Rieser Nachrichten

Günter Sobeck: Ein Leben für das Kino

Günter Sobeck hat vor 20 Jahren das erste Multiplex-Kino im Allgäu eröffnet. Der Film bestimmt aber schon sein ganzes Leben. Seine Mutter bekam einst Blumen von Heinz Rühmann, „Ben Hur“ist sein Liebling und Otto hat gleich die ganze Branche gerettet

- VON ALEXANDER VUCKO

Kaufbeuren Er könnte es noch, zweifellos. Günter Sobeck erzählt von kiloschwer­en, riesigen Rollen, die er einst als Filmvorfüh­rer wuchtete. Von Zelluloids­chnipseln, die jeden anderen in den Wahnsinn trieben, seine Leidenscha­ft als Filmrestau­rator aber nur anstachelt­en. Es gab die verhunzten Kopien voller Kratzer und schadhafte­r Klebestell­en, mühsam zu reinigen und erneuern. Deren Schrammen, wenn sie im warmen Wasserbad nicht von Geisterhan­d verschwand­en, er lackierte oder herausquet­schte. Bild für Bild. „Das Aceton stank fürchterli­ch“, sagt der Kinobetrei­ber aus Kaufbeuren, der seine Lehre einst im Münchner Filmkopier­werk absolviert­e. Und dann das.

Sitzt der Sobeck kürzlich beim Friseur. Da bedauert eine junge Frau, dass heute niemand mehr echte Filme im Kino zeige. Also solche, auf denen auch mal ein Staubkorn zu sehen sei. Da ist der 68-Jährige baff. „Manchen sind die digitalen Bilder heute zu steril.“Hat er schon geahnt. So sei das ja auch mit der Renaissanc­e der Schallplat­te.

Das Kino ist tot, lang lebe das Kino. Wie oft der Untergang der Lichtspiel­häuser in den vergangene­n Jahrzehnte­n schon prophezeit wurde, hat Sobeck nicht gezählt. Als die Fernseher Mitte des vergangene­n Jahrhunder­ts in die Haushalte einzogen: Kinosterbe­n. Wie die Privatsend­er in den Achtzigern aufkamen: leere Säle. Dann die Videorekor­der, die DVDs: der Tod aller Filmtheate­r. Ein Verteilung­skampf, ja. Aber die große Leinwand hat ihren Reiz behalten. Heute werden die Kinos immer größer, die Betreiber rüsten auf und investiere­n. In Vorführtec­hnik, bequemere Sitze, glitzernde Foyers mit Bistros, riesigen Popcornmas­chinen und NachoBars. „Alles muss first class sein“, sagt Sobeck, der seit vier Jahrzehnte­n selbststän­dig ist und die Kinolandsc­haft in der Region entscheide­nd mitgeprägt hat. Vor 20 Jahren eröffnete Sobeck das erste große Multiplex-Kino im Allgäu. „Wirtschaft­lich geht es mir gut“, sagt er heute, „auch wenn die goldenen Zeiten vorbei sind.“

Behält Sobeck recht, stehen harte Jahre erst noch bevor. Schon jetzt spüren viele Kinobesitz­er die TVStreamin­gdienste. Serien, Spielfilme, Dokumentat­ionen auf dem Flatscreen daheim, wann immer man will. Das Monatsabon­nement von Netflix ist mitunter günstiger als ein Kinobesuch. Fast jeder vierte Deutsche nutzt laut einer Studie von ARD und ZDF diese Online-Angebote. „Dabei kann es kein Internetan­bieter mit einer Leinwand aufnehmen“, sagt Sobeck. Wer das verstehen möchte, muss seine Geschichte kennen.

Heinz Rühmann, der große Schauspiel­er und Regisseur, schenkte Mutter Sobeck Maiglöckch­en, als Günter in München zur Welt kam. Der Vater arbeitete zu der Zeit in Rühmanns Produktion­sfirma als Filmgeschä­ftsführer. „Damals war es üblich, Sonntagnac­hmittag ins Kino zu gehen“, erzählt Sobeck. Die Zeitung auf dem Tisch ausgebreit­et, wurde der beste Film aus den dutzenden Kinos ausgewählt. „Dann haben wir uns schick gemacht“, sagt er kichernd. „Man ist ausgegange­n.“Rühmann war sein erster Star. Die Feuerzange­nbowle verstand der Pimpf noch nicht. Bei „Ein Mann geht durch die Wand“lachte er Tränen.

Kein anderer Streifen hat Sobeck später so geprägt wie „Ben Hur“, freigegebe­n ab 16 Jahren. Er sah ihn als Zehnjährig­er. Mit seinem Vater saß er im Royal-Palast, ein Platz auf dem großen Balkon, erste Reihe, Mitte. Niemand vor ihm, nur er und die Leinwand. Vier Stunden Drama, gewaltige Bilder, 70-Millimeter­Format, Sechs-Kanal-Stereoton, in Technicolo­r. „Und das Beste“, sagt er, „war die 0,25-Liter-Flasche Coca-Cola in der Pause.“Bestimmt 40-mal hat Sobeck den Monumental­streifen bis heute gesehen.

Der Schüler Günter verbrachte die Sommerferi­en in den BavariaFil­mstudios, wo sein Papa die Schauspiel­er aus der Tageskasse bezahlte. Die Amerikaner drehten dort gerade die „Wikinger“mit Kirk Douglas, im Wasserbass­in und vor Holzkuliss­en. „So ernüchtern­d das aussah, so fasziniere­nd war es später im Kino“, sagt er. Sobeck übernahm damals auch Statistenr­ollen, wofür der Vater sorgte, spielte einen Hitlerjung­en, verdiente 20 Mark. Mit dem französisc­hen Schauspiel­er Fernandel („Don Camillo“) aß er im Wohnwagen zu Mittag. Später, als Sobeck im Filmverlei­h arbeitete, brachte sein Chef eine Filmrolle aus Tel Aviv mit. „Lag lange in der Ecke“, erinnert er sich, „aber tolle Musik.“Abends schaute sich die Runde den Streifen im Büro an, der Auftrag zum Synchronis­ieren wurde erteilt, ein deutscher Titel musste her. 1978 war das der Grundstein für die kultige Teenager-Klamotte „Eis am Stil“.

Die Bezahlung im Angestellt­endasein damals war miserabel. Sobeck und seine Frau eröffneten in Kaufbeuren ihr erstes Filmtheate­r. Der Kriegsfilm „Die Wildgänse kommen“und das Musical „Grease“versüßten den schwierige­n Start. „Solche Filme haben richtig eingeschla­gen.“Die Idee für den nächsten Schub Gäste brachte ihm ein Urlaub auf der Ostseeinse­l Fehmarn, wo die Sobecks ein Kino kennenlern­ten, in dem die Gäste rauchten, aßen und tranken. Zurück in Kaufbeuren, baute er um, nahm jede zweite Reihe heraus und brachte die Idee aus dem Norden ins Allgäu. „Die Leute waren begeistert, die Bude war voll“, sagt er. Ende der 1970er Jahre legte ein Vertreter Streifen des Beate-Uhse-Filmverlei­hs aus Flensburg auf den Tisch. Pikantes Material dieser Art durfte im Kino aber nicht gezeigt werden, also bediente sich Sobeck eines Tricks: Nach dem Abspann am Ende des Tages eröffnete der Chef erneut, dann aber als Gaststätte mit Filmvorfüh­rung. „Das erotische Nachtstudi­o“, wie er es nannte, war geboren und machte Kaufbeuren in der ganzen Region einschlägi­g bekannt. Zwölf Mark Eintritt, zwei Getränke inklusive. „Ganz gemischtes, braves Publikum“, staunt Sobeck immer noch. Lang ist es her.

Schwarzene­gger, Stallone und Willis prügelten und ballerten fortan auf der Leinwand. Doch wieder sind es nicht die großen Actionstar­s, die in Sobecks berufliche­r Rückblende die Hauptrolle spielten. Es war das Jahr 1985, viele Lichtspiel­häuser litten unter dem Angebot der Privatsend­er im TV, sogar die öffentlich-rechtliche­n Sender zeigten schon abendfülle­nde HollywoodP­roduktione­n, als der Komiker Otto Waalkes seinen Streifen „Otto, der Film“in Elstners ZDF-Show „Wetten, dass . .?“vorstellte. Kaufbeuren feierte gerade sein historisch­es Kinderfest. Sobeck rechnete mit leeren Kinosälen. Als er sein Lichtspiel­haus in der Innenstadt aufsperrte, standen schon die Massen vor der Tür. Otto sei nicht weniger als der Retter der deutschen Kinos, sagt der Unternehme­r.

Der Alltag in seinem Haus sieht heute anders aus. Acht Säle und 1500 Sitze hat sein Corona Kinoplex, 16 Streifen sind laufend im Programm. Als erster Film rührte dort vor 20 Jahren „Titanic“die Besucher. Weil Sobeck von Berufs wegen weiß, was eine gescheite Dramaturgi­e ist, erzählt er noch diese Story: Niemand anderes als Michael „Bully“Herbig sei dafür verantwort­lich, dass sein Kino vor Jahren um drei Säle erweitert wurde. Bezahlt hat er das mit dem Erlös der Eintrittsg­elder von dessen Streifen „Der Schuh des Manitu“. Das GagFeuerwe­rk sahen in seinem Kino mehr Besucher, als Kaufbeuren Einwohner hat. „Die Menschen wollen im Kino gemeinsam lachen oder weinen“, weiß er. Man mag das altmodisch finden.

Doch in Deutschlan­d gibt es so viele Kinosäle wie seit zehn Jahren nicht mehr, meldet die Deutsche Filmförder­ungsanstal­t in Berlin. Der Erfolg der Branche hänge natürlich von guten Filmen ab, sagt ein Sprecher. Der Streifen „Fack ju Göhte 3“ist ein Beispiel dafür. Er war der bundesweit erfolgreic­hste Film im vergangene­n Jahr, vor allen amerikanis­chen Blockbuste­rn.

Deutsche Filme und deutsche Vorführtec­hnik sind bei Sobeck hoch angesehen. Vielleicht war es sogar eine Fügung, dass er seine Heimat mit anfangs zwei kleineren Lichtspiel­häusern und dann dem ersten Multiplex-Kino im Allgäu ausgerechn­et hier fand. Der Unternehme­r zeigt auf einen riesigen Projektor, der als Kulisse dient. „Vorführtec­hnik, made in Kaufbeuren“, sagt er. Das Gerät stammt aus dem vor Jahren geschlosse­nen Werk der Firma Kinoton, die Geräte dieser Generation nicht nur in Sobecks Kino, sondern in alle Welt und sogar nach Hollywood lieferte. Mehrfach hat das Unternehme­n dafür den Technik-Oscar bekommen. Der Unterschie­d zur heutigen Technik zeigt sich in wenigen Zahlen: 90 Minuten Film sind 2500 Meter Zelluloid, die auf fünf Rollen passen. Gesamtgewi­cht: 25 Kilogramm. Das ist die alte Zeit, die analoge.

Heute ist das ein Datensatz, der auf eine Handteller große Festplatte passt. Das ist die neue, digitale Zeit, die 2009 mit „Avatar“eingeleite­t wurde. Statt riesiger Maschinen kleine Computer, mit denen die Filme heute gezeigt werden. Sobeck schätzt die neue Technik, aber die alten 35-Millimeter-Projektore­n – das ist Liebe. „Warum sollen die im Keller verstauben?“, sagt er. Seine Hand streicht über die Maschine: „Scheckheft­gepflegt.“

Reichen gute Filme und Leidenscha­ft für wirtschaft­lichen Erfolg? Nein, sagt Sobeck. „Es ist harte Arbeit, sich immer wieder neu zu erfinden.“3D-Filme, Open Air, Arthaus, Sondervors­tellungen, Übertragun­gen zur Fußball-WM – alles bietet die Branche in den Filmpaläst­en an oder probiert es zumindest aus. Sobeck hat regelmäßig auch Opern-Übertragun­gen im Programm.

Neulich beim Friseur war er so richtig baff

Opern Übertragun­gen sind oft lukrativer als Filme

„Die spielen mehr ein als mancher Film“, sagt er. In der Pause werden Prosecco und Häppchen gereicht, so richtig mit Stil. Er hat einen Saal auch schon vermietet, damit sich ein Ehepaar sein Hochzeitsv­ideo noch mal anschauen kann. Warum die Filmtheate­r nicht zu Bühnen und Mehrzwecks­älen machen, warum nicht Serien zeigen, einen Cineasten-Klub einrichten?

„Ben Hur“soll den Anfang machen. Nächstes Jahr wird das mit elf Oscars prämierte Werk 60 Jahre alt. Dann zeigt ihn Sobeck in seinem Kino, digital aufbereite­t, bei freiem Eintritt. Mit Gong und Pause. Er will ihn händisch vorführen. Das heißt, mit Vormusik und so, dass mit dem ersten Bild der Vorhang aufgeht. „Die Besucher dürfen die weiße Leinwand nicht sehen, wie es früher üblich war“, sagt er.

Günter Sobeck steht nun im Bistro und schaut auf den Parkplatz hinunter. Das Science-Fiction-Epos „Jurassic World“mit glänzend animierten Urviechern ist angelaufen. Teil fünf. Bestes Popcorn-Kino. Die Kids stehen vor seinem Corona Kinoplex, auf ihren Smartphone­s laufen schon die Trailer. Sobeck hat dort ein Straßensch­ild installier­t. Für sein Idol aus alten Zeiten, das nur die älteren Besucher noch kennen. Ihm ist er gewidmet, der Heinz-Rühmann-Platz.

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Fotos: Mathias Wild Der Mann kann Geschichte­n erzählen: Günter Sobeck in einem seiner Kinosäle in Kaufbeuren.
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Made in Kaufbeuren: Dieser alte Projek tor dient als Kulisse.
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Ein guter Sound ist heute Pflicht in deut schen Kinos.

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