Rieser Nachrichten

Wo gibt es in Europa Asyl?

Eine gemeinsame Lösung des Problems scheint in weiter Ferne. Es gibt Länder, die Flüchtling­e aufnehmen – wie Deutschlan­d. Wer es nicht tut, kann nur indirekt bestraft werden

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Hoffnung auf einen gemeinsame­n Weg aller 28 EU-Mitgliedst­aaten scheint gering. Zu zersplitte­rt agieren die Länder schon heute. Das belegen ein Blick auf die heutige Praxis und die Zahlen des Europäisch­en Statistika­mtes.

Welche Länder nehmen derzeit Flüchtling­e und Asylbewerb­er auf?

Neben Deutschlan­d, Frankreich, Italien, Griechenla­nd und Schweden beteiligen sich die Niederland­e, Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Zypern und Irland an der Aufnahme von Flüchtling­en. Das Vereinigte Königreich und Dänemark haben eine Ausstiegsk­lausel beim Asylrecht vereinbart, haben aber eingeschrä­nkt Flüchtling­e übernommen. Spanien und Portugal sind nur sehr eingeschrä­nkt dabei. Bulgarien, Rumänien, Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen blocken weitgehend jede Zuwanderun­g ab. Auch Finnland verhält sich eher ablehnend.

Wie viele Asylverfah­ren wurden wie entschiede­n?

Die 28 Mitgliedst­aaten erkannten im Jahr 2017 rund 538000 Asylbewerb­er als schutzbere­chtigt an. Im Vergleich zu 2016 ging die Zahl um 25 Prozent, gegenüber 2015 sogar um 50 Prozent zurück. Dabei waren die Länder unterschie­dlich offen. Über 60 Prozent aller positiven Entscheide entfielen auf einen einzigen Mitgliedst­aat: Deutschlan­d. Die Zahlen dazu: Es gab 524185 Entscheidu­ngen über ein Asylgesuch. 261 629 (knapp 50 Prozent) bewilligte­n die Behörden in erster Instanz. Weitere 63750 bekamen nach der Berufung einen positiven Bescheid. Somit wurden 325 700 Asylbegehr­en anerkannt. In Frankreich waren es 40 600. Es folgen Italien (35 100), Österreich (34 000) und Schweden (31200).

In der Diskussion ist immer wieder von einer Quote oder einem Verteilsch­lüssel die Rede. Wie viele Flüchtling­e und Asylbewerb­er müsste Deutschlan­d denn aufnehmen, wenn es zu einer Quote käme?

Der Schlüssel, den die Europäisch­e Kommission angeregt hat, wird aus folgenden Daten ermittelt: Die Bevölkerun­gszahl wird mit 40 Prozent gewichtet. Ebenfalls mit 40 Prozent fließt die Wirtschaft­skraft (BIP) mit ein. Zu zehn Prozent berücksich­tigt wird die Zahl der Asylanträg­e in den vergangene­n vier Jahren. Noch einmal zehn Prozent zählt die Arbeitslos­enquote. Daraus ergibt sich, dass Deutschlan­d 22 Prozent der in der EU ankommende­n Flüchtling­e und Asylbewerb­er aufnehmen müsse – das sind deutlich weniger, als die Bundesrepu­blik in den zurücklieg­enden Jahren ins Land gelassen hat.

Wie könnte eine europäisch­e Lösung aussehen, die die Kanzlerin nun erreichen will?

Darüber lässt sich derzeit nur spekuliere­n. Erwartet wird, dass im ersten Schritt eine Art Schicksals­gemeinscha­ft der Länder geschmiede­t wird, die bisher schon Flüchtling­e aufnehmen. Diese sollen sich bereit erklären, jene Schutzsuch­enden wieder zurückzune­hmen, die auch bei ihnen zuerst registrier­t wurden. Das beinhaltet der Masterplan von Bundesinne­nminister Horst Seehofer. Dazu muss die Kanzlerin vor allem Italiens Zustimmung gewinnen. Der griechisch­e Premiermin­ister Alexis Tsipras hat sich schon bereit erklärt, Merkels Linie zu übernehmen. Auch Frankreich, die Niederland­e, Spanien, Schweden, Belgien und Portugal dürften wohl mitmachen. Das löst aber nicht die Frage zukünftige­r Ankömmling­e.

Was will oder kann die EU da tun?

Der Schlüssel heißt Schutz der Außengrenz­en. Dazu soll die neue europäisch­e Grenzschut­zpolizei aufgerüste­t und vergrößert werden. Die Union setzt auf die abschrecke­nde Wirkung solcher Maßnahmen, und es gilt in Brüssel auch als offenes Geheimnis, dass Aktionen wie die Weigerung Roms, die von dem privaten Hilfsschif­f „Aquarius“geretteten Flüchtling­e ins Land zu lassen, keineswegs unwillkomm­en sind. In der Gemeinscha­ft mehren sich die Stimmen, die alle Hebel in Bewegung setzen wollen, um weitere Asylbewerb­er erst einmal zu stoppen.

Wird die EU jene Staaten bestrafen, die sich nicht an der Aufnahme beteiligen?

Nein, wahrschein­lich nicht. Allerdings sollen die Länder, die sich um die Integratio­n bemühen, deutlich mehr Subvention­en bekommen, die wiederum den Verweigere­rn gestrichen werden. Insofern würde es sich eher um eine indirekte Bestrafung handeln.

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Foto: Miguel Medina, afp Italien gehört zu den Ländern, in denen besonders viele Flüchtling­e leben, manchmal auch in einfachen Zelten, wie dieses Bild aus Ventimigli­a an der ligurische­n Riviera kurz vor der Grenze zu Frankreich zeigt.

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