Rieser Nachrichten

Endlich selbst ans Steuer

Saudi-Arabien ist das letzte Land, in dem Frauen nicht selbst Auto fahren dürfen. Das ändert sich am Sonntag. Aber die Liberalisi­erung hat viele Haken

- VON THOMAS SEIBERT

Riad Bei Fahrschule­n und Kfz-Ämtern in Saudi-Arabien meldet sich seit einigen Wochen eine völlig neue Kundschaft: Frauen, die den Führersche­in machen oder ihre ausländisc­he Fahrerlaub­nis in eine saudische umwandeln lassen wollen. Ab diesem Sonntag dürfen Frauen in dem Königreich erstmals in der Geschichte des Landes selbst einen Wagen oder ein Motorrad steuern – ein epochales Ereignis für die islamisch-konservati­ve Monarchie. Doch Festnahmen von Frauenrech­tlerinnen vor dem großen Tag trüben die Freude.

„Ein Traum ist wahr geworden“, jubelte Rema Jawdat, eine der ersten saudischen Frauen mit Führersche­in, nach einem Bericht der Zeitung Saudi Gazette. Viele Frauen freuen sich darauf, endlich selbst bestimmen zu können, wohin die Reise geht. Bisher müssen sie mit einem männlichen Verwandten mitfahren oder einen Chauffeur einstellen. „Ab sofort entscheide ich, wann ich fahre, was ich tun will und wann ich zurückkomm­e“, sagte die Architek- und Fahrschüle­rin Amira Abdulgader der Nachrichte­nagentur Reuters. Frauen dürfen künftig auch als Chauffeuri­nnen arbeiten.

Saudi-Arabien war bisher das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht fahren durften. Seit mehr als 25 Jahren streiten saudische Frauen für das Recht auf den Platz am Steuer. Im Jahr 1990 fuhren 47 Aktivistin­nen trotz Verbots demonstrat­iv in einem Konvoi durch die Hauptstadt Riad – und wurden prompt festgenomm­en. Während des Arabischen Frühlings gab es ähnliche Aktionen, doch wieder änderte sich nichts. „Es ist erniedrige­nd“, sagte die Aktivistin Manal al-Sharif damals dem US-Sender CNN.

Doch im vergangene­n Jahr begann Kronprinz Mohammed bin Salman mit dem Versuch, SaudiArabi­en zu modernisie­ren und nach einem Reformprog­ramm namens „Vision 2030“umzubauen. Mehr Rechte für Frauen gehören dazu, weshalb das Königshaus im September ein Ende des weiblichen Fahrverbot­es ankündigte.

Zunächst war der Jubel groß: Die neue Freiheit für Frauen am Steuer soll den Aufbruch des Landes in die Moderne symbolisie­ren. Doch schon Wochen vor dem Stichtag des 24. Juni ließen die Behörden mehrere Aktivistin­nen festnehmen, die sich für das Recht auf Selbstbest­immung am Steuer eingesetzt haben. Der Kronprinz machte damit klar, wo für ihn die Grenzen der Reformpoli­tik liegen: Veränderun­gen sind allein Sache des Palastes. Ansätze für eine eigenständ­ige Reformbewe­gung werden bekämpft.

Das Vorgehen gegen die FahrAktivi­stinnen zeugt vom Kernproble­m der saudischen Reformpoli­tik von oben: Der 32-jährige Kronprinz Mohammed will sein Land modernisie­ren, diesen Prozess aber selbst streng kontrollie­ren. Nichts ängstigt die Golf-Monarchien mehr als unabhängig­e Massenbewe­gungen wie die, die im Arabischen Frühling vor sieben Jahren zum Sturz der Machthaber in Tunesien, Libyen, Ägypten und Jemen führten. Der Kronprinz, nach seinen Initialen häufig nur MBS genannt, will ein modernes Land ohne Demokratie oder Eigenständ­igkeit der Bürger: Frauen und Männer, die politische Rechte antin streben, werden verfolgt, schrieb der amerikanis­che Ex-Diplomat Gerald Feierstein. Feierstein spricht von einem „neuen illiberale­n Modell“.

Im Rahmen dieses Modells bleiben saudische Frauen auch weiterhin in vielen Lebensbere­ichen von Männern abhängig. So dürfen sie nur mit Erlaubnis eines männlichen Vormunds – Ehemann, Vater oder Sohn – das Land verlassen oder ein Bankkonto einrichten. Auch für eine Heirat ist die Einwilligu­ng eines männlichen Verwandten notwendig. Der Führersche­in ändert an diesem System nichts, weitere Reformen zugunsten der Frauen sind derzeit nicht geplant.

Das ist der Hintergrun­d für die Festnahmen der Frauenrech­tlerinnen: Die saudischen Behörden wollen verhindern, dass die neue Freiheit für Autofahrer­innen als Signal einer weitergehe­nden Liberalisi­erung verstanden wird. MBS wolle zeigen, dass die Fahrerlaub­nis allein von der Gnade des Herrscherh­auses abhänge, sagte ein Aktivist der Nachrichte­nagentur afp: Der Palast gibt, der Palast nimmt.

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Archivfoto: Ahmed Yosri, dpa Das hier war nur ein Probesitze­n: Auf einer Automesse ausschließ­lich für Frauen bekommen diese beiden saudi arabischen Frauen einen Vorgeschma­ck, hinter dem Steuer ei nes Autos zu sein. Ab Sonntag dürfen sie auch offiziell am Straßenver­kehr teilnehmen.

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