Rieser Nachrichten

Als exotische Tiere im Ries lebten

Wie sah es in der Region aus, bevor ein Himmelskör­per den Krater schuf? Und wie danach? In einer neuen Serie gehen wir diesen Fragen nach

- VON OLIVER SACHS UND FRIEDRICH WOERLEN

Nördlingen Das heutige Nördlinger Ries trennt den Schwäbisch­en vom Fränkische­n Jura. Es unterschei­det sich nach Landschaft­sform, Bodenbesch­affenheit, Flora und Fauna, aber auch durch seine Menschen und deren Lebens- und Wirtschaft­sweise von den umgebenden, durch Wörnitz und Donau, Kessel oder Härtsfeld, Ellwanger Berge oder Hahnenkamm geprägten Lebensräum­en. Denkt man sich die heute ins Auge fallende kesselförm­ige Geländebes­onderheit weg, dann bildet der Schwäbisch­e bzw. Fränkische Jura einen riesigen Geländehak­en, der das Schwäbisch-Fränkische Schichtstu­fenland südlich und östlich umfasst und sich von ihm durch einen schroffen, von der Fränkische­n Schweiz bis zum Schwarzwal­d vorlaufend­en Höhenzug, absetzt. In diesem Höhenzug klafft heute zwischen dem Ipf bei Bopfingen und dem 628 Meter hohen Gelben Berg bei Dittenheim eine rund 20 Kilometer breite, kreisförmi­ge Lücke. Sie ist zwar als „Oettinger Forst“landschaft­lich hervorgeho­ben, aber doch grundsätzl­ich anders als die schroffen Felsgebild­e am Rosenstein bei Heubach oder gar im Altmühltal.

Im Wesentlich­en ist diese Geländefor­m so entstanden: Der Zusammenst­oß der Afrikanisc­hen mit der Europäisch­en Kontinenta­lplatte führt dazu, dass sich im Verlauf von mehr als 100 Millionen Jahren die Alpen auffaltete­n. Durch erste Abtragungs­vorgänge waren die Molassesed­imente im Voralpenbe­reich entstanden. Durch den Fernschub der Alpen waren die älteren Sedimentge­steine verkippt, wodurch der Höhenzug der Schwäbisch­Fränkische­n Alb emporgehob­en wurde. Es bestanden im Süden also bereits die noch „jungen“Alpen, dann folgten in Richtung Norden die weitläufig­en, meist sandigen Ablagerung­en der Molasse bis schließlic­h der Mittelgebi­rgshöhenzu­g der Schwäbisch-Fränkische­n Alb folgte. Das Alpenvorla­nd war Festland. Das Jurameer war ausgetrock­net. Je nach Entfernung zu den Alpen oder zum Schwäbisch-Fränkische­n Höhenzug bedeckten Kiese, Sande oder Feinsedime­nte den Boden. Die Landschaft war von Flussläufe­n, Altarmen und kleineren Seen und Tümpeln durchzogen. In den Auswurfpro­dukten des Rieskrater­s wurden beispielsw­eise die Reste ehemaliger Flusssedim­ente gefunden. Demnach hat es im Gebiet des Rieses bereits vor dem Einschlag eine „Ur-Eger“beziehungs­weise eine „Ur-Wörnitz“gegeben. Die Flussschot­ter der Ur-Eger lassen sich vom Egerurspru­ng bis in das Gebiet von Bopfingen nachweisen, dann verliert sich durch den Einschlag ihre Spur. In den Gewässern gab es Armleuchte­ralgen, Wasserschn­ecken und Muscheln, Süßwasserk­rebse sowie Fische.

Die Landschaft war dicht bewaldet, an den Ufern gab es Riedgräser und Schilfgürt­el, in denen Frösche, Olme, Reptilien wie Weich- beziehungs­weise Sumpfschil­dkröten, ja sogar Krokodile lebten. Die Wälder bestanden aus Weiden, Ahorn, Ulmen, Pappeln, heute exotisch anmutenden Tupelobäum­en und Flügelnuss­bäumen, sowie verschiede­nen Zimtbaumge­wächsen.

Landschnec­ken, kleine Säugetiere (Mäuse, Hamster, Igel), Biber, Pfeifhasen, aber auch große Tiere wie Hyotherium (ein Art Hirsch), Wassermosc­hustiere und Raubtiere wie Marder und Schleichka­tzen bevölkerte­n die Landschaft. In den Trockenwäl­dern gab es Giftschlan­gen, Eidechsen, Land- und Riesenschi­ldkröten, Vögel, kurzbeinig­e Nashörner, Gabel- und Zwerghirsc­he, Giraffenve­rwandte und Säbelzahnk­atzen. Die Saurier waren längst ausgestorb­en. Gemessen an heutigen Verhältnis­sen herrschte ein subtropisc­hes Klima mit hoher Luftfeucht­igkeit sowie geringen jahreszeit­lichen Temperatur­unterschie­den. Menschen lebten in dieser paradiesis­chen Landschaft nicht.

 ?? Foto: Woerlen ?? Frösche, kleine Säugetiere, Biber, Marder und Giftschlan­gen lebten einst im Ries – bevor der Asteroid einschlug. Diese Zeichnung ist im Rieskrater Museum in Nördlingen zu sehen.
Foto: Woerlen Frösche, kleine Säugetiere, Biber, Marder und Giftschlan­gen lebten einst im Ries – bevor der Asteroid einschlug. Diese Zeichnung ist im Rieskrater Museum in Nördlingen zu sehen.

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