Die „Bischöfin der Herzen“geht in Rente
Margot Käßmann ist die populärste Vertreterin der evangelischen Kirche. Auch ein Skandal hat das nicht geändert
Hannover Sie lässt einfach nicht locker: Unermüdlich wirbt Margot Käßmann für den Glauben und spricht dabei aus persönlicher Überzeugung statt in theologischen Floskeln. Damit erreicht sie ein breites Publikum abseits der Kirchenbänke. Das ist ein Grund für ihre anhaltende Popularität. Am Sonntag wird Deutschlands bekannteste Theologin 60 Jahre alt und nur vier Wochen später wird sich die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in den Ruhestand verabschieden. Es ist der vorläufige Schlusspunkt einer erstaunlichen kirchlichen Karriere.
Nach der spektakulären Wahl der vierfachen Mutter zur jüngsten deutschen Bischöfin 1999 avanciert die mediengewandte und charmante Käßmann schnell zum Aushängeschild der evangelischen Kirche. Sie wolle eine fröhliche, lebensnahe Kirche, „die sich auch einmischt in die Fragen dieser Zeit“, sagt sie. Kinderarmut, Pflegenotstand oder der Umgang mit Flüchtlingen – zu allen drängenden Themen bringt Käßmann die Positionen der Kirche auf den Punkt. Von der Kanzel aus tut sie dies ebenso überzeugend wie in TV-Talkshows, ihre Ansichten sind im öffentlichen Diskurs gefragt. Als Person verbirgt sie sich nicht hinter ihrem Amt. Auch schwere Krisen wie eine Krebserkrankung und ihre Ehescheidung versteckt sie nicht, eine Zeitschrift bestimmt sie zur „Frau des Jahres“.
2009 steigt die Theologin mit einem gewissen Hang zur Selbstdarstellung zur EKD-Chefin auf. Kritik erntet sie für ihre Einschätzung: „Nichts ist gut in Afghanistan.“Dann der tiefe Fall: Im Februar 2010 wird Käßmann nach dem Überfahren einer roten Ampel in ihrem Dienstwagen gestoppt. Sie ist angetrunken. Um Glaubwürdigkeit und moralischen Anspruch zu wahren, tritt Käßmann als Bischöfin von Hannover und EKD-Vorsitzende zurück, nimmt sich eine Auszeit in den USA – obwohl etliche die „Bischöfin der Herzen“zurückwollen.
Zwei Jahre später kehrt Käßmann zumindest als Botschafterin der EKD für das 500-jährige Reformationsjubiläum zurück. Ihre Aufgabe und die Themen, zu denen sie weiterhin das Wort führt, sind in diesen Jahren klar umrissen. Ihren Nachfolgern soll sie nicht in die Parade fahren, es wird etwas ruhiger um die nimmermüde Theologin. Allerdings erreicht Käßmann parallel als Autorin dutzender populär-theologischer Bücher ebenfalls viele Menschen. Auf evangelischen Kirchentagen bleibt sie ein gefeierter Publikumsmagnet. Und auch wenn so manchen in der auf Pluralität bedachten evangelischen Kirche der Personenkult um Käßmann störte – an ihre Strahlkraft kommen ihre Nachfolger in Spitzenämtern kaum heran. „Mit Integrität und missionarischer Begabung füllt sie wie weiland Martin Luther Kirchen und Vortragssäle und versucht, in den Menschen die Fackel evangelischer Frömmigkeit zu entzünden“, heißt es im Klappentext eines ihrer Bücher zum Phänomen Käßmann. Darauf angesprochen, weist sie den Vergleich aber lachend von sich – das gehe nun doch zu weit.
Nun nutzt die Theologin die Möglichkeit des niedersächsischen Beamtenrechts, ab dem 60. Geburtstag mit Abzügen in Pension zu gehen. Mehr Ruhe zum Lesen und Schreiben erhofft sie sich vom Ruhestand – und vor allem mehr Zeit für ihre Enkelkinder. Seit ihrem Weggang aus Hannover lebt Käßmann in Berlin und auf Usedom.
Michael Evers, dpa
Eine Alkoholfahrt wurde zum Tiefpunkt