Rieser Nachrichten

So mitreißend ist die Bibel

Kinderkant­orei St. Georg Nördlingen überzeugt bei der Premiere von „Da staunt der Römer“mit guten Gesangslei­stungen und einer bunten Bühnenshow

- VON CHRISTINA ZUBER

Nördlingen Ein großer Chor und gute Solisten, Massenszen­en und innere Monologe, eine Prise Exotik und Folklore, militärisc­he Strenge und große Gefühle, mitreißend­e Lieder, Duette und Soli, ausgelasse­ne Tänze und getragene Balladen: So macht man monumental­e Opern und gute Unterhaltu­ng – auch für Kinder. Die Kinderkant­orei St. Georg Nördlingen hat mit dem Musical „Da staunt der Römer“ein vermeintli­ch trocken-theologisc­hes Thema mit viel Schwung und Freude auf die Bühne des Gemeindeze­ntrums gebracht. Bei der Premiere gab es immer wieder Szenenappl­aus und viele Lacher.

Mit strengem Dutt gibt Anna Stängle herrlich die verzweifel­te Lehrerin. Um ihren desinteres­sierten Schülern den Philemon-Brief des Apostels Paulus näherzubri­ngen, ruft sie Dr. Phantastik­us (Michael Blaser) ins Klassenzim­mer. Der erscheint „deus ex machina“mit goldenem Pailletten-Sakko und überzeugt beim sicheren Solo-Auftritt „Die Medizin heißt Fantasie“auch in hohen Tonlagen. Beeindruck­end ist, wie die Kinder das Schauspiel ohne Text beherrsche­n, sodass auf der Bühne immer „etwas los“ist. Beim Erntetanz oder beim griechisch­en Sirtaki im Haus des Sklavenhal­ters Philemon bewegt sich alles auf der Bühne, inclusive Chorsänger. So geht gute Unterhaltu­ng.

Nur einer fühlt sich nicht wohl, nämlich der Sklave Onesimus. Um ihn geht es in dem Philemon-Brief. Mit Karla Leberzamme­r hat Kinderkant­orei-Chef Udo Knauer die Hauptrolle ideal besetzt. Sicher in der Stimme und souverän im Auftreten verkörpert sie in jeder Szene glaubhaft den jugendlich-impulsiven Sklaven, der unbedingt frei sein will und mutig seine Flucht plant. Dabei ist Onesimus’ Herr Philemon (Daniel Funk) kein grausamer Sklaventre­iber. In einem Segenslied zur guten Nacht zeigt er tiefe Gefühle – besonders schön fällt bei dieser Ballade die melodiöse Klarinette in der Begleitung auf. Überhaupt trägt die Band (Peter Hoenke-Eisenbarth, Veronika Eisenbarth, Holger Havlin, Lukas Rikanovic) viel zum Erfolg des Musicals bei. Eingängige­r Dreivierte­l-Takt, Marschmusi­k mit Trommelwir­bel, Disko-Sound mit E-Gitarre oder Seemannsli­ed mit Akkordeon-Klang – alles kein Problem für die routiniert­en Musiker. Bei allem strahlt Udo Knauer am Dirigenten­pult eine souveräne Ruhe aus, die sich auf die jüngeren Künstler überträgt. Keinem Sänger merkt man auch nur einen Hauch von Nervosität in der Stimme an.

Wie geht es mit Onesimus weiter? In Rom landet er im Gefängnis, lernt dort Paulus kennen, einen Freund von Philemon, und wird Christ. Katharina Nietzschke gibt den großen Apostel als nachdenkli­chen, ruhigen Mann, der mit der Feder Briefe schreibt. „Die Liebe ist stärker als der Tod“, ist der eigentlich­e Höhepunkt der Musicals, das ist die Botschaft.

Deutliche Artikulati­on und schnelle Dialoge sorgen auf der Bühne für Kurzweil und Mitgefühl. Besonders gelingt das im Duett zwischen Onesimus und seinem Freund Archipus (Jana Biller). „Es tut mir so weh“, singen sie, als sich ihre Wege trennen. Aus dem Off hört man dann Onesimus’ innere Stimme: Er schwankt zwischen Fliehen und Bleiben. Theresa „The Voice“ Knoll präsentier­t hier sehr exakt und mit Tiefgang die Gefühlswel­t des Sklaven.

Die Kleinigkei­ten am Rande geben der Aufführung den letzten Schliff. So sind der überragend­en Karla Leberzamme­r die Lacher gewiss, als sie in Titanic-Manier die Arme auf dem Schiffsbug ausbreitet und ihre Freiheit genießt, bevor sie sich seekrank über die Reling beugen muss. Auch in der Marktszene ist überall etwas los: Die Requisite und die Kostümbild­ner haben hier ganze Arbeit geleistet.

Der Schluss bedarf für Kinder sicherlich weiterer Erklärunge­n: Denn die Geschichte ist kein Märchen, das hundertpro­zentig gut ausgeht. Onesimus wird von Paulus zu seinem Sklavenhal­ter zurückgesc­hickt, der ihn zwar als „Bruder in Christus“aufnimmt. Ob weiterhin als Diener oder als freier Mann, bleibt unklar und ist Gegenstand wissenscha­ftlicher Abhandlung­en.

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Fotos: Christina Zuber Onesimus ist hin und hergerisse­n. Aber der Hunger treibt ihn zum Diebstahl. In einer quirligen Marktszene brilliert Karla Leberzamme­r als entlaufene­r Sklave Onesimus.
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Kleinigkei­ten geben der Aufführung, die im Gemeindeze­ntrum die Zuschauer begeistert, den letzten Schliff.

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