Viel Verständnis für Ausraster
Zwei junge Männer stehen in Nördlingen vor Gericht. Einer hatte einen Polizisten verletzt
Auf dem Stabenfest im vergangenen Jahr sind zwei junge Männer ausgerastet. Sie mussten sich jetzt vor Gericht verantworten.
Nördlingen Zu jeder Straftat gehört ein Hintergrund, der vor Gericht durchleuchtet und bewertet werden muss. Selten zeigt sich dieser so massiv und tragisch wie bei einer Verhandlung vor dem JugendSchöffengericht am Nördlinger Amtsgericht unter Vorsitz von Richter Gerhard Schamann, wo sich zwei 20 und 19 Jahre junge Männer verantworten mussten.
Als sie zum Ende des Stabenfestes im vergangenen Jahr von den Sicherheits-Kräften gegen Mitternacht aufgefordert wurden, das Bierzelt zu verlassen, rasteten sie aus, beschimpften diese mit einem derart üblen Vokabular, dass Zeugen dies im Angesicht von einer neunten Schulklasse der Realschule Maria Stern im Zuschauerraum kaum wiedergeben wollten. Der 17-jährige wehrte sich so heftig, dass er sowohl von den Securitys vor Ort als auch von der herbeigerufenen Polizei nieder gerungen und in Handschellen gelegt werden musste. Im Gerangel verletzte er einen Be- amten, der andere beschädigte das Polizeifahrzeug leicht. Auf der Polizeiinspektion Nördlingen war der Jüngere immer noch nicht zu bändigen, die Oberbekleidung musste ihnen gewaltsam herunter gezerrt werden, bevor die Beamten ihn einsperren konnten.
Beim Älteren kamen noch zwei Straftaten dazu, die elf Tage beziehungsweise sechs Wochen später stattfanden – der Diebstahl einer Bedienungs-Geldbörse mit 150 Euro aus einem Nördlinger Gasthaus und weiter erbeutete er 150 Euro bei einem Einbruch ins Jugendzentrum.
Genau diese enge Zeitfolge führte der Anwalt des 20-Jährigen als Zeichen für eine regelrechte AbsturzPhase seines Mandanten an: Der junge Mann war schon weit in seiner Lehre gekommen, doch dann begann er, Drogen zu nehmen. Er brach die Lehre ab, flog zu Hause raus, vegetierte als obdachloser Junkie, als der er die Straftaten beging, bis er regungslos mit einer Flasche Wodka und sieben Bier intus auf der Straße gefunden und in die Intensiv- station des Nördlinger Krankenhauses gebracht wurde. Von dort ging es zur Entgiftung ins Bezirkskrankenhaus Günzburg. Das wiederum rüttelte ihn regelrecht auf, er schwor den Drogen ab, führte seine Lehre zu Ende und übt jetzt einen geregelten Beruf aus.
Beim jüngeren Angeklagten war schon mit fünf Jahren ADHS diagnostiziert worden. Der anwesende Jugendgerichts-Helfer bestätigte, dass Alkohol in Verbindung mit der Krankheit zu Persönlichkeits-Veränderungen und dem Verlust der Impulskontrolle führen kann. Die Mutter des Angeklagten zeigte sich sehr angetan darüber, dass man vor Gericht so gründlich und verständnisvoll auf die Krankheit einging, was im Alltag oft nicht der Fall sei. Ihr Sohn versicherte, er meide seit dem letztjährigen Stabenfest Alkohol und Volksfeste.
Beide Angeklagte verschafften sich durch umfassende Wiedergutmachung einen denkbar guten Eindruck vor Gericht – sie hatten sich bei allen Opfern entschuldigt, dem verletzten Polizisten freiwillig Schmerzensgeld bezahlt, waren für die angerichteten Schäden und das gestohlene Geld aufgekommen. Gut machten sich auch die Geständnisse, dank derer von ursprünglich 15 Zeugen nur noch vier einvernommen werden mussten und sich das Gericht einen zweiten reservierten Verhandlungstag sparen konnte.
Trotz der zahlreichen mildernden Umstände wollten Richter und Schöffen angesichts der Häufung der Vergehen nicht ganz auf Strafen verzichten: Der jüngere Angeklagte erhielt wegen mehrfacher Beleidigung, Körperverletzung und Widerstand gegen Staatsbeamte eine Freiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung; einen „Warnschussarrest“von zwei Wochen muss er allerdings absitzen. Als Auflage muss er ein Anti-Aggressionstraining absolvieren und an das betreffende Projekt 800 Euro bezahlen. Der ältere Angeklagte erhielt wegen Beleidigung eine Woche Dauerarrest und muss 1200 Euro an die Suchtambulanz der Caritas bezahlen. Beide Angeklagte nahmen das Urteil sofort an.