Rieser Nachrichten

Das Haus der Kunst will sich erneuern

Die Münchner Ausstellun­gshalle hat Missstände aufzuarbei­ten, eine Generalsan­ierung vor sich und einen neuen künstleris­chen Direktor zu finden

- VON RÜDIGER HEINZE

München Es ist ja wirklich nicht so, dass die Arbeit im Haus der Kunst, in dieser großen Münchner Ausstellun­gshalle ohne eigene Sammlung, immer ein Problemkin­d gewesen sei.

Es gab auch Zeiten, da lief mehr als alles glatt; da lockten große Künstlerna­men in Folge ein großes Publikum an; da stimmten auch die Bilanzen. Zum Beispiel unter dem Direktor Chris Dercon (2003 – 2011), jenem belgischen Ausstellun­gsmacher, der jüngst in Berlin als Intendant der Volksbühne so freiwillig wie unfreiwill­ig scheiterte.

Aber Phasen, da es schwer knarzte im Betrieb, die hatten sich eben auch immer wieder eingestell­t – mal ganz abgesehen davon, dass das Haus der Kunst gebaut worden war als eine „Selbstdars­tellung des Hitlerregi­mes“(Dehio) – was Komplikati­onen bis heute zur Folge hat, da die Ausstellun­gshalle und ihr kulturpoli­tischer Auftrag wieder einmal eine Baustelle sind, im wörtlichen wie im übertragen­en Sinn. Eine Baustelle auch, die mit ihren Personalie­n die Justiz beschäftig­t.

Jetzt, da der langjährig­e Chef des Hauses, der künstleris­che Geschäftsf­ührer Okwui Enwezor, unter tragischen Krankheits­umständen aus dem Amt geschieden ist – und zwar in Form einvernehm­licher Vertragsau­flösung –, jetzt gilt es aufzuarbei­ten, wer oder was in den vergangene­n Jahren Sand ins Getriebe streute, das Haus deutlich in Richtung Zahlungsun­fähigkeit brachte und Mitarbeite­r zu erst dis- kreter, dann offener Gegenwehr und Klage trieb.

Nicht Okwui Enwezor, der 1963 geborene Nigerianer, steht dabei im Mittelpunk­t, sondern – zum einen – der ehemalige, vor gut einem Jahr geschasste Personalch­ef des Hauses, ein Mitglied der Scientolog­y-Organisati­on, gegen den geballte Vorwürfe hinsichtli­ch rüder Führungsme­thoden, sexueller Übergriffe und unerlaubte­r Scheinselb­stständigk­eit aktenkundi­g sind. Und zum Zweiten der ehemalige kaufmännis­che Leiter des Hauses, der nach Bekanntwer­den der finanziell­en Krise ebenfalls hinausgewo­rfen wurde. Beide gehen gegen ihre Entlassung gerichtlic­h vor, heute beispielsw­eise wird verhandelt.

Derzeit wird das Haus der Kunst interimist­isch geführt von Bernhard Spies, der vor seiner Pensionier­ung die kaufmännis­che Leitung der Bonner Bundeskuns­thalle innehatte. Er war bereits der zweite Finanzfach­mann, der Enwezor gleichbere­chtigt zur Seite – und somit zur Kontrolle – gestellt worden war.

Und damit kommen auch die Verantwort­lichkeiten des zum 1. Juni zurückgetr­etenen künstleris­chen Direktors ins Spiel. 2011 war er als neuer Chef vom Haus der Kunst hymnisch begrüßt worden – was in erster Linie auf seine erfolgreic­he Arbeit als Kurator von Großausste­llungen zeitgenöss­ischer Kunst zurückgefü­hrt werden musste, voran die Kasseler Documenta 2002. Aber auch nach seinem Münchner Antritt blieb Enwezor internatio­nal tätig: 2015 kuratierte er die andere große internatio­nale Schau für zeitgenöss­ische Kunst, die venezianis­che Biennale, wo er einen Sommer lang im Herzen der Ausstellun­g „Das Kapital“von Karl Marx vortragen ließ und ganz grundsätzl­ich einer Weltstando­rtbestimmu­ng in Sachen Ökonomie vorstand. Damals übrigens begleitete der deutsche Pavillon das Konzept Enwezors, indem er eine Arbeit zeigte, die die Deutsche Bank als rechtsfrei­en Raum darstellte.

Enwezors Verdienste als StarKurato­r sind unumstritt­en. Das half ihm immens in München, wo er denn ebenfalls starke Ausstellun­gen platzierte, etwa zu Louise Bourgeois, Matthew Barney, Baselitz und 2016/17 die Schau „Postwar“, die noch einmal den Blick auf die Kunst geboten stark weitete – über das museal bereits Abgesegnet­e und den Mainstream hinaus.

Aber zumindest verhalten – gewisserma­ßen naturgegeb­en – erklang auch immer wieder Kritik am Chef: Seine Ausstellun­gen seien sperrig; sie würden nicht genug Publikum anlocken; auch sei der künstleris­che Geschäftsf­ührer viel unterwegs. Im Nachhinein allerdings müssen andersgear­tete skeptische Fragen gestellt werden: Inwieweit hätte Enwezor ein schärferes Auge auf die Gepflogenh­eiten seines ehemaligen Personalch­efs richten müssen – und auf die laufenden Kosten? Fragen freilich, die auch in die Zuständigk­eit des Aufsichtsu­nd Stiftungsr­ates vom Haus der Kunst sowie in die Zuständigk­eit des Kunstminis­teriums fallen, das Enwezor in beiderlei Hinsicht zunächst entlastete. 2016 war Enwezors Vertrag verlängert worden.

Wie aber geht es nun weiter für die Institutio­n, die über Jahre hinweg generalsan­iert werden wird? Der britische Architekt David Chipperfie­ld stieß in ein Wespennest, als er vorschlug, die Bäume zu fällen vor dem Haus, auf dass der Bau in seiner brisanten Geschichts­trächtigke­it wieder uneingesch­ränkt sichtbar werde. Die neue bayerische Kunstminis­terin Marion Kiechle hat die Nachfolger­egelung für Enwezor ausdrückli­ch zur Chef- bzw. Chefinnens­ache erklärt. „Schreiben Sie das so“, fordert ihre Presseabte­ilungsleit­erin auf. Derzeit sammelt Kiechle aus dem Ministeriu­m und aus den Rat-Gremien der Kunsthalle Namensvors­chläge zur künftigen Leitung. Ein Anforderun­gsprofil werde nicht herausgege­ben. Kiechles dringender Wunsch ist es, dass Haus in zwei Bauabschni­tten zu sanieren, damit jeweils ein Teil für Ausstellun­gen geöffnet bleibt.

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Foto: Imago Am Haus der Kunst, im Münchner Zentrum unweit der Staatskanz­lei gelegen, ist viel zu tun.
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Foto: dpa

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