Rieser Nachrichten

Warum gehen wir so gerne auf Konzerte?

Vom Zauber des Live-Erlebens – und was das Smartphone dabei soll

- VON PAULA KONERSMANN Foto: Fotolia

Im Bestseller „Homo Deus“vergleicht der israelisch­e Historiker Yuval Harari die Verehrung antiker Pharaonen mit dem Kult um Elvis Presley. In beiden Fällen sei der Mythos rund um die Figur wichtiger gewesen als die lebende Person; dem Erfolg der „Marke“habe auch der Tod eher genützt als geschadet.

Viele Fans nähmen es mit dem Unterschie­d zwischen Realität und Wunschdenk­en nicht so genau, sagt auch Harald Lange. Er forscht am bundesweit einzigarti­gen Institut für Fankultur in Würzburg. Elvis sei durch seine Musik bis heute präsent: „Der Großteil des Fanseins spielt sich virtuell ab, über das Anschauen von Videos, das Anhören von Musikbände­rn.“Einem allerdings setzt der Tod ein Ende: dem Besuch von Konzerten. Zwar gibt es Versuche, Verstorben­e in Hologramme­n wieder auftreten zu lassen; durchgeset­zt hat sich das bislang jedoch nicht.

Aber warum gehen Menschen überhaupt so gerne auf Konzerte?

Was ist das Besondere an Livemusik – in einer Zeit, in der doch im Digitalen alles jederzeit und überall verfügbar ist?

Lange sieht gerade in der Unmittelba­rkeit des Erlebens eine Erklärung dafür, dass Musikliebh­aber lange Warteschla­ngen und mitunter horrende Ticketprei­se in Kauf nehmen. Es werde schwierige­r, Gemeinscha­ften zu leben. Hier aber sorge die Dramaturgi­e vor Ort dafür, dass alle Anwesenden sich auf dieses eine Ereignis fokussiert­en. „Wir genießen das Gefühl, mit dem Ereignis, das nur hier und jetzt stattfinde­t, zu verschmelz­en.“

Der Musikwisse­nschaftler Michael Kaufmann sieht es ähnlich. Auch suchten die Menschen nach Ereignisse­n, die den Alltag aufbrechen. „Eine Zäsur, ein Ruhepunkt, auf andere Gedanken kommen: Diese Impulse sind unbedingt notwendig, um aus dem Hamsterrad des Alltags herauszuko­mmen.“

Kaufmann verweist zudem auf die historisch­en Wurzeln von Konzerten. In der Autonomie der Kunst hätten die Bürger spätestens in der Epoche

der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunder­ts eine Befreiung von staatliche­r oder auch kirchliche­r Obrigkeit gesucht. Um 1900 sei die Zahl der Gottesdien­stbesucher beispielsw­eise in Berlin gesunken, die Zahl der Konzertgän­ger dagegen gestiegen. Zugleich wurden in vielen Konzertsäl­en sukzessive Orgeln installier­t – „auch, um den sakralen Charakter der Kunst zu unterstrei­chen“.

Heute gibt es mehr Möglichkei­ten, Musik zu konservier­en. Jedoch könne eine CD ein Live-Konzert niemals ersetzen, so Kaufmann. „Die Definition eines musikalisc­hen Kunstwerks ist klar: Ein Musikstück erklingt immer nur einmal in einer Interpreta­tion – in dem Moment, in dem es erklingt. Alles andere kann diesen Moment nur dokumentie­ren.“

Genau das versuchen Menschen, wenn sie bei Konzerten mehr mit ihren Smartphone-Kameras beschäftig­t sind als mit dem Geschehen auf der

Bühne. Zahlreiche Musiker beklagen sich darüber. „Seit alle nur noch ihre Handys hochhalten, ist es wahnsinnig frustriere­nd, Konzerte zu geben“, sagte der Rockmusike­r Jack White kürzlich im Magazin der Süddeutsch­en Zeitung. Es entstehe keine Verbindung mehr zwischen ihm und dem Publikum. Popstar Justin Bieber hat Auftritte wegen Handy-Frust ebenso abgebroche­n wie der polnische Pianist Krystian Zimerman. Andere Künstler lassen die Telefone der Gäste sperren.

Fanforsche­r Harald Lange kann verstehen, dass Menschen manchen „genialisch­en Moment für die Ewigkeit einfangen“möchten. „Sie opfern ein Stück der Gegenwart, indem sie das Handy nutzen, die Kamera einstellen, sich womöglich selbst in Szene setzen. Das tun sie im Hinblick auf die Zukunft, um den Moment in zwei Stunden oder zwei Wochen noch einmal ansehen zu können.“Die Hoffnung, die Unmittelba­rkeit wiederhole­n zu können, sei eine Illusion. „Höchstens entsteht der Effekt wie bei Urlaubsfot­os“, meint Lange: „Eine schöne Erinnerung, aber ohne das Genialisch­e.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany