So mitreißend ist die Bibel
Kinderkantorei St. Georg Nördlingen überzeugt bei der Premiere von „Da staunt der Römer“mit guten Gesangsleistungen und einer bunten Bühnenshow
Nördlingen Ein großer Chor und gute Solisten, Massenszenen und innere Monologe, eine Prise Exotik und Folklore, militärische Strenge und große Gefühle, mitreißende Lieder, Duette und Soli, ausgelassene Tänze und getragene Balladen: So macht man monumentale Opern und gute Unterhaltung – auch für Kinder. Die Kinderkantorei St. Georg Nördlingen hat mit dem Musical „Da staunt der Römer“ein vermeintlich trocken-theologisches Thema mit viel Schwung und Freude auf die Bühne des Gemeindezentrums gebracht. Bei der Premiere gab es immer wieder Szenenapplaus und viele Lacher.
Mit strengem Dutt gibt Anna Stängle herrlich die verzweifelte Lehrerin. Um ihren desinteressierten Schülern den Philemon-Brief des Apostels Paulus näherzubringen, ruft sie Dr. Phantastikus (Michael Blaser) ins Klassenzimmer. Der erscheint „deus ex machina“mit goldenem Pailletten-Sakko und überzeugt beim sicheren Solo-Auftritt „Die Medizin heißt Fantasie“auch in hohen Tonlagen. Beeindruckend ist, wie die Kinder das Schauspiel ohne Text beherrschen, sodass auf der Bühne immer „etwas los“ist. Beim Erntetanz oder beim griechischen Sirtaki im Haus des Sklavenhalters Philemon bewegt sich alles auf der Bühne, inclusive Chorsänger. So geht gute Unterhaltung.
Nur einer fühlt sich nicht wohl, nämlich der Sklave Onesimus. Um ihn geht es in dem Philemon-Brief. Mit Karla Leberzammer hat Kinderkantorei-Chef Udo Knauer die Hauptrolle ideal besetzt. Sicher in der Stimme und souverän im Auftreten verkörpert sie in jeder Szene glaubhaft den jugendlich-impulsiven Sklaven, der unbedingt frei sein will und mutig seine Flucht plant. Dabei ist Onesimus’ Herr Philemon (Daniel Funk) kein grausamer Sklaventreiber. In einem Segenslied zur guten Nacht zeigt er tiefe Gefühle – besonders schön fällt bei dieser Ballade die melodiöse Klarinette in der Begleitung auf. Überhaupt trägt die Band (Peter Hoenke-Eisenbarth, Veronika Eisenbarth, Holger Havlin, Lukas Rikanovic) viel zum Erfolg des Musicals bei. Eingängiger Dreiviertel-Takt, Marschmusik mit Trommelwirbel, Disko-Sound mit E-Gitarre oder Seemannslied mit Akkordeon-Klang – alles kein Problem für die routinierten Musiker. Bei allem strahlt Udo Knauer am Dirigentenpult eine souveräne Ruhe aus, die sich auf die jüngeren Künstler überträgt. Keinem Sänger merkt man auch nur einen Hauch von Nervosität in der Stimme an.
Wie geht es mit Onesimus weiter? In Rom landet er im Gefängnis, lernt dort Paulus kennen, einen Freund von Philemon, und wird Christ. Katharina Nietzschke gibt den großen Apostel als nachdenklichen, ruhigen Mann, der mit der Feder Briefe schreibt. „Die Liebe ist stärker als der Tod“, ist der eigentliche Höhepunkt der Musicals, das ist die Botschaft.
Deutliche Artikulation und schnelle Dialoge sorgen auf der Bühne für Kurzweil und Mitgefühl. Besonders gelingt das im Duett zwischen Onesimus und seinem Freund Archipus (Jana Biller). „Es tut mir so weh“, singen sie, als sich ihre Wege trennen. Aus dem Off hört man dann Onesimus’ innere Stimme: Er schwankt zwischen Fliehen und Bleiben. Theresa „The Voice“ Knoll präsentiert hier sehr exakt und mit Tiefgang die Gefühlswelt des Sklaven.
Die Kleinigkeiten am Rande geben der Aufführung den letzten Schliff. So sind der überragenden Karla Leberzammer die Lacher gewiss, als sie in Titanic-Manier die Arme auf dem Schiffsbug ausbreitet und ihre Freiheit genießt, bevor sie sich seekrank über die Reling beugen muss. Auch in der Marktszene ist überall etwas los: Die Requisite und die Kostümbildner haben hier ganze Arbeit geleistet.
Der Schluss bedarf für Kinder sicherlich weiterer Erklärungen: Denn die Geschichte ist kein Märchen, das hundertprozentig gut ausgeht. Onesimus wird von Paulus zu seinem Sklavenhalter zurückgeschickt, der ihn zwar als „Bruder in Christus“aufnimmt. Ob weiterhin als Diener oder als freier Mann, bleibt unklar und ist Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen.