Rieser Nachrichten

Bis der Zug nach Auschwitz ging

In der ehemaligen Hainsfarth­er Synagoge stellt die Autorin Eva Umlauf ihr Schicksal vor

- VON ERNST MAYER

Hainsfarth Zwei Jahre war sie alt, als der Tätowierer in Auschwitz an ihrem Ärmchen eine Stelle aussuchte, wo er ihr die Häftlingsn­ummer einbrennen konnte. Dabei konnte sie noch von Glück sagen, dass sie dabei vor Schmerz in Ohnmacht fiel und nichts mehr davon mitkriegte und von Glück, dass sie nicht gleich ertränkt wurde, wie die meisten Babys, die in Auschwitz ankamen. Wenn man bei der ganzen Angelegenh­eit überhaupt von Glück reden konnte, war es das, dass die sowjetisch­en Flugzeuge schon über das Lager flogen und die Bewacher deshalb zwei Tage vor ihrem Eintreffen aus Novaky die Öfen stillgeleg­t hatten und bereits die Todesmärsc­he vorbereite­ten. Alle Spuren sollten verwischt werden, die übrig gebliebene­n Menschen weggetrieb­en werden und selbst wollten sie sich aus dem Staub machen, alles bestens organisier­t, wie sie es schon vorher in ihrer Todesmasch­inerie gewohnt waren.

„Es war der letzte Transport von Novaky (Slowakei), nach Auschwitz“, erzählte Eva Umlauf in der Hainsfarth­er Synagoge, „und der erste, der nicht direkt ins Gas ging.“„Die Slowakei war nicht von den Deutschen besetzt, sondern von den slowakisch­en Vasallen. Novaky war kein Vernichtun­gslager, dort waren Werkstätte­n. Unter anderem wurden Uniformen genäht. Es war für rund 1200 Juden eine Art Idylle im Schatten des Todes. Man konnte dort überleben – bis der Zug nach Auschwitz ging.“

Dort kam sie mit der schwangere­n Mutter an, die dort ihre Schwester zur Welt brachte, während der Vater in ein anderes Lager kam und vermisst blieb. Mit den beiden Kindern schlug die Mutter sich nach der Befreiung durch die Russen bis in ihren Heimatort durch, wo sie ein schwierige­s Leben fristen mussten, ohne Vater, ohne Großeltern, ohne Onkel, Tanten und Cousinen, alle waren ermordet worden. Nur sie waren übrig geblieben, gezeichnet von den Nummern auf ihren Unterarmen. Ein Bekannter schrieb für sie ein Gedicht mit den Worten: „Die Nummer auf deinem Unterarm ist so blau wie deine Augen.“Das wurde auch der Titel für das Buch, in dem Eva Umlauf ihr Schicksal schildert. Lange trug sie das mit sich, bis sie sich als 72-Jährige entschloss, ihre Erinnerung­en preis zu geben. Anders als ihre Mutter, die die Erlebnisse dieser Jahre mit ins Grab genommen habe.

Die Eltern hatten geheiratet, in der Hoffnung, als Ehepaar von den Deportatio­nen verschont zu bleiben. Bald musste die jüdische Familie aber auf Anordnung der slowakisch­en Regierung ins Lager Novaky, wo sie 1942 geboren wurde, immer mit der Bedrohung der Deportatio­n in ein Todeslager. Immerhin habe es dort stets zu essen gegeben, während es in Auschwitz drei Monaten vor der Befreiung nur noch Hunger und Krankheit gab. Über die Lebensumst­ände in dieser Zeit hätte sie niemals, auch nicht nach ihrer Übersiedlu­ng nach München, mit der Mutter sprechen können. Dort bekamen sie , und ihre Schwester die Möglichkei­t zu studieren. Ihre Schwester sei Internisti­n geworden und sie selbst Kinderärzt­in und Psychother­apeutin. Lange habe sie den Gedanken, ein Buch zu schreiben, vor sich hergeschob­en, bis sie durch Freunde ermutigt, sich dieser unerwartet mühseligen Arbeit verschrieb­en habe. Sie war damals ja ein kleines Kind und konnte nicht allein aus ihren eigenen Erinnerung­en berichten.

Sigi Atzmon begleitete Eva Umlauf bei der Vorstellun­g dieses Buches durch Fragen nach ihren persönlich­en Empfindung­en. Dem schlossen sich weitere fragende Besucher an, wobei sich ein Mann meldete, der nach dem Krieg mit seiner Familie in Novaky interniert war. Die Deutschen seien, vermutlich aus Rache, von den Slowaken und Tschechen unter schlimmen Zuständen bis ins Jahr 1946 dort festgehalt­en worden, bis sie freigelass­en wurden und in Oettingen eine neue Heimat gefunden hätten. Unterschie­dliche Schicksale trafen sich in der Hainsfarth­er Synagoge.

OBuch „Die Nummer auf deinem Un terarm ist so blau wie deine Augen“von Eva Umlauf und Co Autorin Stefanie Oswalt, Hofmann und Campe, ISBN 978 3 455 50370 8

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Foto: Mayer Eva Umlauf (rechts, mit Sigi Atzmon) stellte in der ehemaligen Hainsfarth­er Synago ge ihr Schicksal vor.

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