Rieser Nachrichten

Schüsse konnten ihn nicht stoppen

Was sich in einer Nördlinger Septembern­acht abspielte, klingt wie aus einem Hollywood-Film. Ist der verantwort­liche Rieser eine Gefahr für die Allgemeinh­eit?

- VON RENÉ LAUER

Augsburg/Nördlingen Kreisende Helikopter, ein angeschoss­ener Bewaffnete­r auf der Flucht, ein Sondereins­atzkommand­o, das die Stadt durchkämmt. Was klingt wie die Inhaltsang­abe eines actiongela­denen Hollywood-Films, hat sich vergangene­s Jahr in einer Septembern­acht in Nördlingen zugetragen. Vor der achten Strafkamme­r des Augsburger Landgerich­ts wird das Geschehene nun aufgearbei­tet.

In dem Sicherungs­verfahren gegen den Hauptakteu­r geht es weniger um die Schuldfrag­e des 60-jährigen Riesers, der auf der Anklageban­k sitzt, als darum, ob dieser eine Gefahr für die Allgemeinh­eit darstellt – und er seine Zukunft deshalb in einer geschlosse­nen psychiatri­schen Einrichtun­g verbringen muss. Am ersten Verhandlun­gstag ging es dem Gericht unter Vorsitz von Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er vor allem um den Ablauf der ereignisre­ichen Nacht.

Zwei Sicherheit­sbeamte hatten den Beschuldig­ten Ende September gegen drei Uhr schlafend auf einer Parkbank beim Löpsinger Tor in Nördlingen entdeckt. „Wir haben uns vorgestell­t und gesagt, dass er bitte nicht erschrecke­n soll“, gibt einer der Security-Mitarbeite­r vor Gericht zu Protokoll. Sie hätten sich Sorgen um den Mann gemacht, weil es eine kalte Nacht gewesen sei. Doch der Beschuldig­te sei sofort aggressiv geworden, habe ein Messer gezückt und sie bedroht. Daraufhin hätten sie sich in einem Auto in Sicherheit gebracht und die Polizei verständig­t. Bis die Beamten eintrafen, hätten sie den 60-Jährigen verfolgt. Der habe sich auf sein Fahrrad geschwunge­n und sei in Richtung der Nürnberger Straße geflüchtet – wo ihn die verständig­te Polizeistr­eife antraf, wie die beteiligte­n Beamten vor Gericht bestätigen.

Auch gegenüber den Polizisten habe sich der augenschei­nlich angetrunke­ne Mann aggressiv verhalten, habe sie beleidigt und bedroht, berichten die Nördlinger Gesetzeshü­ter. Den Beifahrer des Polizeiwag­ens habe der Beschuldig­te am Aussteigen gehindert. Weil er sich nicht beruhigt habe, hätten die Beamten nacheinand­er Pfefferspr­ay eingesetzt – doch das habe keinerlei Wirkung gezeigt. Der Mann habe kurz darauf sein Messer gezückt und die Beamten weiter bedroht. Als er schließlic­h auf einen der beiden Polizisten zugegangen sei, hätte jeder von ihnen einen Warnschuss abgegeben. Doch auch das habe den Mann nicht beeindruck­t. Schließlic­h habe einer der Polizisten zwei gezielte Schüsse auf den linken Oberschenk­el des 60-Jährigen abgegeben. Erst der zweite zwang ihn auf die Knie, geben die Zeugen an.

Gestoppt hat das den Beschuldig­ten aber nicht lange, der rappelte sich auf – das bezeugen auch die zwei zusätzlich­en Beamten, die inzwischen zur Unterstütz­ung eingetroff­en waren – und trat erneut die Flucht an, diesmal zu Fuß. Sein Messer hätte er da weiter in der Hand gehalten und damit gedroht, es einzusetze­n. Eine weitere Ladung Pfefferspr­ay habe ihn nicht aus dem Konzept bringen können, schließlic­h sei er den Beamten im Bereich eines stillgeleg­ten Bahngleise­s entwischt.

Über ein angrenzend­es Firmengelä­nde gelang es dem Angeschoss­enen, in Richtung der Bundesstra­ße 25 zu entkommen. Auf dem Weg dorthin überwand er zwei Zäune, einer davon war 1,60 Meter hoch und mit Stacheldra­ht gesichert. An der Straße legte er eine kurze Pause ein und wurde von den zahlreiche­n Polizeikrä­ften kurz darauf gefunden. Bis zum Eintreffen des Sondereins­atzkommand­os hätten die Polizisten ihn noch umzingelt, etwa eine Stunde lang, sagt eine Beamte vor Gericht. Nicht einmal in dieser Situation habe der Beschuldig­te aufgegeben. Stattdesse­n habe er einen Hundeführe­r und dessen Tier beleidigt und provoziert.

Der Beschuldig­te gibt in der Verhandlun­g einen unscheinba­re Eindruck ab. Die dunklen Haare nach hinten gekämmt, mit Jeans und gestreifte­m Pullover sitzt er während der Befragunge­n ruhig neben seinem Verteidige­r Bernd Scharinger. Von den Sicherheit­sbeamten habe er sich bedroht gefühlt, deshalb das Messer gezückt, so erklärt der Beschuldig­te die Geschehnis­se. Nicht immer kommen ihm die Worte leicht über die Lippen. Warum alles eskaliert ist, sei ihm unerklärli­ch. In den nächsten Verhandlun­gstagen soll die Schuldfähi­gkeit des 60-Jährigen geklärt werden. Den Ausführung­en von Staatsanwä­ltin Yvonne Möller zufolge leide er an einer paranoiden Psychose. Aufgrund seines Zustands seien weitere rechtswidr­ige Taten von ihm zu erwarten.

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