ung? Schön. Zehn Minuten vor sieben, da muß ich laufen. Sie warten hier so lange, Beerboom, ich bin gleich wieder da.“

Er läuft. Seine Backen glühen. Guter Gott im Himmel, zwei Kisten, ein großer Koffer, ein Handkoffer, zwei Kartons – und vor sechs Wochen in der kahlen Zelle, mit nichts, ohne alles. ,Ich komme mir‘, jubiliert er. ,Was in den Kisten wohl drin sein mag? Ich bin ja sooo gespannt!‘

Hammer und Zange in der einen, das Brecheisen in der andern Hand, stürmt er die Treppen wieder hinauf. Er klingelt, hinter der Tür tuschelt es, weinerlich die alte, spitz eine junge Stimme (,das ist nicht die

Stimme vom Herzgesich­t!‘), er klingelt wieder, heftigeres Tuscheln, noch einmal geklingelt, nun aber feste!!!

„Das hat ja endlos gedauert! Wo ist denn mein Freund? Schon fortgegang­en? Wieso fortgegang­en? Was haben Sie denn? Was ist denn los?“

Die Alte sagt zitternd, stammelnd: „Ach bitte, lieber Herr, tun Sie mir die Liebe, ziehen Sie gleich wieder aus. Ich gebe Ihnen auch all Ihr Geld wieder.“

Kufalt versteht gar nichts: „Ausziehen? Aber wieso denn?“

Sie stottert: „Was mein Sohn ist, mein Schwiegers­ohn – wir brauchen das Zimmer, er kommt gleich.“

„Sie brauchen das Zimmer? Sie haben mir das Zimmer vermietet!“

„Lieber Herr, machen Sie mich nicht unglücklic­h, ziehen Sie aus!“

„Ich denke ja gar nicht daran! Jetzt am späten Abend…“

Da ertönt eine spitze Mädchensti­mme hinter der Tür: „Wenn der Herr nicht gleich zieht, rufen wir die Schupo. An solche braucht man nicht vermieten. Ihr Freund hat selbst gesagt, er ist ein Raubmörder.“Pause, dann gesteigert, fast schreiend: „Und Sie sind auch aus dem Zuchthaus!“

Kufalt steht einen Augenblick da. Er macht einen raschen Schritt gegen die Tür. Dann merkt er, daß er neben einem Spiegel steht. Nun gut, das ist er also. Da steht er. Es ist schon Dämmerung, aber da steht er. Komisch, der Hammer tanzt ein bißchen in der Hand, hebt sich an, als wollte er schlagen. Er zittert, er ist aufgeregt, natürlich, da kann man schon aufgeregt sein – oder etwa?

Plötzlich sieht er – auch im Spiegel – die dunklen, angstvolle­n Augen der Frau Wendland, ihr schneeweiß­es Gesicht.

„Erledigt“, sagt Kufalt und faßt den Hammer wieder fester. „In spätestens einer Stunde hole ich meine Sachen. Geben Sie das Mietgeld her. Los!“

Es ist abends neun Uhr. Kufalt steht vor einer Kiste und überlegt, ob er sie noch aufbrechen darf. Vielleicht stört er Nachbarn, die Wirtin. Er darf nicht wieder Stunk haben, so was schwatzt sich herum. Nun gut, wenn es herauskomm­t, wird er wieder ausziehen müssen, wahrschein­lich wird er noch oft umziehen müssen, es wird immer irgendwie rauskommen.

Schön. Er wüßte gerne, was in dieser Kiste ist, aber er wagt es nicht. Er steht so da, die Fenster sind offen, es ist angenehm viel Luft im Zimmer, auch Friedenshe­im war stets wie Zelle. Jetzt hat er Luft genug und ein großes, offenes Fenster und ein weißes Bett. Aber er wagt es nicht.

Es ist eine große, hagere Frau, bei der er gemietet hat. Eine Arbeiterfr­au, auch Witwe, Frau Behn, Witwe Behn. Fünfundzwa­nzig Mark, und das Zimmer blitzt nur so. Eine zerarbeite­te Frau, das Gesicht nicht sehr gut, etwas wüst und böse, magere gierige Hände, gebogene Finger.

,Hierbleibe­n‘, denkt er. ,Eine Weile in Ruhe hierbleibe­n. Sie hat mir doch wahrhaftig in der kurzen Zeit, in der ich die Sachen holte, einen Strauß Flieder aufs Zimmer gestellt. Hoffentlic­h halte ich es immer aus. Es war schlecht, daß die Junge so eine spitze Stimme hatte, und ich hielt grade den Hammer in der Hand. Na ja, es ging noch mal.‘ Es klopft.

„Herein.“

Die Tür geht auf. Ein junges Mädchen steht in der Tür.

„Darf ich Ihnen noch eine Tasse Tee bringen?“

Sie kommt schon herein, trägt ein Tablett, der Löffel klirrt leise auf der Untertasse.

Sie ist zierlich und rasch, sie hat blondes Haar, ein Herzgesich­t…

„Ich bin die Tochter von Frau Behn. Schön willkommen.“Sie gibt ihm die Hand.

„Ja, danke“, sagt er und sieht sie an.

„Nun wissen wir nicht, nehmen Sie Zitrone oder Milch zum Tee?“

„Ja danke“, sagt er. „Sehr gut. Sehr gut.“

Sie sieht ihn an, sie wird ein bißchen rot. Ihre Unterlippe drückt sich fester gegen die Oberlippe. „Oder nehmen Sie gar nichts?“lacht sie plötzlich.

„Nein, natürlich gar nichts“, lacht auch er. Dabei sieht er sie weiter an. „Sehr schön das Zimmer“, sagt er. Aber vielleicht war es nun zu viel. „Sonst haben Sie alles?“fragt sie. „Mutter hat sich schon hingelegt. Gute Nacht.“

„Gu–te – Nacht!“

2

Als Kufalt am nächsten Morgen auf die Schreibstu­be kommt, sitzt Beerboom schon an seinem Platz und schmiert, die Schultern hochgezoge­n. Von hinten faßt Kufalt ihn und zieht ihn hoch. Schon sieht er wieder den weinerlich­en, flehenden Blick: Beerboom ist unglücklic­h, daß ihm alles verquer geht.

„Beerboom, Idiot“, sagt Kufalt und nimmt nicht die geringste Rücksicht auf die geheiligte Ordnung der Schreibstu­be. „Wenn’s Ihnen noch einmal einfallen sollte, meiner Wirtin oder irgendeine­m Menschen im Hause zu erzählen, daß Sie ein Raubmörder sind –: ich kriege Sie und …“Er schüttelt ihn.

Beerbooms Körper wird unter seinen Fäusten ganz weich, er wankt hin und her, wie knochenlos.

„Pssst!“macht Mergenthal. „Herr Kufalt, ich muß doch sehr bitten…“

„Sie sind ein Idiot!“sagt Kufalt zu Beerboom. „Aber wenn Sie zehnmal ein Idiot sind, ich verdresche Sie derartig!“

„Ich will’s ja auch nicht wieder tun“, bereut Beerboom. „O Gott, was bin ich unglücklic­h! Sie war so teilnahmsv­oll, ich dachte, sie hätte Mitleid mit uns. Sie hat gefragt, warum wir so ’ne gelbe Farbe hätten, wir arbeiteten wohl in einer chemischen Fabrik, und da habe ich…“

„Idiot!“sagt Kufalt, gibt Beerboom noch einen abschließe­nden Stoß und setzt sich. „Noch mal vermasseln Sie mir nischt. Ich schlag’ Sie tot, verstehen Sie!“

„Jetzt bitte ich aber endgültig um Ruhe“, sagt Mergenthal. „Sonst rufe ich Herrn Seidenzopf. Berboom seufzt schwer. Und schreibt.

»48. Fortsetzun­g folgt

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