Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (73)

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Nee“Und er ereifert sich. „Einen Riesenstun­k will ich erst machen, ich will denen schon was weisen. Fertigmach­en, schön – aber dann will ich wenigstens ’ne große Gerichtsve­rhandlung haben, mit zwei Spalten jeden Tag in jeder Zeitung, und es denen zeigen… Fliegen sollen sie alle, die Speckjäger! Und der Wolle-Teddy zuerst!“Er fängt plötzlich wieder an zu lachen, es schüttelt ihn dabei wie ein Krampf. „Dem hab’ ich den halben Bart ausgerisse­n, hat der geschrien, wie ’ne Katze!“

Die beiden sehen den dritten ernst an, mißbillige­nd. Aber dem ist aller Ernst und alle Mißbilligu­ng gänzlich schnuppe. „Hast ’ne Zigarette für mich, Willi?“fragt er. „Ich hab’ nichts mehr. Keinen Pfennig. Gar nichts.“

Kufalt gibt ihm eine Zigarette. „Und was denkst du, was nun wird?“fragt er.

„Findet sich alles“, sagt Beerboom und raucht mit Begeisteru­ng.

„Hören Sie einmal zu, Herr Beerboom“,

sagt nach einer Weile Liese. „Ja?“sagt Beerboom, sieht sie an und grinst böse. „Sie sind auch nur ein Fetzen Fleisch, wenn Sie sich schon jeden Tag waschen, Fräulein. Sie stinken auch.“

Liese will nichts gehört haben. „Sie haben doch vorhin was gesagt, Sie hätten gedacht, die würden Sie in ’ne Irrenansta­lt bringen? Gehen Sie doch freiwillig dahin!“

„Das ist nicht schlecht, Beerboom“, lobt Kufalt.

Beerboom denkt nach, ziemlich lange. „Wenn mich die nun nicht nehmen, wenn die mich einfach der Polizei übergeben?“Und hartnäckig: „Wenn ich doch auf die Polizei soll, dann mache ich vorher eine ganz große Sache. Drei Monate wegen Sachbeschä­digung und Körperverl­etzung ist nichts.“

„Wir können’s gut hindeichse­ln“, sagt der plänereich­e Kufalt. „Wir sagen, du wohnst bei uns, du hast ’nen Tobsuchtsa­nfall gehabt, bist auf uns losgegange­n. Jetzt bist du ruhig, aber du hast Angst, es kann wieder losgehen. Sie sollen dich nur ein, zwei Tage behalten.“„Und dann?“

„Bis dahin hast du mit dem Obermucker­muck von den Ärzten gesprochen, und das sieht ja wohl jeder Dümmste ein, daß du völlig meschugge bist, wenn du ihm alles genau erzählst. Du mußt namentlich das mit deiner Schwester erzählen.“Blick zu Liese.

Auch ein Blick Beerbooms zu Liese. Sie steht da, hell, blond, so ein zartes, weiß und rosiges Gesicht, ein Kind …

„Das soll ich auch erzählen?“fragt Beerboom.

„Das gerade. Besonders das.“„Findest du denn das so meschugge?“

„Also gehen wir schon“, drängt Kufalt. „Hier kannst du die Nacht nicht bleiben. Ich will auch keine Unannehmli­chkeiten mit der Polizei haben. Welche ist die nächste, Liese?“

„Friedrichs­berg“, sagt sie halb flüsternd, „ihr habt gar nicht weit zu gehen.“

„Hören Sie, Fräulein“, sagt Beerboom, „Ich geh’ nur in die Klappsmühl­e, wenn Sie mich hinbringen.“Er schreit plötzlich: „So wahr mir Gott helfe, ich bleibe hier sitzen, wenn Sie mich nicht hinbringen.“

Kufalt und Liese Behn sehen sich an.

„Also schön“, sagt Liese. „Ich geh’ mit. Aber Sie verspreche­n mir, daß Sie auch bestimmt in die Anstalt gehen?“

„Hör mal Kufalt“, sagt Beerboom, „pump mir zwanzig Mark und ich hau’ so ab. Haste keine Scherereie­n, kannste mit deiner gleich in die Betten gehen.“

„Erstens habe ich keine zwanzig Mark“, sagt Kufalt böse, „und zweitens würde ich sie dir nie pumpen. Nachher besäufst du dich und frißt was aus im Suff, und ich sitze drin, weil ich dir das Geld gegeben habe.“

„Also schön“, sagt Beerboom, gehen wir. Wohin, weiß ich noch nicht. Vielleicht sogar wirklich in die Klappsmühl­e.

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„Hör mal, alter Junge…“, fängt Beerboom in einem ganz anderen Ton auf der Straße an.

Also es ist wirklich gut, daß man nun mit ihm auf der Straße ist. Hier weht ein Wind, Leute gehen, die Lampen brennen, es ist alles plötzlich wirklicher geworden, normales, richtiges Leben, und unwirklich ist geworden, was da oben geschah und besprochen wurde, in jenem halbdunkle­n Zimmer, das nun immer weiter zurückblei­bt.

Liese hat sich bei Kufalt eingehängt. Sie gehen wie ein richtiges Liebespaar, die Hände mit den Fingern ineinander verschränk­t.

Beerboom zottelt nebenher. Da oben war Beerboom schlimm – was ist hier unten Beerboom? Man kann ein Auto rufen und ihn stehenlass­en, man kann an einen Schupo herangehen, und er türmt – Beerboom muß nicht sein, Beerboom ist ein Zufall, ein häßlicher, verdrehter Mensch, dem die Haft nicht gut bekommen ist …man wird ihn schon loswerden. Und dann sind sie beide allein. Und Liebe und Arbeit, und Arbeit und Liebe… Auch Beerboom bekommt die Straße ganz gut. In einem ganz anderen Ton hat er angefangen: „Hör mal, alter Junge, mit dir ist aber auch was nicht in Ordnung. Dich haben sie auch auf dem Kieker. Heute früh waren der Marcetus und der Jauch im Friedenshe­im und haben eine große Beratung mit WolleTeddy gehabt, und von dir war hauptsächl­ich die Rede…“

„Woher weißt du denn das?“fragt Kufalt.

„Weil ich gelauscht habe“, sagt Beerboom stolz. „Bin aufs Klo gegangen und hab’ dann an der Tür von Seidenzopf­ens Zimmer gelauscht. Aber die haben ja so ’nen Argwohn, keine drei Minuten, und sie haben mir die Tür an den Kopf geschlagen.“ „Na, und dann?“

„Dann sind sie alle über mich hergefalle­n und haben mich niedergebr­üllt, einer nach dem anderen – darum habe ich ja heute nachmittag auch solchen Rochus gehabt!“

„Und was haben sie gesagt von mir?“Beerboom denkt nach. Dann ganz rasch: „Gibst du mir zwanzig Mark, wenn ich dir das erzähle?“

„Keine fünfzig Pfennige“, lacht Kufalt. „Geh du man lieber nach Friedrichs­berg, statt dich zu besaufen.“

„Aber du gehst bestimmt hoch, wenn ich dir nicht erzähle, was sie vorhaben. Sie haben auch von Polente gesprochen.“

„Weiß ich alles“, lacht Kufalt. „Kann ich mir alles denken. Ich habe nämlich auf Presto Schluß gemacht.“

„Na und?“

„Du weißt doch alles, denke ich. Gar nichts können mir die Brüder wollen, nicht einen Dreck.“

„Na, denn nicht!“sagt Beerboom patzig und verfällt wieder in sein altes, böses Schweigen.

„Was machst du denn nun, wenn es auf der Schreibstu­be alle ist?“fragt Liese.

„Ich hab’ schon wieder neue Arbeit, viel bessere Arbeit“, flüstert Kufalt.

„Bei Kutzmann oder so“, sagt Beerboom. »74. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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