Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (72)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Daß es nur heute abend nicht so spät wird! Sie wartet auf ihn – wie hat sie gesagt? Lieber? Liebster? Vielleicht wird noch alles gut, vielleicht ist es das, was seinem Leben in all den Jahren gefehlt hat: etwas, auf das man sich ein bißchen freuen kann!

Er freut sich auf den Abend, sie war so anders heute früh, ganz sanft. Sicher sitzt sie und wartet schon in seinem Zimmer auf ihn…“

Wer aber auf ihn gewartet hat, wer sich im fast dunklen Zimmer in die Sofaecke gesetzt hat, wer nicht einmal aufsteht, sondern ihn nur ansieht, abends kurz vor zehn, das ist nicht Liese – Beerboom ist es!

Kufalt knipst das Licht an, er ist so wütend, daß er den Mann kaum ansieht im Sofa, er sagt nur: „Was wollen Sie hier? Ich will Sie hier nicht mehr haben!“

Denn Beerboom ist der böse Geist, er war der schwarze, schlimme Stern, der über der ersten Liebesnach­t stand, kommt er nun auch – Geheimnis! – zu der zweiten?

Denn schon öffnet sich die Tür, Liese tritt ein. Sie trägt ein weißes Kleid, über das kleine, bunte Blümchen gestreut sind, sie sieht so fröhlich aus, sie bietet ihm frank und frei die Hand, sie sagt: „Guten Abend.“

„Guten Abend, Liese.“Er denkt nur daran, daß der andere gehen soll, wäre er nicht hier, könnte er sie schon in seine Arme ziehen.

„Herr Beerboom hat gebeten, daß er hier warten darf. Es ist sehr wichtig, hat er gesagt.“Sie macht eine kleine Pause und setzt vorsichtig hinzu: „Ich hab’ ihn hier allein sitzen lassen. Sogar Licht zu machen, habe ich vergessen.“

„Also was ist denn, Beerboom?“fragt Kufalt.

„Ach nichts“, sagt Beerboom. „Ich gehe schon.“Aber er bleibt sitzen. Der Klang von Beerbooms Stimme ist so verändert, daß Kufalt sich seinen Klagebrude­r von dunnemals aufmerksam beschaut. Beerboom hat immer eine fahle, lederartig­e Haut gehabt, aber heute scheint es, als brennte eine Glut hinter die- ser Haut. Die Haare sind verklebt wie von Schweiß, die Augen flackern und glänzen… Er kann die Hände nicht ruhig halten, sie fliegen immerzu hin und her, bald auf den Tisch, bald suchen sie in den Taschen herum, bald befingert er sein Gesicht, sucht etwas, was er nicht findet.

„Also was ist?“fragt Kufalt. Und mit einem Blick auf die Uhr: „Du wirst zu spät ins Heim kommen, es ist gleich zehn.“

„Komme nicht zu spät ins

Heim.“

„Wieso? Hast du etwa Schluß gemacht, da?“

„Schluß gemacht da? Rausgeschm­issen bin ich!“

„Ach so“, sagt Kufalt und fragt dann: „Deine Sachen?“

„Sind noch da. Ich erzähl’ dir doch, sie haben mich rausgeschm­issen, zehn, zwölf Mann über mich her und rausgeschm­issen.“

„Aber warum denn?“fragt Kufalt. „Wieso denn das? So sind die doch auch wieder nicht.“

„Hab die Schreibmas­chine zerschlage­n“, sagt Beerboom. „Konnte es nicht mehr sehen, das Dings, das mich anbleckt: hundert Adressen, fünfhunder­t Adressen, tausend Adressen.“Er steht auf, sieht sich einen Augenblick um, setzt sich wieder hin, sagt: „Is ja alles egal. Was kommt, kommt.“

„Du, hör mal“, sagt Kufalt entschiede­n, „das stimmt nicht, was du erzählst. Das stimmt todsicher nicht, daß die anderen dich deswegen rausgeschm­issen haben, weil du ’ne Schreibmas­chine zerkloppt hast. Seidenzopf schon, aber die anderen nicht. Womit hast du sie denn zerkloppt?“

„Mit ’nem Hammer.“

„Wo hast du denn den Hammer her?“

„Hab’ ich mir geklaut. Nee, hab’ ich mir gekauft.“

„Stimmt nicht“, sagt Kufalt. „Stimmt alles nicht. Die anderen freuen sich doch, wenn du den Speckjäger­n ’ne Schreibmas­chine zerhaust. Daß Wolle-Teddy dich darum rausschmei­ßt, verstehe ich schon, aber die anderen dich darum verkeilen – ausgeschlo­ssen!“

„Ich hab’ doch auch denen die Arbeit demoliert, mit ’nem Minimax. Hab’ alles vollgespri­tzt. Da haben sie mich rausgeschm­issen. Verdrosche­n und rausgeschm­issen.“„Und Vater Seidenzopf?“„Den hab’ ich in die Fresse geschlagen.“

„Der läßt dich doch nicht so einfach gehen, nach so was. Der ruft doch die Polente.“

„Ruf man, da war ich schon weg.“„Ach, du bist also nicht rausgeschm­issen, du bist getürmt?“

„Is ja alles egal“, sagt Beerboom brummig, steht auf und geht ans offene Fenster. Plötzlich fragt er sehr lebhaft: „Ob man wohl tot ist, wenn man da runter hopst auf die Gleise?“

Und er setzt einen Fuß aufs Fensterbre­tt.

„Mach bloß keinen Quatsch“, sagt Kufalt. „Ich will keine Scherereie­n haben deinetwege­n.“

Er hält Beerboom fest. Aber wenn der ernstlich wollte, nützte Festhalten gar nichts. Liese ist es, die ihn zurückhält. Mit ihrer leichten Hand.

„Warum haben Sie denn das alles auf der Schreibstu­be gemacht, Herr Beerboom?“fragt sie.

„Hat den Wilden Mann markiert, kenn’ ich aus dem Kittchen“, erklärt Kufalt.

„Hat mich alles angekotzt“, sagt Beerboom, sieht das junge Mädchen an und tritt wieder so weit zurück in diese Welt, daß er das Bein vom Fensterbre­tt nimmt. „Immer schreiben, schreiben, schreiben, und da drinnen verdreht es sich immer mehr.“

„Aber“, sagt Liese, „das hat Sie doch schon lange angekotzt? Warum jetzt plötzlich?“

„Weil es soweit ist, Fräulein“, erklärt Beerboom. „Einmal hat man den Mumm, dann ist es soweit.“„Was ist soweit?“

„Ach“, sagt Beerboom böse, „Sie wollen ja doch nicht davon hören, Fräulein. Sie schreien ja doch bloß wieder: Mörder.“

Ziemlich lange Stille.

Dann sagt er: „Ich hab’ gedacht, die bringen mich in ’ne Klappsmühl­e, aber die haben bloß das Überfallko­mmando angerufen. Da hab’ ich gedacht: geh stiften.“Er lacht plötzlich schallend. „Der Minna an der Tür hab’ ich eine auf die Nase gesetzt, das Nasenbein ist bestimmt hin.“

Liese ist etwas von ihm weggegange­n, sie steht unter der Tür, wie fertig zur Flucht, aber sie nimmt keinen Blick von ihm.

Kufalt steht ziemlich nahe bei ihm, der noch immer am Fensterkre­uz lehnt.

„Und was machen wir nun mit dir?“

„Ach“, sagt Beerboom gedehnt, „vielleicht da runter?“

Er beugt sich sehr weit hinaus. „Halt!“ruft Kufalt.

Aber er braucht sich wirklich keine Sorgen zu machen. Beerboom kommt mit dem Kopf zurück ins Zimmer. Er grinst. „Das könnte denen so passen, allen denen, die mich fertiggema­cht haben: meinen Eltern und den Richtern und den Staatsanwä­lten und dem Pfaffen und den Bullen im Kittchen, daß ich so bequem für die abhaue! Das glaub’ ich! Das möchten die.

»73. Fortsetzun­g folgt

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