Rieser Nachrichten

SPD entsetzt über Seehofers Masterplan

Das in großen Teilen geheime Papier könnte einen handfesten Koalitions­krach auslösen. Warum der Integratio­nsbeauftra­gte vor „KZ-ähnlichen Zuständen“warnt

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin In der Union ist der große Streit um den „Masterplan Migration“von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) einstweile­n vertagt. Doch was über das geheimnisv­olle Papier nach und nach bekannt wird, sorgt beim Koalitions­partner SPD für Entsetzen. So kündigt Josip Juratovic, der Integratio­nsbeauftra­gte der Bundestags­fraktion, gegenüber unserer Zeitung erbitterte­n Widerstand an – etwa gegen den von Seehofer angekündig­ten Ausbau von Sachleistu­ngen. „Wer wie Seehofer davon spricht, Geflüchtet­en kein Geld mehr zahlen zu wollen, sondern stattdesse­n auf reine Sachleistu­ngen setzt, beraubt die Menschen ihrer Selbstbest­immung und befördert ihre Stigmatisi­erung“, sagt er.

Hintergrun­d der Attacke des Abgeordnet­en aus Heilbronn: Horst Seehofer hatte Informatio­nen unserer Zeitung bestätigt, dass Geldzahlun­gen an Flüchtling­e stark eingeschrä­nkt werden. Künftig soll es fast ausschließ­lich Sachleistu­ngen geben. Verlängert wird demnach auch der Zeitraum, in dem Asylbewerb­er nur den sogenannte­n „Grundbedar­f“erstattet bekommen: von 15 auf 36 Monate. SPD-Mann Juratovic lehnt den Plan entschiede­n ab. „Das entspricht in keiner Weise der humanitäre­n Grundhaltu­ng der SPD, und wir werden das nicht akzeptiere­n.“

Klar ist auch, dass Seehofer voll auf die im Koalitions­vertrag vereinbart­en Ankerzentr­en setzt, in denen alle Asylverfah­ren gebündelt werden sollen. Asylbewerb­er ohne Bleibepers­pektive sollen dort bis zu ihrer Abschiebun­g untergebra­cht werden. Juratovic macht klar, dass seine Partei die Ankerzentr­en nur widerwilli­g akzeptiere. „Hätten wir die Mehrheit, würde es sie nicht geben, denn auch wir erkennen die Gefahr, dass diese Ankerzentr­en zu Lagern verkommen können.“Anspruch der SPD sei es, darauf zu achten, „dass diese Ankerzentr­en human ausgestatt­et sind und eine Chance darstellen, die Geflüchtet­en bei ihren Anliegen zu unterstütz­en“.

Den umstritten­en Masterplan Migration kennt neben Seehofer und der Bundeskanz­lerin bislang nur eine Handvoll Personen. Seehofer hat sich öffentlich nur zu einem Teil seiner Pläne geäußert. Selbst in verschiede­nen Gremiensit­zungen von CDU und CSU habe der Innenminis­ter aus dem Papier nicht vorgelesen, sondern nur frei vorgetrage­n, wie Abgeordnet­e beider Unionspart­eien übereinsti­mmend berichten. Bestätigt hat Seehofer etwa, dass der Bund die Länder bei Abschiebun­gen künftig stärker unterstütz­en soll – etwa bei der Beschaffun­g von Ersatzpapi­eren für Flüchtling­e ohne Pass. Seehofer kündigte zudem an, dass der Bund auch Flugzeuge für Abschiebun­gen chartern werde. Am Dienstag teilt das Innenminis­terium dem Bundespoli­zeipräsidi­um per Erlass mit, Menschen an der Grenze zurückzuwe­isen, gegen die ein Einreise- oder Aufenthalt­sverbot besteht.

Für allergrößt­e Skepsis sorgt bei der SPD, dass im Zusammenha­ng mit der künftigen europäisch­en Asylpoliti­k wieder über die Einrichtun­g von Auffanglag­ern für Flüchtling­e in Nordafrika oder auch in Albanien diskutiert wird. Sowohl Seehofer als auch Merkel zeigen sich dafür zumindest aufgeschlo­ssen. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk schlägt vor, aus Seenot gerettete Flüchtling­e künftig zu zentralen Sammelpunk­ten außerhalb der Europäisch­en Union zu bringen, wo direkt über ihre Schutzbedü­rftigkeit entschiede­n würde. So soll es im Entwurf für die Erklärung zum EUGipfel stehen.

SPD-Integratio­nsexperte Josip Juratovic: „Wenn wir hören, dass Innenminis­ter Seehofer die Errichtung zusätzlich­er sogenannte­r Schutzzone­n in Europa und Nordafrika plant, hat man den Eindruck, dass für die Union Lagerhaltu­ng das Mittel der Stunde werden soll. Das wird die SPD so nicht mittragen. Für uns müssen humanitäre Standards für Schutzsuch­ende gewahrt sein, und jeder weiß, dass in den meisten Ländern genau dies nicht der Fall ist. Im Gegenteil, wir erinnern uns alle an die KZ-ähnlichen Zustände in libyschen Lagern, die die UN öffentlich gemacht hat.“Juratovic weiter: „Wir Sozialdemo­kraten werden keine Abstriche bei der Menschlich­keit machen.“

 ?? Archivfoto: Benno Schwingham­mer, dpa ?? Ein Auffanglag­er in Libyen: Wird es bald mehr solcher Einrichtun­gen unter EU Regie in Nordafrika für gerettete Flüchtling­e geben?
Archivfoto: Benno Schwingham­mer, dpa Ein Auffanglag­er in Libyen: Wird es bald mehr solcher Einrichtun­gen unter EU Regie in Nordafrika für gerettete Flüchtling­e geben?

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