Zerstört, um nicht in Feindes Hand zu fallen
Von der Burg Wallerstein ist nicht viel übrig geblieben. Am 15. März 1648 wurde das Bauwerk niedergebrannt. Eine Spurensuche zusammen mit Archivar Hartmut Steger
Wallerstein Über die ganze Landschaft hinweg ragt der „Felsen“von Wallerstein. Von hier aus wirkt der Kirchturm der St.-Georgs-Kirche in Nördlingen wie ein kleines Legogebäude, bei schönem Wetter zeigt sich sogar der äußere Kraterrand am Horizont und gar nicht auszumalen, wie geeignet der Platz ist, um einen Sonnenuntergang an einem warmen Abend mitzuverfolgen. Vor 370 Jahren war der Platz ebenfalls ein Aussichtspunkt – einer, um umliegende Burgen und Schlösser zu sehen, etwa Alerheim oder Hohentrüdingen, und um Feinde frühzeitig zu erspähen. Denn dort, wo heute Romantik und Wärme zu spüren ist, ereignete sich am Ende des Dreißigjährigen Krieges, am 15. März 1648, etwas Schreckliches – der Beginn der Zerstörung der Burg Wallerstein.
Recherchen zu dem Thema in verschiedenen Archiven und Gespräche mit einzelnen Geschichtsexperten aus der Region führen immer wieder zu einer Person, Hartmut Steger. Der frühere Lebensmittelchemiker hat in seinem Ruhestand als Archivar in Harburg gearbeitet und befasst sich seit Jahren mit den Geschehnissen auf dem „Felsen“in seinem Wohnort. Seine Arbeit hat er in einem Buch „Der Felsen – Das Wahrzeichen von Wallerstein, Entste- und Geschichte“zusammengefasst, das auch als Grundlage des Artikels dient.
Mit seinem Werk in der Hand steht Hartmut Steger vor einem weißen Holztor auf dem Gelände der Brauerei Fürst Wallerstein. Umliegend sorgen Gabelstapler bei der Verladung von Getränkepaletten für Lärm, Autos fahren an und wieder ab, es herrscht Arbeitsalltag. Ein paar Meter hinter dem weißen Tor ist davon nichts mehr zu hören – Vögel zwitschern, Insekten summen und das Tageslicht fällt durch das dichte Grün. Ein Weg führt direkt auf einen riesigen Steinfelsen, an dem eine Tafel hängt: die Felsenordnung. „Das Betreten des gesamten Areals erfolgt auf eigene Gefahr“ist darauf zu lesen, aber auch: „Kein Kletterfelsen!“.
Steger bleibt stehen und blickt nach oben. „An dieser Stelle stand vermutlich früher ein Turm, es könnte sein, dass der Felsen ein Teil des Turmes war“, sagt er. Der wurde vermutlich als Gefängnis genutzt, insbesondere für vermeintliche Hexen. Wenn der 83-Jährige erzählt, beschleicht einen das Gefühl, es handle sich um das Lebenswerk dieses Mannes. Es ist die Begeisterung, mit der er die Rekonstruktionen erzählt, ohne nur ein einziges Mal einen Blick in sein Buch werfen zu müssen. An manchen Stellen könnte man sogar glauben, er habe die ganze Geschichte selbst miterlebt. Doch auf dem Weg hinauf in Richtung Aussichtsplattform verfinstert sich Stegers Blick. Der Pfad ist mit Pflanzen überwuchert, Unkraut sprießt aus vielen Stücken des Ge- und es wird mühselig, sich einen Weg zu bahnen. „Wenn das so weiter geht, wird hier wohl irgendwann einmal alles von den Pflanzen gesprengt.“
Eine Sprengung gab es auch auch vor 370 Jahren. Am 15. März 1648 machte sich eine schwedische Truppe von Nördlingen aus auf nach Wallerstein mit dem Ziel, die Burg einzunehmen, die von bayerischen Soldaten besetzt wurde. Vor den Toren der Burg ernteten die Schweden Hohn und Spott und wurden abgewiesen. Doch angestachelt von den bayerischen Besatzern begannen die Schweden, das Gebäude zu beschießen. Feuer-Mörser und Eisenkugeln aus Kartaunen flogen den Besatzern um die Ohren. Aus der Arbeit von Hartmut Steger geht hervor, dass um drei Uhr nachmittags die erste Scheune Feuer fing und bereits sechs Stunden später die gesamte Burg brannte. Es waren aber nicht die schwedischen Truppen, die da zündelten, sondern die bayerischen Soldaten selbst. „Sie haben Feuer innerhalb der Burg gelegt, um sie nicht einfach den Schweden zu überlassen“, erzählt Steger. Manche seien dabei selbst von den Flammen eingeschlossen worden und jämmerlich verbrannt. Andere versuchten sich vor die Tore der Burg zu retten. Doch Mitleid von ihren Feinden konnten sie nicht erwarten.
Auf dem Weg nach oben zum Aussichtsplatz ist nicht viel von der Burg Wallerstein übrig geblieben. Ein schräger, ebener Aufgang neben den Stufen wirkt jedoch ungewöhnlich. „Da war ein Holzbelag darühung ber, so konnten die Bewohner mit ihren Pferden zum Burghof reiten“, sagt der Archivar. Eine Treppe aus der Zeit vor 1648 ist ebenfalls noch gut erhalten – sie führt ins Nirgendwo. „Das müsste der Aufgang zur Burgkapelle gewesen sein.“Zwischen den Erzählungen erwähnt Steger immer wieder, dass es nicht mehr viele Dokumente von damals gebe – das zeige auch, welch großes Puzzlespiel er bei der Rekonstruktion der Geschehnisse zusammenfügen musste. Das liege hauptsächlich an der großen Zerstörung während des Dreißigjährigen Krieges und auch an den Folgen. Das nackte Überleben war schlichtweg wichtiger als irgendwelche Niederschriften.
Nach einer halben Stunde ist Steger auf der Aussichtsplattform angekommen. Ein paar Zigarettensteins stummel zieren den Boden, ebenso ein wenig Plastikmüll und Überbleibsel einer Feuerstelle. Missbilligend nimmt Steger das wahr. Er findet solch einen Umgang mit der Geschichte Wallersteins genauso sinnlos, wie das Geschehen nach dem 15. März 1648. „Die Schweden waren damals ja in Nördlingen stationiert und den Nördlingern war die Burg seit jeher wohl ein Dorn im Auge“, erzählt der 83-Jährige. Aus Nördlinger Archiven sind Sätze wie „wir wollen diesen Zwickerl auf unserer Nase nicht haben“zu lesen. Die Türme der Burg überragten den „Daniel“, deshalb sollen Nördlinger Bürger die Schweden angestiftet haben, die Burg zu zerstören. „Es war eigentlich eine Zerstörung ohne größeren Sinn“, sagt Steger und blickt auf den steilen Abgrund des Aussichtspunktes. Der Felsen wirkt ausgehöhlt. „Nachdem die Überreste der Burg abgetragen wurden, diente das Gelände bis 1830 als Steinbruch.“Ein Neuaufbau wurde einmal angedacht, sei jedoch zu teuer gewesen. „Außerdem waren Burgen nach dem Dreißigjährigen Krieg einfach überholt, deshalb haben sich die damaligen Fürsten wohl auch für das neue Schloss in Wallerstein entschieden“, sagt Steger.
Ein paar Stunden später schließt der Experte das weiße Holztor am Eingang zum Felsen wieder. Sein Gesichtsausdruck wirkt ein bisschen wehmütig, als er sich noch einmal umdreht. „Es gibt ein unterirdisches Tunnelsystem, das noch nicht erforscht ist. Wenn ich dessen Öffnung noch erleben dürfte, wäre ich zufrieden“, sagt der 83-Jährige.