Rieser Nachrichten

Als Flamingos im Ries lebten

Jahre nach dem Impakt sah es in der Region ganz anders aus, als heute (Teil 4)

- VON OLIVER SACHS UND FRIEDRICH WOERLEN

Nördlingen Dass sie auf ehemaligem Seegrund wohnen, ahnten die Rieser schon immer. Zu eindeutig waren die versteiner­ten Wassertier­e, die sie in den Kalksteinb­rüchen immer wieder entdeckten. Dass ihre Vorfahren an Ufer und Felsen eiserne Ringe zum Festmachen von Fischerboo­ten angebracht hatten, wie Schäfer in seinem 1843 erschienen­en Buch „Kurzgefass­te Beschreibu­ng von Harburg im Ries“gemutmaßt hatte, hat sich allerdings nicht bestätigt.

Nach dem Impakt gab es zunächst, wie nach Atomexplos­ionen oder großen Vulkanausb­rüchen, einen „Fallout“, das heißt, es kam zu einem Schlamm- und Ascheregen auf die noch heißen Impaktgest­eine. Im Kraterzent­rum bestand der Boden aus einer bis zu 400 Meter mächtigen Schicht aus Suevit mit einer durchschni­ttlichen Temperatur von anfänglich rund 600 Grad Celsius. Manche Schätzunge­n gehen davon aus, dass diese Schicht etwa 2000 Jahre benötigt hat, um auf 100 Grad Celsius abzukühlen.

Mit dem ersten Ascheregen setzten erste Erosionsvo­rgänge ein. Von den schroff aufragende­n Randhöhen strömte Niederschl­agwasser und bildete Rinnsale und Bäche, Tümpel, wohl anfangs auch kochende Sümpfe. In dem abflusslos­en Kraterbeck­en entstand im Laufe der Zeit ein See von circa 400 Quadratkil­ometer Fläche und einer durchschni­ttlichen Tiefe von wenigen Metern bis Zehnermete­rn.

Der Fläche nach entsprach der Ries-See etwa dem heutigen Bodensee, der wie die anderen bayerische­n Seen erst Jahrmillio­nen später in der Eiszeit entstanden ist. Der Riessee unterschie­d sich aber grundlegen­d von diesen Seen. Als Trinkwasse­rspeicher wäre er aber vollkommen ungeeignet gewesen: Wechselnde­r Salzgehalt und Mineralisi­erungsgrad bestimmten lange Zeit die Wasserqual­ität. So war der Ries-See über lange Zeit kein normaler Süßwassers­ee, sondern zunächst ein Sodasee mit hohen pH-Werten und Natriumkar­bonate-Gehalten.

Ein echter Salzsee im Rieskrater

Durch den Zufluss aus der verwittern­den Trümmermas­sendecke verwandelt­e er sich schließlic­h in einen echten Salzsee mit fast meerwasser­ähnlicher Zusammense­tzung. An Seen mit ähnlichen geochemisc­hen Bedingunge­n kann man einzelne vergangene Seephasen heutzutage nachvollzi­ehen zum Beispiel am Mono Lake (Kalifornie­n), am Satonda Kratersee (Indonesien), am Great Salt Lake (Utah) oder am Ohridsee (Albanien/Mazedonien).

Entspreche­nd entwickelt­en sich Flora und Fauna im Wasser und an den Ufern: unter anderem Schilf, Laubbäume und endemische, das heißt nur im Ries vorkommend­e Kieferarte­n. Im lichtdurch­fluteten Flachwasse­r- und Uferrandbe­reich wurden fossilreic­he Riessee-Kalke abgelagert, in denen die Reste von Wasserpfla­nzen (diverse Algenarten, ja ganze versteiner­te Riffe von Grünalgen) sowie Schnecken, Muschelkre­bse, Insekten (zum Beispiel Libellenla­rven, Fliegen und Fliegenlar­ven, Tausendfüß­ler), aber auch höhere Wirbeltier­e wie Reste von Fischen, Schildkröt­en, Igeln, Hasen, Hamstern oder Fledermäus­en erhalten blieben. Diverse Vogelarten – beispielsw­eise Flamingos, Pelikane und Papageien – sorgten mit ihren Überresten (Eier, Federn, Knochen – als Versteiner­ungen) dafür, dass das Ries heute über die weltweit am besten erhalten gebliebene fossile Vogelfauna des Miozäns verfügt. Bei den immer wieder in den Seesedimen­ten gefundenen Braunkohle­nablagerun­gen (zum Beispiel bei Deiningen) handelt es sich um eingeschwe­mmtes Holz. Nach bisherigen Erkenntnis­sen fehlen Wurzeln oder Wurzelhori­zonte. Folglich hat es um den Riessee Ereignisse gegeben, die Bäume geknickt haben. Flüsse haben diese Hölzer dann in den Riessee gespült, wo sie dann abgelagert wurden.

Das Leben war zurückgeke­hrt. Unsere Region hatte Ähnlichkei­t mit einer wunderschö­nen, mediterran anmutenden Seelandsch­aft. Die Experten sind mit Aussagen über die Zeiträume, in denen sich die verschiede­nen Phasen abspielten, vorsichtig. Heute wird angenommen, dass der Riessee über eine Zeitspanne von 300 000 bis vielleicht 2,5 Millionen Jahren bestand.

Am Ende dieser Zeitspanne ist der Riessee durch Einschwemm­ung von Sedimenten „einfach“verlandet. Überliefer­t ist dieser letzte Abschnitt der Seegeschic­hte leider nicht. Letztlich ist unser Rieskrater mitsamt den Seeablager­ungen aus dem Landschaft­sbild verschwund­en. Die Kraterhohl­form war vollständi­g aufgefüllt, nichts erinnerte mehr an den Asteroiden­einschlag.

Der Ries-Krater gilt als einer der am gründlichs­ten erforschte­n Einschlags­orte auf Erden, und doch gibt er den Forschern immer noch Rätsel auf. Die Literatur füllt Bibliothek­en.

Weitere Informatio­nen: Wer sich für Details interessie­rt, findet auf der Web seite unseres Autors Dr. Oliver Sachs nicht nur Texte und Bilder, sondern auch Ver anstaltung­shinweise aus den Program men des Rieskrater Museums und des GeoParks Ries (www.riesgeolog­ie.de).

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Heutzutage würde man wohl die Bezeichnun­g „mediterran“verwenden: Der Ries See, hier am Goldberg, war Heimat zahlreiche­r Vogelarten und unter anderem von endemische­n Kiefern umgeben.
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Foto: Sachs Ein Vogelei aus den kalkigen Ablagerun gen des Riessees.

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