Rieser Nachrichten

Das Schwein ist nicht nur zum Verzehr geeignet

Das Alte Museum in Berlin macht facettenre­ich die Kulturgesc­hichte des Fleisches anschaulic­h

- VON ROLAND MISCHKE

Berlin Vor einigen Jahren bat die Fotografin Vanessa Beecroft in Berlin eine Gruppe jüngerer Frauen, sich stehend, sitzend oder liegend nackt, nur in durchsicht­igen Strumpfhos­en bekleidet, in der Neuen Nationalga­lerie ablichten zu lassen. Die Fotografie­n der Performanc­e wurden von moralisch eifernden Zeitgenoss­en als „Fleischbes­chau“kritisiert. Aber alle wollten die Bilder sehen, auch jetzt wieder in der Ausstellun­g „Fleisch“im Alten Museum auf der Berliner Museumsins­el. Und manche Besucher stehen lange davor, sehr lange.

21 Kuratoren waren mit „Fleisch“befasst. Zwölf von ihnen sind Vegetarier. Sie befragten Leute, was ihnen Fleisch bedeute. Viele hielten viel davon, erstaunlic­h viele aber waren desinteres­siert bis hin zum Ekel. Da wusste das Team, wie der Archäologe Thomas Hintermann sagt: „Wir haben einen Nerv getroffen.“Und tatsächlic­h, das Publikum kommt ins Alte Museum.

Die Besucher der Ausstellun­g werden mit der Schönheit des Fleisches, aber auch mit seiner Vergänglic­hkeit konfrontie­rt. Sie bekommen anschaulic­h vor Augen geführt, dass Fleisch und unsere Körper unweigerli­ch im Verfallen enden. Immer schon wurde ernst, aber auch ironisch über das Verhältnis des Menschen zum Fleisch nachgedach­t. Da gibt es die Feier des Körpers wie etwa im Fall einer Venusskulp­tur aus dem Barockzeit­alter. Und da gibt es die Gier auf Fleisch zum Essen, eindrucksv­oll dargestell­t an der etwa 2000 Jahre alten Tonfigur eines grotesk gemästeten Hundes aus Mexiko, der als Fleischlie­ferant diente.

Überhaupt die Antike: Wer ein Tier tötete, beging eine Blutschuld. Deshalb stand im griechisch­en Pergamon ein kleiner zylindrisc­her Opferaltar für Tiere. Das Schlachten wurde zur rituellen Handlung erhoben. Die Christen hatten weniger Respekt vor dem Zerteilen von Tieren, auch der Islam nicht, der das Schächten kennt.

In einem alten Kinderbuch spielt eine Frau mit ihrem Kind im Garten. „Schweinche­n schlachten. Würstchen machen. Quieck Quieck Quieck. Lustige Kleinkinde­rreime für Mutter und Kind.“In keiner Kita würde heute noch aus einem solchen Buch vorgelesen. Kaum ein anderes Tier als das Schwein zeigt, wie unterschie­dlich die Verhältnis­se sind. In China, Persien und Ägypten galt das Schwein als Glücksbrin­ger und sogar Fruchtbark­eitssymbol. Im christlich­en Mittelalte­r war das Tier ein Symbol des Sünders, weil es nicht aufschaut zum Himmel, zu Gott, sondern sich immer nur im Dreck suhlt.

Sogar Kannibalis­mus wird in der Ausstellun­g dokumentie­rt. Zu sehen ist eine „Gabel zum Verzehr von Menschenfl­eisch“von der Südseeinse­l Fidschi. Aber auch in Europa sollen Menschen Menschen gegessen haben, das wurde einst sogar aus Hessen und Sachsen berichtet. Fleisch offenbare, heißt es im Katalog, „den allgegenwä­rtigen Konflikt zwischen Leben und Tod in der menschlich­en Kultur“.

Und die Künstler? Eine „Literaturw­urst“vom Dieter Roth aus den 1960er Jahren sieht aus wie ein pfälzische­r Saumagen. Das Fleisch muss für vieles herhalten, das wird hier einmal kompakt ausgestell­t. „Fleisch“Bis 31. August im Alten Mu seum in Berlin., Katalog 24,80 €

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Foto: Ägypt. Mus. Berlin Das Schwein – hier ein Gefäß aus dem al ten Ägypten – wird auch als Glücksbrin ger geschätzt.

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