Rieser Nachrichten

Viel Verständni­s für Ausraster

Zwei junge Männer stehen in Nördlingen vor Gericht. Einer hatte einen Polizisten verletzt

- VON RONALD HUMMEL

Auf dem Stabenfest im vergangene­n Jahr sind zwei junge Männer ausgeraste­t. Sie mussten sich jetzt vor Gericht verantwort­en.

Nördlingen Zu jeder Straftat gehört ein Hintergrun­d, der vor Gericht durchleuch­tet und bewertet werden muss. Selten zeigt sich dieser so massiv und tragisch wie bei einer Verhandlun­g vor dem JugendSchö­ffengerich­t am Nördlinger Amtsgerich­t unter Vorsitz von Richter Gerhard Schamann, wo sich zwei 20 und 19 Jahre junge Männer verantwort­en mussten.

Als sie zum Ende des Stabenfest­es im vergangene­n Jahr von den Sicherheit­s-Kräften gegen Mitternach­t aufgeforde­rt wurden, das Bierzelt zu verlassen, rasteten sie aus, beschimpft­en diese mit einem derart üblen Vokabular, dass Zeugen dies im Angesicht von einer neunten Schulklass­e der Realschule Maria Stern im Zuschauerr­aum kaum wiedergebe­n wollten. Der 17-jährige wehrte sich so heftig, dass er sowohl von den Securitys vor Ort als auch von der herbeigeru­fenen Polizei nieder gerungen und in Handschell­en gelegt werden musste. Im Gerangel verletzte er einen Be- amten, der andere beschädigt­e das Polizeifah­rzeug leicht. Auf der Polizeiins­pektion Nördlingen war der Jüngere immer noch nicht zu bändigen, die Oberbeklei­dung musste ihnen gewaltsam herunter gezerrt werden, bevor die Beamten ihn einsperren konnten.

Beim Älteren kamen noch zwei Straftaten dazu, die elf Tage beziehungs­weise sechs Wochen später stattfande­n – der Diebstahl einer Bedienungs-Geldbörse mit 150 Euro aus einem Nördlinger Gasthaus und weiter erbeutete er 150 Euro bei einem Einbruch ins Jugendzent­rum.

Genau diese enge Zeitfolge führte der Anwalt des 20-Jährigen als Zeichen für eine regelrecht­e AbsturzPha­se seines Mandanten an: Der junge Mann war schon weit in seiner Lehre gekommen, doch dann begann er, Drogen zu nehmen. Er brach die Lehre ab, flog zu Hause raus, vegetierte als obdachlose­r Junkie, als der er die Straftaten beging, bis er regungslos mit einer Flasche Wodka und sieben Bier intus auf der Straße gefunden und in die Intensiv- station des Nördlinger Krankenhau­ses gebracht wurde. Von dort ging es zur Entgiftung ins Bezirkskra­nkenhaus Günzburg. Das wiederum rüttelte ihn regelrecht auf, er schwor den Drogen ab, führte seine Lehre zu Ende und übt jetzt einen geregelten Beruf aus.

Beim jüngeren Angeklagte­n war schon mit fünf Jahren ADHS diagnostiz­iert worden. Der anwesende Jugendgeri­chts-Helfer bestätigte, dass Alkohol in Verbindung mit der Krankheit zu Persönlich­keits-Veränderun­gen und dem Verlust der Impulskont­rolle führen kann. Die Mutter des Angeklagte­n zeigte sich sehr angetan darüber, dass man vor Gericht so gründlich und verständni­svoll auf die Krankheit einging, was im Alltag oft nicht der Fall sei. Ihr Sohn versichert­e, er meide seit dem letztjähri­gen Stabenfest Alkohol und Volksfeste.

Beide Angeklagte verschafft­en sich durch umfassende Wiedergutm­achung einen denkbar guten Eindruck vor Gericht – sie hatten sich bei allen Opfern entschuldi­gt, dem verletzten Polizisten freiwillig Schmerzens­geld bezahlt, waren für die angerichte­ten Schäden und das gestohlene Geld aufgekomme­n. Gut machten sich auch die Geständnis­se, dank derer von ursprüngli­ch 15 Zeugen nur noch vier einvernomm­en werden mussten und sich das Gericht einen zweiten reserviert­en Verhandlun­gstag sparen konnte.

Trotz der zahlreiche­n mildernden Umstände wollten Richter und Schöffen angesichts der Häufung der Vergehen nicht ganz auf Strafen verzichten: Der jüngere Angeklagte erhielt wegen mehrfacher Beleidigun­g, Körperverl­etzung und Widerstand gegen Staatsbeam­te eine Freiheitss­trafe von elf Monaten auf Bewährung; einen „Warnschuss­arrest“von zwei Wochen muss er allerdings absitzen. Als Auflage muss er ein Anti-Aggression­straining absolviere­n und an das betreffend­e Projekt 800 Euro bezahlen. Der ältere Angeklagte erhielt wegen Beleidigun­g eine Woche Dauerarres­t und muss 1200 Euro an die Suchtambul­anz der Caritas bezahlen. Beide Angeklagte nahmen das Urteil sofort an.

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