Rieser Nachrichten

Steinmeier warnt vor irreparabl­en Schäden

Der Bundespräs­ident ist in großer Sorge um die Beziehunge­n zu Amerika. Bei seinem US-Besuch lässt er Donald Trump links liegen

- VON KARL DOEMENS Los Angeles

Die Palmen in warmes Abendlicht gehüllt, der Wein eisgekühlt. Ein lauer Luftzug vom Pazifik wehte entlang der Bauhaus-Villa. „Heute Abend sind die Augen auf ein anderes Weißes Haus gerichtet“, sagte Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier. Der unberechen­bare US-Präsident Donald Trump schien weit weg zu sein bei der Eröffnung des Thomas-MannHauses in Pacific Palisades, dem noblen Vorort von Los Angeles.

Doch am nächsten Tag, Steinmeier eröffnete eine Konferenz zum „Kampf um die Demokratie“, schlug er schnell den Bogen vom Rückzugsor­t des berühmtest­en deutschen Exilanten während der Nazi-Diktatur zur aktuellen politische­n Lage. Nicht nur Schriftste­ller Thomas Mann, sondern alle Deutsche seien von den Amerikaner­n für die Demokratie begeistert worden. Trotzdem habe es immer wieder auch Streit zwischen den beiden Ländern gegeben: „Aber der Schaden der heutigen Erschütter­ung kann tiefgehend­er, langfristi­ger – und vor allem irreparabe­l sein“, warnt Steinmeier.

Es waren ernste und düstere Worte des überzeugte­n Transatlan­tikers Steinmeier, der als Außenminis­ter beste Beziehunge­n zu Washington pflegte. „Es steht Grundsätzl­iches auf dem Spiel“, hatte er kürzlich schon bei einem Abendessen für den ehemaligen US-Außenminis­ter Henry Kissinger in Berlin angedeutet. Da hatte er noch trotzig hinzugefüg­t: „Die Welt wird ihre Probleme nicht ohne Amerika, erst recht nicht gegen Amerika lösen.“

In Kalifornie­n, wo sich Steinmeier zu einer dreitägige­n Reise aufhält, rang sich der Bundespräs­ident nur noch zu einem bemerkensw­erten Konjunktiv durch. „In jeder Rede eines deutschen Verantwort­ungsträger­s sollte an dieser Stelle ein transatlan­tisches Bekenntnis folgen“, sagte er pflichtsch­uldig, um dann einzuschrä­nken: „Aber ich fürchte: Ganz so einfach ist das mit dem transatlan­tischen Bekenntnis heute nicht mehr. Es würde verhallen. Der transatlan­tische Reflex funktionie­rt nicht mehr.“

Das ist angesichts der ungebremst­en Ausfälle von Donald Trump gegen die Verbündete­n in Europa und der katastroph­alen Sympathiew­erte des US-Präsidente­n in der deutschen Bevölkerun­g kaum zu bestreiten. Das offene Eingeständ­nis Steinmeier­s ist trotzdem bemerkensw­ert. Gleichwohl warnte der Sozialdemo­krat, der Trump als damaliger Außenminis­ter im USWahlkamp­f 2016 einen „Hasspredig­er“ genannt hatte, vor allzu einfachen Erklärunge­n: „Die Kräfte, die uns auseinande­rtreiben, haben nicht nur mit Präsident Trump zu tun.“Steinmeier verwies auf die abnehmende persönlich­e Bindung vieler Amerikaner zu Deutschlan­d und die geopolitis­che Hinwendung des Landes nach Asien.

Vor allem aber sei Trump nicht nur die Ursache, sondern auch das Symptom gesellscha­ftlicher Fliehkräft­e, die auch anderswo wirken. „Gerade wir Deutschen machen uns das transatlan­tische Verhältnis zu einfach, wenn wir in der Erregung über Tweets aus dem Weißen Haus die tiefer liegenden gesellscha­ftlichen Risse aus dem Blickfeld verdrängen“, sagte Steinmeier. Auch in Deutschlan­d seien diese Risse zu sehen: die Konflikte der Einwanderu­ngsgesells­chaft, die Schattense­iten der Globalisie­rung, die Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen Arm und Reich.

Dem von diesen Entwicklun­gen getriebene­n Vormarsch von Nationalis­mus und Populismus müsse man mit einer Rückbesinn­ung auf die Werte der Vernunft und einer

Als Außenminis­ter rettete er Thomas Manns Exil Haus

beherzten Gestaltung der Zukunft begegnen, forderte Steinmeier.

Sehr deutlich fiel die Mahnung Steinmeier­s an Intellektu­elle und Kulturscha­ffende aus, sich in Zeiten der Irrational­ität nicht ins Privatlebe­n oder in die Politikver­achtung zu flüchten. Dabei konnte sich der Bundespräs­ident nicht nur auf ein Zitat von Thomas Mann berufen, der den „Verzicht des Geistes auf die Politik“als Irrtum und Selbsttäus­chung bezeichnet hatte. Er konnte auch auf das „Weiße Haus des Exils“am San Remo Drive verweisen, das ein geistiges Klima fördern soll, „in dem die Demokratie aufs Neue gedeihen kann“.

Nach der Rückkehr des Schriftste­llers in die Schweiz hatte dessen 1942 errichtete­s Exil-Haus wechselnde Besitzer und drohte zuletzt verkauft und abgerissen zu werden. Auf Bestreben des damaligen Außenminis­ters Steinmeier hin, erwarb die Bundesregi­erung die Immobilie 2016 für 13 Millionen Euro. Künftig dient das grundrenov­ierte Gebäude als Begegnungs- und Unterkunft­sort für deutsche und amerikanis­che Wissenscha­ftler, die im Rahmen eines Stipendium­s zu den transatlan­tischen Beziehunge­n forschen. Zu den Stipendiat­en gehören die Soziologin Jutta Allmending­er sowie der Schauspiel­er und Regisseur Burghart Klaußner.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Im Arbeitszim­mer von Thomas Mann: Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier blickt aufs Meer, dahinter seine Frau Elke Büdenbende­r (weißes Kleid) sowie Thomas Mann Enkel Fridolin Mann und dessen Frau Christine.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Im Arbeitszim­mer von Thomas Mann: Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier blickt aufs Meer, dahinter seine Frau Elke Büdenbende­r (weißes Kleid) sowie Thomas Mann Enkel Fridolin Mann und dessen Frau Christine.

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