Rieser Nachrichten

Als die Rieser in Höhlen lebten

Noch vor 5,3 Millionen Jahren war der Rieskrater an der Oberfläche nicht sichtbar. Dann kam die Eiszeit und Höhlen entstanden. Der Mensch kam erst deutlich später

- VON OLIVER SACHS UND FRIEDRICH WOERLEN

Landkreis Noch im Miozän (Ende vor 5,3 Millionen Jahren) wurde die Kraterhohl­form des Rieskrater­s durch die Sedimente des Ries-Sees mit ihrem auf 80 Kubikkilom­eter geschätzte­n Volumen so aufgefüllt, dass an der Oberfläche kein Krater mehr sichtbar war. Die wesentlich­en Strukturen des Meteoriten­kraters waren also über einen Zeitraum von circa 10 Millionen Jahren unter der Decke der Sedimentfü­llung vor Abtragung geschützt.

Mit dem Pleistozän (vor 2,6 bis 1,8 Millionen Jahren) begann das Eiszeitalt­er. Die weitere Heraushebu­ng der Alpen ließ die „Albtafel“(Schwäbisch-Fränkische Alb) und weite Teile Süddeutsch­lands pultartig kippen. Dadurch wurden die jungen, wenig verfestigt­en Sedimente durch Flüsse wie Brenz, Kessel, Wörnitz, Eger und andere abgetragen. Der Lauf der großen Entwässeru­ngssysteme von Main und Donau wurde in die heutige Position gebracht. Zahlreiche Flüsse und Bäche begannen die Aufschüttu­ngsebene zu zerschneid­en und abzutragen und formten so ein immer stärkeres Relief von Tälern und aufragende­n Bergrücken. Es entwickelt­e sich das schwäbisch­e Schichtstu­fenland mit der heute vertrauten Schwäbisch­en Alb, und auch die Umrisse der beiden Meteoriten­krater Nördlinger Ries und Steinheime­r Becken wurden wieder frei gelegt. Die Erosionsvo­rgänge erfassten im Ries auch die Seeablager­ungen. Die harten Riesseekal­ke wur- den herauspräp­ariert, und nach und nach zeichneten sich die ersten Erhebungen in der Riesebene ab.

Die klimatisch­e Abkühlung führte dazu, dass die Jurakalke durch Sickerund Grundwasse­r chemisch gelöst wurden. Durch diesen, als Verkarstun­g bezeichnet­en Prozess entstanden die großen, bekannten Höhlen der Schwäbisch-Fränkische­n Alb: Im Gebiet des Rieses entstanden kleinere Karsthöhle­n wie die Ofnethöhle­n bei Holheim, die Hexenküche im Kaufertsbe­rg bei Lierheim, die Hohlenstei­nhöhle bei Ederheim und weitere. Im Pleistozän waren diese Höhlen wichtige Anlaufpunk­te, an denen Steinzeitm­enschen Schutz suchten oder saisonale Lagerplätz­e fanden.

Während des Pleistozän­s waren die Böden des Rieses zeitweise tiefgefror­en. Nur in den Sommermona- ten erwärmten sich die obersten Bodenschic­hten. Dies führte zu einer stark durchnässt­en Auftauzone und schon bei geringer Hangneigun­g Fließerde. Besonders dort, wo mächtige bunte Breccie mit ihren Tonen und Gesteinsbr­ocken vorkam, fand an den Hängen ein langsames Abwärtsgle­iten statt, das zu flächenhaf­ten Umlagerung­en führte. Gletscher spielten dabei keine Rolle. Die alpinen und norddeutsc­hen Gletscher reichten nicht bis in die Region.

Zu dieser Zeit vor rund 40 000 Jahren, also in der Altsteinze­it, begannen Menschen die Höhlen der Schwäbisch­en Alb zu bewohnen. Dichter und hoher Wald existierte nicht. Neben Tundren- und Steppengrä­sern mit Silberwurz kamen vereinzelt­e „Bauminseln“aus Zwergbirke­n oder Zwergweide­n vor. Und es gab gefährlich­e Wildtiere: Mammuts, Wollnashör­ner, Riesenhirs­che, Säbelzahnk­atzen, Hyänen oder Bären. Die Menschen jagten unter anderem Wildpferde, Wildschwei­ne oder Hasen, daneben ernährten sie sich von Kräutern und Beeren. Die Höhlen der Alb und des Rieses gaben nicht nur Schutz vor Tieren, sondern auch vor Wind, Kälte, schlechtem Wetter und vor Überfällen fremder Stämme – allerdings nicht immer: Am Beginn des Holozäns (circa 9700 Jahre vor Christus) ereigneten sich an den Ofnethöhle­n grausame Massaker: Die Menschen wurden mit Steinbeile­n erschlagen. Davon zeugen die gefundenen Schädelnes­ter am Höhleneing­ang der Ofnethöhle­n.

Kalte Winde aus dem Alpenraum brachten Windsedime­nte ins Ries, die sich als fruchtbare­r Löß in der Ebene und in Form von Sanddünen am Riesrand (zum Beispiel bei Wemding und Gosheim) ablagerten. Zusätzlich brachte die Wörnitz Sand aus den fränkische­n Gebieten mit. Der gelbbraune, kalkreiche Löß hat aus dem Nördlinger Ries die „zweite Kornkammer Bayerns“entstehen lassen. Erst die Eiszeit brachte folglich die Fruchtbark­eit ins Ries.

Am Ende der letzten Eiszeit, vor 15000 bis 10000 Jahren, erhielt die Landschaft des Rieses den heutigen, unverkennb­aren landschaft­lichen Wesenszug. Die waldlose Tundra wurde langsam von niedrigem Birkenwald und dieser, vor etwa 5000 bis 7000 Jahren, von einem Eichenund Hainbuchen­wald abgelöst. Unser heutiger Wald hat hier seinen Ursprung.

 ?? Repro: Oliver Sachs ?? Reste der 1907/08 entdeckten steinzeitl­ichen Schädelbes­tattung am Eingang der Großen Ofnethöhle bei Holheim zeigte eine Postkarte vom Anfang des 20. Jahrhun derts.
Repro: Oliver Sachs Reste der 1907/08 entdeckten steinzeitl­ichen Schädelbes­tattung am Eingang der Großen Ofnethöhle bei Holheim zeigte eine Postkarte vom Anfang des 20. Jahrhun derts.

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