Wer redet jetzt mit Merkel und Juncker?
Italiens Ministerpräsident Conte hat seine Teilnahme am Asyl-Gipfel so gut wie abgesagt. Damit sinken die Chancen für eine europäische Lösung. Warum sich deutsche EU-Diplomaten dennoch Chancen für eine Einigung ausrechnen
Brüssel Die Hoffnung auf eine europäische Lösung beim Mini-Gipfel europäischer Staats- und Regierungschefs am Sonntag ist groß. Doch in Brüssel wachsen bereits die Zweifel, ob das Treffen nicht vielmehr nur eine Show-Veranstaltung wird. Denn einer der wichtigsten Gäste hat vorsorglich mal abgesagt.
Der italienische Innenminister Matteo Salvini steht zwar nicht auf der Einladungsliste für den MiniAsyl-Gipfel. Dennoch sorgte der umstrittene Lega-Nord-Chef bereits im Vorfeld dafür, dass die Hoffnungen auf einen Durchbruch gegen null sanken. Premierminister Giuseppe Conte tue „gut daran, die Reisekosten zu sparen“, mahnte Salvini seinen Chef via Twitter. Er möge nur ja keine von Deutschland und Frankreich vorbereiteten Erklärungen unterschreiben. Damit scheint eine europäische Lösung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel sich erhofft, schon unmöglich geworden, bevor man sich überhaupt getroffen hat. Immerhin hat Merkel am Donnerstag bei Conte angerufen. Über Inhalte wurde nichts bekannt gegeben.
Dabei schien alles eigentlich ganz gut zu laufen: Die Staatenlenker aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Griechenland, Bulgarien, Spanien und möglicherweise auch Belgien wollten sich am Sonntag zusammen mit dem neuen Premier aus Rom auf eine ge- meinsame Linie verständigen. Doch als Salvini von einem vorbereiteten Statement aus der Feder von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Wind bekam, griff er zur Notbremse. Italien fordere nämlich eine vollständige Reform des Dubliner Asyl-Abkommens, das die alleinige Verantwortung für neu ankommende Flüchtlinge und Asylbewerber bei den Aufnahmestaaten festschreibt. Diese Regelung müsse, so Salvini, weg.
In Junckers Vorlage ist davon keine Rede. Er plädiert stattdessen für einen Ausbau des Grenz- und Küstenschutzes. 2020 sollen 10000 Beamte als „echte Grenzpolizei“zur Verfügung stehen. Außerdem spricht sich Juncker für „regionale Ausschiffungszentren“aus. Unter dem Dach des Kinderhilfswerkes der UN (Unicef) sowie der Internationalen Organisation für Migration (IOM) könnten solche Anlaufpunkte entstehen, zu denen gerettete Flüchtlinge gebracht werden. Dort sollen Experten und Helfer die Asylwünsche prüfen und im Falle einer Ablehnung auch gleich die Rückführung veranlassen. Das dürften die meisten Gipfelteilnehmer gerne unterstützen. Eigentlich müsste der Vorstoß auch Salvini passen. Der will in der kommenden Woche ohnehin mit Libyen, Ägypten und Tunesien verhandeln und auf ein schärferes Vorgehen gegen Schleuser drängen. Doch das Gesamtpaket reicht ihm nicht.
Dennoch rechnen sich deutsche EU-Diplomaten für Sonntag Chancen aus, mithilfe finanzieller Unterstützung der EU, aber auch Berlins, zu einer Art Rahmenvereinbarung mit den EU-Ländern über die Rücknahme jener Zuwanderer zu kommen, die dort registriert wurden. Unklar blieb allerdings, ob die CSU mitspielt. Deren Europa-Abgeordneter Markus Ferber nannte solche Absprachen einen „schmutzigen Deal“. „Wir haben Angst, dass Angela Merkel jetzt mit dem Scheckbuch durch Europa läuft“, sagte er weiter und warnte: „Es darf keinen Deal zulasten der deutschen Steuerzahler geben.“
Tatsächlich schätzen Beobachter das Risiko als groß ein, dass die Kanzlerin für ein Einlenken in der Asyl-Zusammenarbeit kostspielige Wünsche der EU-Nachbarn erfüllt. Sogar von „Erpressbarkeit“war bekanntlich die Rede. Viel größer dürfte allerdings eine andere Gefahr sein, die sich in dem Juncker-Papier andeutet. Denn ein Netz von regionalen Aufnahmezentren in Drittstaaten braucht eine lange Vorbereitung, Vereinbarungen mit den afrikanischen Küstenstaaten sowie den Balkan-Ländern und die Bereitschaft der Unionsmitglieder, die außerhalb der EU-Grenzen erstellten Bescheide anzuerkennen.
Gerald Knaus, Chef der Berliner Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative“und der geistige Vater des EU-Flüchtlingsdeals mit der Türkei, sprach von einem „Wettlauf der Schlagwörter“und einer „zutiefst unseriösen Debatte“. Die Bundeskanzlerin täte wohl gut daran, von dem Treffen am Sonntag nicht allzu viel zu erwarten.