Als Flamingos im Ries lebten
Jahre nach dem Impakt sah es in der Region ganz anders aus, als heute (Teil 4)
Nördlingen Dass sie auf ehemaligem Seegrund wohnen, ahnten die Rieser schon immer. Zu eindeutig waren die versteinerten Wassertiere, die sie in den Kalksteinbrüchen immer wieder entdeckten. Dass ihre Vorfahren an Ufer und Felsen eiserne Ringe zum Festmachen von Fischerbooten angebracht hatten, wie Schäfer in seinem 1843 erschienenen Buch „Kurzgefasste Beschreibung von Harburg im Ries“gemutmaßt hatte, hat sich allerdings nicht bestätigt.
Nach dem Impakt gab es zunächst, wie nach Atomexplosionen oder großen Vulkanausbrüchen, einen „Fallout“, das heißt, es kam zu einem Schlamm- und Ascheregen auf die noch heißen Impaktgesteine. Im Kraterzentrum bestand der Boden aus einer bis zu 400 Meter mächtigen Schicht aus Suevit mit einer durchschnittlichen Temperatur von anfänglich rund 600 Grad Celsius. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass diese Schicht etwa 2000 Jahre benötigt hat, um auf 100 Grad Celsius abzukühlen.
Mit dem ersten Ascheregen setzten erste Erosionsvorgänge ein. Von den schroff aufragenden Randhöhen strömte Niederschlagwasser und bildete Rinnsale und Bäche, Tümpel, wohl anfangs auch kochende Sümpfe. In dem abflusslosen Kraterbecken entstand im Laufe der Zeit ein See von circa 400 Quadratkilometer Fläche und einer durchschnittlichen Tiefe von wenigen Metern bis Zehnermetern.
Der Fläche nach entsprach der Ries-See etwa dem heutigen Bodensee, der wie die anderen bayerischen Seen erst Jahrmillionen später in der Eiszeit entstanden ist. Der Riessee unterschied sich aber grundlegend von diesen Seen. Als Trinkwasserspeicher wäre er aber vollkommen ungeeignet gewesen: Wechselnder Salzgehalt und Mineralisierungsgrad bestimmten lange Zeit die Wasserqualität. So war der Ries-See über lange Zeit kein normaler Süßwassersee, sondern zunächst ein Sodasee mit hohen pH-Werten und Natriumkarbonate-Gehalten.
Ein echter Salzsee im Rieskrater
Durch den Zufluss aus der verwitternden Trümmermassendecke verwandelte er sich schließlich in einen echten Salzsee mit fast meerwasserähnlicher Zusammensetzung. An Seen mit ähnlichen geochemischen Bedingungen kann man einzelne vergangene Seephasen heutzutage nachvollziehen zum Beispiel am Mono Lake (Kalifornien), am Satonda Kratersee (Indonesien), am Great Salt Lake (Utah) oder am Ohridsee (Albanien/Mazedonien).
Entsprechend entwickelten sich Flora und Fauna im Wasser und an den Ufern: unter anderem Schilf, Laubbäume und endemische, das heißt nur im Ries vorkommende Kieferarten. Im lichtdurchfluteten Flachwasser- und Uferrandbereich wurden fossilreiche Riessee-Kalke abgelagert, in denen die Reste von Wasserpflanzen (diverse Algenarten, ja ganze versteinerte Riffe von Grünalgen) sowie Schnecken, Muschelkrebse, Insekten (zum Beispiel Libellenlarven, Fliegen und Fliegenlarven, Tausendfüßler), aber auch höhere Wirbeltiere wie Reste von Fischen, Schildkröten, Igeln, Hasen, Hamstern oder Fledermäusen erhalten blieben. Diverse Vogelarten – beispielsweise Flamingos, Pelikane und Papageien – sorgten mit ihren Überresten (Eier, Federn, Knochen – als Versteinerungen) dafür, dass das Ries heute über die weltweit am besten erhalten gebliebene fossile Vogelfauna des Miozäns verfügt. Bei den immer wieder in den Seesedimenten gefundenen Braunkohlenablagerungen (zum Beispiel bei Deiningen) handelt es sich um eingeschwemmtes Holz. Nach bisherigen Erkenntnissen fehlen Wurzeln oder Wurzelhorizonte. Folglich hat es um den Riessee Ereignisse gegeben, die Bäume geknickt haben. Flüsse haben diese Hölzer dann in den Riessee gespült, wo sie dann abgelagert wurden.
Das Leben war zurückgekehrt. Unsere Region hatte Ähnlichkeit mit einer wunderschönen, mediterran anmutenden Seelandschaft. Die Experten sind mit Aussagen über die Zeiträume, in denen sich die verschiedenen Phasen abspielten, vorsichtig. Heute wird angenommen, dass der Riessee über eine Zeitspanne von 300 000 bis vielleicht 2,5 Millionen Jahren bestand.
Am Ende dieser Zeitspanne ist der Riessee durch Einschwemmung von Sedimenten „einfach“verlandet. Überliefert ist dieser letzte Abschnitt der Seegeschichte leider nicht. Letztlich ist unser Rieskrater mitsamt den Seeablagerungen aus dem Landschaftsbild verschwunden. Die Kraterhohlform war vollständig aufgefüllt, nichts erinnerte mehr an den Asteroideneinschlag.
Der Ries-Krater gilt als einer der am gründlichsten erforschten Einschlagsorte auf Erden, und doch gibt er den Forschern immer noch Rätsel auf. Die Literatur füllt Bibliotheken.
Weitere Informationen: Wer sich für Details interessiert, findet auf der Web seite unseres Autors Dr. Oliver Sachs nicht nur Texte und Bilder, sondern auch Ver anstaltungshinweise aus den Program men des Rieskrater Museums und des GeoParks Ries (www.riesgeologie.de).