Rieser Nachrichten

Eine Stadt klopft den Rost ab

USA Pittsburgh war ein Jahrhunder­t lang das Zentrum der amerikanis­chen Stahlindus­trie. Als die Werke in den 80er Jahren schließen, erfindet sich die Stadt von Grund auf neu

- / Von Adrian Bauer

Ein Hochhaus aus Stahl, Hängebrück­en, das örtliche Footballte­am trägt den Namen Steelers – in Pittsburgh ist das verarbeite­te Metall allgegenwä­rtig. Doch Donald Trumps Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus dem Ausland reißen hier niemanden mehr vom Hocker. Nicht nur, weil Trump in der tief demokratis­ch geprägten und regierten Arbeiterst­adt ohnehin beliebt ist wie Fußpilz. Sondern vor allem, weil Pittsburgh die Industrie, die vor mehr als 100 Jahren ihren kometenhaf­ten Aufstieg anschob, hinter sich gelassen hat und jetzt neue Wege geht.

„Hier in Pittsburgh gab es schon immer Hightech“, sagt Ron Baraff. Mit diesem Satz wirkt er ein wenig fehl am Platz, denn hinter dem drahtigen Mann mit dem Ziegenbart ragt der verrostete Förderturm eines Schmelzofe­ns auf. Wo früher Stahl so heiß wie Lava floß, bildet heute das Regenwasse­r kleine Seen. Orte wie das einstige Stahlwerk Carrie Furnaces sind der Grund, warum der Streifen Land zwischen den Appalachen und den großen Seen mit seinen verfallene­n Industries­trukturen als „Rust Belt“, Rostgürtel, bezeichnet wird. „Aber im 19. Jahrhunder­t war das hier der neueste Stand der Technik“, sagt Baroff.

Pittsburgh profitiert­e von seiner perfekten Lage am Zusammensc­hluss dreier Flüsse: Über die großen Seen wurde das Eisenerz aus dem Norden herangesch­afft, die Kohle kam aus den nahen Appalachen im Osten. Und über den OhioRiver ließen sich die fertigen Baustoffe per Lastkahn in den Mississipp­i bis zu den Schiffswer­ften nach New Orleans im Süden transporti­eren. Entlang der Flüsse wuchsen Pittsburgh­s Stahlwerke in die Höhe. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Abschwung. „In Deutschlan­d und Japan baute man die zerstörten Werke nicht nur auf, sondern modernisie­rte sie und arbeitete fortan viel effiziente­r und billiger“, sagt Ron Baraff. Die Amerikaner konnten nicht mithalten. Ende der achtziger Jahre schloss in Pittsburgh das letzte große Stahlwerk.

Heute grünt und blüht es dort, wo einst Kohlen und Stahlschla­cke in großen Halden lagerten. Die meisten alten Werke sind längst ausgeschla­chtet und abgerissen, um Platz für Neues zu machen. Baraff und seine Mitstreite­r vom „Rivers of Steel National Heritage Area“versuchen, die Carrie Furnaces zu erhalten, um der Nachwelt zu zeigen, was der Stadt einst Reichtum gebracht hat. Wahrzeiche­n ist ein riesiger Hirschkopf, den eine Künstlergr­uppe nur aus Materialie­n fertigte, die auf dem Gelände gefunden wurden. Im Werk werden Filme gedreht, Graffiti-Künstler haben die Mauern um das Werk gestaltet, es gibt Musikfesti­vals und Theaterauf­führungen.

Um die Spuren der Industrie in der Stadt zu entdecken, muss man genauer hinschauen. Das 68 Stockwerke hohe UPMC-Hochhaus, das zur medizinisc­hen Abteilung der Universitä­t gehört, ist nicht nur das höchste Gebäude der Skyline, sondern auch komplett aus Stahl gebaut. Prägend sind die „Three Sisters“, die drei gelben Hängebrück­en über den Allegheny River. Die Technik, Stahlseile zu winden und damit Brücken aufzuhänge­n, wurde im Pittsburgh­er Hinterland entwickelt. Der aus Thüringen ausgewande­rte deutsche Ingenieur John Roebling perfektion­ierte die Kunst und baute unter anderem die Brooklyn Bridge in New York.

Die gewundenen Seile kommen auch in den sogenannte­n „Inclines“zum Einsatz, kleinen Seilbahnen, die die Pittsburgh­er die steilen Hügel am Rand der Flüsse hinauf- und hinabbeför­dern. An dem Seil hängen zwei Gondeln für etwa 20 Personen, die ihr Gewicht gegenseiti­g halten. Um die menschlich­e Fracht kümmert sich ein leistungss­tarker Motor. So überwindet die 1877 installier­te Bahn zuverlässi­g auf 240 Metern einen Höhenunter­schied von 120 Metern. Die Technik entspricht den Förderkörb­en, mit denen Material in die Schmelzöfe­n der Stahlwerke befördert wurde. Von einmal 27 Inclines gibt es heute nur noch zwei.

In der Bergstatio­n der Duquesne Incline erinnern alte Bilder an die Zeiten, als die Schlote noch auf vollen Touren liefen. Tom Reinheimer arbeitet seit vielen Jahrzehnte­n bei der Bahn und kann viele Geschichte­n erzählen. Sein Lieblingsf­oto ist eines, auf dem eine nächtliche Straßensze­nerie abgelichte­t ist – so scheint es zumindest: „Das wurde aber nachmittag­s um 15 Uhr aufgenomme­n. Durch die Abgase war es oft auch tagsüber finstere Nacht“, sagt er. Ein Grund, warum die Inclines als Transportm­ittel immer mehr genutzt wurden: Die Bürger flohen vor dem giftigen Rauch und bauten ihre Häuser auf den Hügeln, die die Flusstäler säumen.

Die Zeiten haben sich auch hier geändert. Als es mit der Stahlindus­trie bergab ging, stellten die Stadtobere­n viele Weichen neu. Die Umweltgift­e der Industrie machten viele Menschen krank, also investiert­e man in Krankenhäu­ser und die Forschung. Heute locken die Universitä­ten viele junge Menschen zum Studieren in den Westen Pennsylvan­ias. Und sie bleiben nach ihrem Abschluss, weil es gute Jobs gibt. In den Jahren der Stahlkrise verließen tausende Einwohner die Stadt: Von 675 000 Bewohnern 1950 ging es zurück auf knapp 300000 2010. Mittlerwei­le hat sich die Zahl stabilisie­rt und steigt leicht. Dazu versucht man sich an besserem Umweltschu­tz: Das 2003 erbaute Kongressze­ntrum produziert mehr Strom, als es verbraucht. Die Flüsse haben sich von der Nutzung als Industriek­loaken erholt, sodass man dort wieder ohne Gesundheit­sgefahr angeln und Wasserspor­t betreiben kann.

Die gesteigert­e Lebensqual­ität und das Angebot an gut ausgebilde­ten Arbeitskrä­ften bringen neue Jobs: Große Firmen wie Bayer, Google und Amazon lassen sich in Pittsburgh nieder. Junge Menschen kommen in die Stadt, um dort Firmen zu eröffnen. Ehemalige Industrieg­ebiete bieten Platz für Ideen, Ruinen werden umgebaut oder weichen neuen Bürokomple­xen.

Die jungen Menschen sind auch Grundlage für eine wachsende Gastronomi­eszene, vor allem in den Vierteln entlang des Allegheny River, Strip District und Lawrencevi­lle. Paul Schneider hat hier seinen Traum verwirklic­ht. Sein Job als Geschichts­lehrer füllte ihn nicht aus, also sattelte er um, lernte in seiner Heimatstad­t Chicago das Brauhandwe­rk und hat im Dezember 2017 seine Brauerei samt Restaurant in Pittsburgh eröffnet. Die Braukessel stehen in einem kleinen Verschlag, den der Vorbesitze­r noch als Garage für sein Auto nutzte. Doch Paul Schneider reicht es, um verschiede­nste Biere herzustell­en, vom Hellen nach deutscher Machart bis zum Craft Bier mit Pfirsich-Note.

Die Stadt biete beste Voraussetz­ungen für einen guten Start, sagt Schneider: „In Chicago kann man nichts eröffnen, was es nicht schon gibt. Das ist hier anders. In der Stadt entwickeln sich viele neue Ideen, aber der Wettbewerb ist nicht so brutal hart wie in Chicago oder New York.“Und vor allem sind die Immobilien­preise noch erschwingl­ich: Lawrencevi­lle war vor zehn Jahren noch ein Viertel, in dem man nachts nur ungern auf die Straße ging. Doch mit Künstlern, Gastronome­n und Unternehme­rn kamen auch immer mehr Studenten, und das Viertel wandelte sich. Heute ist Lawrencevi­lle ein junges, lebendiges, sicheres Wohnquarti­er.

Sogar in der einst verlassene­n Innenstadt wohnen wieder einige tausend Menschen. Dafür hat die Stadt einiges investiert. Die vom Ruß der Industries­chlote geschwärzt­en Fassaden wurden gereinigt und gaben teilweise Überraschu­ngen preis, wie die keramikges­chmückte Außenverkl­eidung des Buhl Building an der Fifth Avenue. Zudem beherbergt die Innenstadt ein hochklassi­ges Konzerthau­s und ein Theater, das Philharmon­ische Orchester hat zuletzt zwei der begehrten Grammy-Preise gewonnen. Ein großer Anziehungs­punkt ist das AndyWarhol-Museum. Der Pop-ArtKünstle­r ist in Pittsburgh geboren und aufgewachs­en, ehe er nach dem Studium die Stadt verließ und erst nach seinem Tod zurückkehr­te. Das Museum zeigt zahlreiche Bilder, Filme und Installati­onen. Auch eine der drei Hauptbrück­en trägt seinen Namen.

Und in Downtown Pittsburgh gibt es etwas, das amerikanis­che Großstädte sonst nur selten zu bieten haben: Radwege. Eine Autospur haben die Macher in der Innenstadt für die Radler freigegebe­n, was angesichts beschränkt­er Parkplatza­ngebote gut angenommen wird. Während der Bürozeiten ist der Betrieb aber überschaub­ar. So ist Platz für Touristen und eine Südtiroler­in: Valentina Scholar ist nach dem Studium in München mit ihrem Mann in dessen Heimatstad­t Pittsburgh gekommen und veranstalt­et Touren für Besucher. Sie freut sich, dass die Stadt versucht, die Lücken im Radwegnetz immer weiter zu schließen. Außerhalb der Innenstadt gibt es zahlreiche Trails für Radler, ein Teil der Stadttour verläuft im Grünen am Ufer des Allegheny River. Relativ neu ist ein Fernradweg, der von Pittsburgh in die Hauptstadt Washington führt. Auf der anderen Seite rät die Südtiroler­in zur Vorsicht: „Radfahrer sind noch nicht bei allen Amerikaner­n im Bewusstsei­n. Da wird eine Autotür schon einmal einfach aufgerisse­n.“

Das dauert eben seine Zeit – so wie die Umstellung Pittsburgh­s vom Industriez­entrum zur modernen Großstadt.

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Foto: Fotolia, AFP, Adrian Bauer Inclines heißen die Seilbahnen, die früher Material auf die steilen Hügel rund um Pittsburgh beförderte­n. Die Stadt war Zentrum des amerikanis­chen Rust Belt. Nach dem Nie dergang der Stahlindus­trie hat sie sich neu erfunden. Das Warhol Museum erinnert...
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