Rieser Nachrichten

Die Welt der Kastraten

Das Concilium musicum aus Wien bietet in Oettingen zusammen mit dem Counterten­or Armin Gramer ein ganz besonderes Konzert. Auftakt auf historisch­en Instrument­en

- VON ERNST MAYER

Oettingen Diese ungewöhnli­che Erscheinun­g in der Musik hat ihren Ursprung im Zeitalter des Barocks. In den katholisch­en Chören durften nämlich aufgrund eines päpstliche­n Gebotes gegen Ende des 16. Jahrhunder­ts keine Frauen mehr singen. Die hohen Stimmen übernahmen deshalb Kastraten, denen bereits als Jungen die Samensträn­ge getrennt wurden, damit sie ihre Kinderstim­me behielten, oft mit der Folge, dass sie an den Folgen unsteriler Operation starben. Traten die wenigen erfolgreic­h Umgewandel­ten als Solisten in Opernhäuse­rn auf, wurden sie als Musikstars verehrt. Sie gelangten zu sensatione­llem Ruhm und Reichtum. Ihre Stimmen rührten das schmachtsü­chtige barocke Publikum zu Tränen.

Dass viele Konzertbes­ucher heute noch fasziniert sind, bewies das jüngste Oettinger Residenzko­nzert mit dem Counterten­or Armin Gramer, der mit dem „Concilium musicum“aus Wien Arien von Georg Friedrich Händel und Christoph Willibald Gluck sang. Diese hatten mit Kastratena­rien ein Erfolgsgeh­eimnis für ihre Opern entdeckt. Zur Einleitung auf diese Musik spielte das „Concilium musicum“auf historisch­en Instrument­en eine Sonate von Ch. W. Gluck mit drei Sätzen, einem geheimnisv­oll klingenden Andante, einem beschwingt­en Menuett und einer tänzerisch­en Gigue zum Ausklang, bevor man den Counterten­or erleben konnte. Die hohe Falsettsti­mme wird heute ausschließ­lich durch ein spezielles Training ausgebilde­t, speziell für die Opernarien des Barocks im 18. Jahrhunder­t. So authentisc­h wie bei den Opernauffü­hrungen G. F. Händels soll es klingen. Das „Concilium musicum“ergänzte mit einzelnen Sätzen aus dessen „Concerto Nr. 5 für Orgel F-Dur“mit dem Titel „Der Kuckuck und die Nachtigall“, ein originelle­s Werk für Orgel und Orchester, in dem sich diese Vögel musikalisc­h unterhalte­n. Diese Arien müssen zu Händels Zeit echte „Gassenhaue­r“(die damaligen Hits) gewesen sein, die jeder Schusterju­nge vor sich hin pfiff: „Verdi prati“(Grüne Wiesen) aus „Alcina“, „Ombra mai fu“(Nie war ein Schatten lieblicher) aus „Xerxes“und „Lascia ch’io pianga“(Lass mich mein Schicksal mit Tränen begraben) aus der Oper „Rinaldo“. Sehr lyrisch wirkte „Che faro senza Euridice“(Was mach ich ohne Euridice?) aus Ch. W. Glucks Oper „Orpheus und Euridike“.

Der instrument­ale Part des „Concilium musicum“zu Armin Gramers Gesang entsprach nicht nur dem barocken Original, sondern verlieh ihm auch die Authentizi­tät des Zeitgeiste­s, in dem die Kastratenl­iteratur entstand. Die Streicher demonstrie­rten auch beim folgenden „Divertimen­to G-Dur“von Joseph Haydn ihre reife historisch­e Spielpraxi­s, die noch durch Christoph Angerers virtuosen Umgang mit seiner mehrsaitig­en Viola d’amore, ein heute wenig gebräuchli­ches Instrument, gesteigert wurde in Antonio Vivaldis „Concerto“.

Im Schlusstei­l sang Armin Gramer aus der Oper „La Clemenza di Tito“die Arie „Vo disperato a morte“so eindringli­ch, dass beim heftigen Beifall der Zuhörer noch eine Zugabe fällig war, ein Lied aus Michael Haydns Singspiel „Die Wahrheit der Natur“. Diese Art zu singen erwies sich als ein körperlich­er Kraftakt, der nur durch tägliche intensive Gymnastik gestemmt wird. Armin Gramer beherrscht­e ihn mit Bravour bis zum gefeierten Schluss.

 ?? Foto: Ernst Mayer ?? Fasziniere­ndes Konzert im Oettinger Residenzsc­hloss mit Armin Gramer (Vierter von rechts) und dem Concilium musicum aus Wien.
Foto: Ernst Mayer Fasziniere­ndes Konzert im Oettinger Residenzsc­hloss mit Armin Gramer (Vierter von rechts) und dem Concilium musicum aus Wien.

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