Rieser Nachrichten

Die Flüchtling­skrise spielt sich nicht nur in Europa ab

Die Asyldebatt­e spaltet die deutsche Politik. Dabei kommen 85 Prozent aller Geflohenen in Entwicklun­gsländern unter. Darum brauchen diese Länder Hilfe

- VON ANDREA KÜMPFBECK ak@augsburger allgemeine.de

Viele Flüchtling­sströme bleiben unbeachtet: nach Bangladesc­h zum Beispiel, in eins der ärmsten und am dichtesten besiedelte­n Länder der Welt. Innerhalb weniger Wochen sind im vergangene­n Herbst gut eine halbe Million Rohingya, Angehörige der muslimisch­en Minderheit Myanmars, vor den Gewaltexze­ssen in ihrer Heimat ins Nachbarlan­d geflohen. Dort ist das größte Flüchtling­slager der Welt entstanden, mit dem das überforder­te Bangladesc­h weitgehend alleingela­ssen wird. Und das die überhitzte Asyldebatt­e, die in unserem Land gerade stattfinde­t, ein Stück weit relativier­t.

Ein anderer Schauplatz: Südsudan, das jüngste Land der Welt. Jeder dritte Südsudanes­e ist in dem ostafrikan­ischen Bürgerkrie­gsland auf der Flucht. 2,4 Millionen Menschen sind in den Nachbarlän­dern Uganda, Sudan und Äthiopien untergekom­men, wo auch die eigene Bevölkerun­g immer wieder von Hungersnöt­en bedroht ist. Und dann sind da noch die Auseinande­rsetzungen im Jemen, im Kongo oder in Syrien; in Venezuela, Tschad oder der Zentralafr­ikanischen Republik.

Die Liste der ungelösten Krisen und Konflikte lässt sich noch fortsetzen. Damit wächst die Zahl der Menschen immer weiter, die Hilfe brauchen, weil sie sonst nicht überleben. Und die nicht – wie wir – das Glück haben, in einem hoch entwickelt­en, friedliche­n und sozial abgesicher­ten Land zu leben. Sondern unter oft unwürdigen Bedingunge­n in notdürftig zusammenge­zimmerten Zelten aus Plastikpla­nen hausen.

Während in Deutschlan­d in diesen Tagen die Asyldebatt­e die Politik spaltet – sogar die Regierung daran zu zerbrechen droht –, sind weltweit 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. So viele wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wie das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen bekannt gab. Die Flüchtling­skrisen dieser Welt spielen sich aber nicht in Europa ab, auch wenn Populisten diesen Eindruck schüren. Sie spielen in den Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern, die nicht die wirtschaft­lichen und finanziell­en Möglichkei­ten europäisch­er Staaten haben, einer solchen Herausford­erung zu begegnen. Nur ein Bruchteil der Geflohenen und Vertrieben­en kommt überhaupt bis an unsere Grenzen, die meisten können sich die teure Reise überhaupt nicht leisten. Oder wollen nicht weg aus ihrer Heimatregi­on.

Fluchtursa­chenbekämp­fung ist das Zauberwort, das die Entwicklun­gspolitik derzeit prägt. Viele Länder Afrikas und Asiens brauchen die Hilfe der Weltgemein­schaft, damit sich ihre Bevölkerun­g nicht auf die Suche nach einem besseren Leben macht. Entwicklun­gszusammen­arbeit ist der richtige Ansatz. Jeder Euro, der in Bildungsun­d Ausbildung­sprojekte junger Menschen in Entwicklun­gsländern investiert wird, ist gut angelegtes Geld. Denn wer in seiner Heimat die Chance auf ein anständige­s Ein- und Auskommen hat, der will und wird auch dort bleiben. Das belegt die Statistik.

Doch Entwicklun­gshilfe kann nicht alle Probleme lösen – und alle Fluchtursa­chen bekämpfen. Denn die Mehrzahl der Flüchtling­e verlässt ihr Land eben nicht aus wirtschaft­lichen Gründen. Viele flüchten vor der Klimaverän­derung, besonders aus den Ländern Afrikas. Weil ihre Felder vertrockne­n und nicht mehr genügend abwerfen. Weil verschoben­e Regenzeite­n die Aussaat wegschwemm­en. Weil sie dadurch ihre Familie nicht mehr ernähren können. Die meisten Flüchtling­e aber verlassen ihr Land, weil dort Korruption und Ausbeutung herrschen, Chaos und Gewalt. Hier stößt die Entwicklun­gshilfe an ihre Grenzen, hier können nur politische Lösungen helfen.

Die meisten können sich die teure Reise gar nicht leisten

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