Seehofer und Merkel provozieren sich weiter
Asylpolitik Die Kanzlerin und ihr Innenminister vertagen zwar den großen Knall in der Union, doch ihr Konflikt bleibt ungelöst
München/Berlin Der Schlussakt im Unions-Drama verzögert sich um zwei Wochen. Die Kanzlerin und ihr Innenminister haben gestern den großen Knall zwischen CDU und CSU vermieden, die Sache hat allerdings einen Haken: Am Grundkonflikt hat sich rein gar nichts geändert. Horst Seehofer beharrt weiterhin darauf, Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben. Und Angela Merkel lehnt weiterhin einen solchen nationalen Alleingang ab. Die Parteivorsitzenden liefern sich am Montag eine Art Fernduell. Auf Pressekonferenzen in Berlin und München werden sie getrennt voneinander befragt und beharren auf ihren Positionen – mit einer entscheidenden Veränderung: Die CSU gibt der Kanzlerin zwei Wochen Zeit, um im letzten Moment doch noch eine europäische Lösung zu finden. Ob der CDU-Chefin bis zum EU-Gipfel Ende des Monats das gelingt, was ihr seit 2015 nicht gelang, ist mehr als fraglich.
Gelegenheit damit anzufangen hatte sie schon wenig später: Der neue italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte kam zum Antrittsbesuch.Und natürlich sprachen die beiden über die europäische Flüchtlingspolitik. Merkel sicherte Conte zu, Italien bei seinen Problemen mit Flüchtlingen zu unterstützen. Conte warb für mehr Solidarität unter den EU-Staaten bei der Verteilung von Flüchtlingen und kritisierte gleichzeitig das Dublin-System.
Seehofer will die zwei Wochen nutzen, um die Umsetzung seines ebenso umstrittenen wie geheimen Masterplans vorzubereiten. Und so wird der Streit zwischen den Schwesterparteien weiterschwelen. Denn während Seehofer in München ankündigt, die Zurückweisung von Flüchtlingen werde Anfang Juli beginnen, sofern die EU-Staaten sich nicht auf etwas „Wirkungsgleiches“einigen, sieht Merkel das in Berlin ein anders. Es gebe keinen „Automatismus“, betont die Regierungschefin und warnt den CSUVorsitzenden vor eigenmächtigem Handeln: „Wenn die Maßnahme in Kraft gesetzt würde, dann würde ich sagen, ist das eine Frage der Richtlinienkompetenz.“Das heißt: Die Kanzlerin will sich nicht von ihrem Innenminister vorführen lassen. Unterstützung bekommt sie an diesem Tag von CDU-Vize Thomas Strobl. „Für einen nationalen Alleingang mit der Brechstange würde man jetzt in bestimmten Ecken und auch aus der falschen antieuropäischen Ecke etwas Applaus bekommen – aber der Preis für Europa und vor allem für Deutschland wäre gigantisch
„Solche Alleingänge mögen erst mal nach starkem Maxe aussehen, sie schlagen aber viel kaputt und sie schaden.“
CDU Vize Thomas Strobl
hoch“, sagt er unserer Zeitung. „Solche Alleingänge mögen erst mal nach starkem Maxe aussehen, sie schlagen aber viel kaputt und sie schaden“, fügt Strobl hinzu.
Seehofer gibt sich unbeeindruckt von aller Kritik. CDU und CSU seien im Streit um die Flüchtlingspolitik „noch längst nicht überm Berg“, sagt der Innenminister und stellt klar: „Wir haben diese ganze Thematik Migration noch nicht wirklich im Griff.“Auch deshalb will er, dass die neue bayerische Grenzpolizei in Absprache mit der Bundespolizei Grenzkontrollen durchführen darf.
Im Leitartikel erklärt Rudi Wais, warum die CSU in Zugzwang gerät. Auf der Dritten Seite erzählen Uli Bachmeier und Martin Ferber vom Fernduell. In der Politik geht es um Europas Asylpolitik und auf Bayern um leere Flüchtlingsheime.