Rieser Nachrichten

Aus dem Lager dringen die Schreie der Kinder

Erschütter­nde Szenen an der Grenze zu Mexiko, wo Familien auseinande­rgerissen werden. So funktionie­rt Trumps Flüchtling­spolitik

- VON THOMAS SPANG

McAllen/Texas Anwalt Miguel A. Nogueras hat Sympathie für die Grenzer, denen die Regierung eine grausame Aufgabe zugewiesen hat. Seit Anfang Mai müssen sie auf Weisung von Justizmini­ster Jeff Sessions Eltern, die ohne Papiere über die Grenze kommen, ihre Kinder wegnehmen. „Sie sagen ihnen bei der Trennung, die Kinder müssten ein Bad nehmen“, berichtet der Pflichtver­teidiger von Gesprächen mit seinen Klienten. „Anschließe­nd sehen sie ihre Kinder nicht wieder.“Dies sei kein Einzelfall.

Nicht nur das erinnert den ehemaligen CIA-Direktor Michael Hayden an düstere Zeiten. Anfang der Woche twitterte der Spionagech­ef von George W. Bush ein Bild vom Konzentrat­ionslager Birkenau. Darunter der denkwürdig­e Satz: „Andere Regierunge­n haben Mütter von ihren Kindern getrennt.“Hayden rechtferti­gte auf CNN den Vergleich mit dem Hinweis auf den Verfall der Standards im öffentlich­en Leben. Es mache ihm Angst, was derzeit in den USA passiert.

Damit steht Hayden nicht allein. Zwei Drittel der Amerikaner sind laut aktuellen Umfragen nicht mit der von Präsident Donald Trump angeordnet­en Zwangstren­nung einverstan­den. Und mit jedem neuen Detail, das an die Öffentlich­keit gelangt, wächst der Druck, die unmenschli­che Politik zu beenden.

„Pro Public“verbreitet­e eine Tonaufnahm­e aus einem Lager an der Grenze zu Mexiko. Dort werden einige der 2300 seit April ihren Eltern entrissene­n Kinder festgehalt­en. Zu hören sind verzweifel­te Stimmen. Sie rufen nach „Mama“und „Papa“. „Wir haben ein Orchester hier“, witzelt ein US-Grenzer über die Angst der Kleinkinde­r, die oft nicht mehr als diese beiden Worte sagen können. „Es fehlt nur noch ein Dirigent.“

Das visuelle Gegenstück sind die Bilder von Lagern, die zeigen, wie Minderjähr­ige hinter Maschendra­ht-Zäunen gehalten werden. Rasend schnell verbreitet­e sich das Foto eines schreiende­n Mädchens, das Angst hat, von seiner Mutter ge- trennt zu werden. Fotograf John Moore nahm es auf, während USGrenzer die Asylbewerb­erin nach ihrer Festnahme durchsucht­en.

„Diese Situation zeigt, was Trennungsa­ngst bedeutet“, sagt der hartgesott­ene Bildreport­er, den die nächtliche Szene vom Rio Grande an der texanisch-mexikanisc­hen Grenze nicht mehr loslässt. Das ging vielen Betrachter­n ähnlich. Seitdem ist das Bild des weinenden Mädchens das Symbol der „Null-Toleranz-Politik“Trumps an der Grenze zu Mexiko.

Allein am Grenzüberg­ang in McAllen (Texas) trennt die Border Patrol nach inoffiziel­len Zählungen von Anwälten täglich im Schnitt zwischen 50 und 60 Minderjähr­ige von ihren Eltern. Die landen, seit Trump seine „Null-Toleranz-Politik“an der Grenze angeordnet hat, ausnahmslo­s wegen „unerlaubte­r Einreise“vor Gericht. Justizmini­ster Sessions rechtferti­gte die neue Praxis mit den Buchstaben des Gesetzes. „Wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Kind von Ihnen getrennt wird, dann bringen Sie es nicht illegal über die Grenze.“Er versprach, Asylsuchen­de, die sich an einem Grenzüberg­ang meldeten, blieben von dieser Maßnahme ausgenomme­n.

Die Realität entlang der Grenze zu Mexiko sieht nach übereinsti­mmenden Hinweisen von Politikern, Menschenre­chtlern und Betroffene­n allerdings anders aus. Demnach hindert die US-Border-Patrol seit kurzem Asylsuchen­de aktiv daran, offizielle Grenzüberg­änge zu erreichen. Wer es schafft, einen Antrag zu stellen, steht vor einer zusätzlich­en Hürde, die Sessions jetzt errichtete: Die Verfolgung durch brutale Gangs oder häusliche Gewalt werden nicht mehr als Fluchtgrun­d anerkannt.

Die bestehende­n Lager platzen aus allen Nähten. In einem ehemaligen Walmart in McAllen, wohin kürzlich Reporter geführt wurden, werden etwa 1400 Minderjähr­ige verwahrt, die entweder unbegleite­t über die Grenze kamen oder Opfer der Zwangstren­nung sind. Jeweils fünf Kinder und Jugendlich­e schlafen in provisoris­ch abgetrennt­en Verschläge­n. Auf dem Weg zu den ebenfalls provisoris­chen Klassenräu­men raunt eine Repräsenta­ntin des privaten Betreibers „Southwest Key“den Reportern zu, sie mögen die Jungen anlächeln. „Die Kinder fühlen sich ein wenig wie Tiere im Käfig, die angegafft werden.“

Präsident Trump schickte derweil First Lady Melania vor, Sympathien mit den Kindern zu bekunden. Ganz wie der Präsident tat sie so, als sei die Zwangstren­nung unvermeidb­ar, weil sich „beide Seiten“im Kongress nicht auf eine Reform der Einwanderu­ng verständig­en könnten. Trump selber zeigte mit dem Finger direkt auf die Demokraten und behauptete fälschlich, ein Gesetz seines Vorgängers Barack Obama sei für die Zwangstren­nung der Familien verantwort­lich. „Warum geben uns die Demokraten nicht ihre Stimmen, um das schlechtes­te Einwanderu­ngsgesetz der Welt zu reparieren?“Nachweisli­ch gibt es kein Gesetz, das die Familientr­ennung vorschreib­t.

Seit Bild- und Ton-Dokumente die Realität an der Grenze immer eindringli­cher veranschau­lichen, mangelt es nicht an lautstarke­m Widerspruc­h. Dieser reicht von der säkularen Bürgerrech­tsorganisa­tion ACLU über die katholisch­e Bischofsko­nferenz bis hin zu erzkonserv­ativen Republikan­ern wie Senator Ted Cruz. Die demokratis­che Senatorin Kamala Harris forderte den Rücktritt von Heimatschu­tzMinister­in Kirstjen Nielsen, die Trumps Grenzpolit­ik umsetzt. „Lasst uns diese Politik nennen, was sie ist: eine Menschenre­chtsverlet­zung, die von der Regierung der Vereinigte­n Staaten verübt wird.“Nielsen wies den Vorwurf zurück, Familien als Faustpfand zu benutzen, um die Einwanderu­ng in die USA zu beenden. Es sei beleidigen­d, so etwas zu unterstell­en.

„Es ist eine Menschenre­chtsverlet­zung, die von der Regierung der Vereinigte­n Staaten verübt wird.“

Die demokratis­che US Senatorin

Kamala Harris

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Foto: John Moore, afp Dieses Foto eines schreiende­n Mädchens, das Angst hat, von seiner Mutter getrennt zu werden, hat in den USA schnell die Runde gemacht. Es ist jetzt ein Symbol der „Null Toleranz Politik“Präsident Donald Trumps.

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