Gutachter: Angeklagter ist gefährlich
Vor dem Augsburger Landgericht steht derzeit ein Rieser, der im vergangenen Jahr mit einem Messer bewaffnet vor der Polizei flüchtete. Gestern sagte ein Psychiater aus
Augsburg Lange hat der Angeklagte ein ganz normales Leben geführt. Bis der heute 60-Jährige immer mehr in eine bizarre Welt abgetaucht ist. Der im Ries aufgewachsene Familienvater, zuletzt alleinlebend in seinem Elternhaus, fühlt sich von Menschen verfolgt, ist aber augenscheinlich auch für sie eine Gefahr. Nach den gestern am Augsburger Landgericht gehaltenen Plädoyers ist es möglich, dass die Strafkammer den Beschuldigten, wenn sie am Freitag ihr Urteil verkündet, in die geschlossene Psychiatrie einweisen wird. Eine Maßnahme, die sowohl die Staatsanwaltschaft wie sein Verteidiger Bernhard Scharinger befürworten.
Nach Feststellung des Psychiaters Richard Gruber leidet der 60-Jährige an paranoider Schizophrenie. Was nicht überraschend ist, hatte ihn doch schon 2013 das Amtsgericht, gestützt auf ein Gutachten ei- Arztes im Bezirkskrankenhaus Günzburg, für schuldunfähig erklärt. Der Frührentner war vor fünf Jahren der Körperverletzung angeklagt. In den folgenden Jahren stand dem Rieser ein gerichtlich angeordneter Betreuer zur Seite, was aber nicht verhindert hat, dass es zu immer neuen Vorfällen kam, Nachbarn ein ums andere Mal die Polizei riefen. Gruber sieht bei dem Beschuldigten „eine hohe Rückfallgefahr“, dass es zu ähnlichen Vorfällen kommen könnte, wie im September vorigen Jahres. Erst einem von der Nördlinger Polizei angeforderten Sondereinsatzkommando war es gelungen, den flüchtenden, mit einem Messer bewaffneten Mann festzunehmen (wir berichteten).
Der 60-Jährige, der im gestreiften Pulli im Gerichtssaal sitzt, gibt gestern immer wieder stockend Einblick in sein Leben. Er war nach der Hauptschule bei der Bundeswehr, hat dann eine Handwerkerlehre gemacht. Dann wurde er wegen wie- derholter Bandscheibenprobleme und gescheiterter Umschulung Frührentner. Auf Fragen von Richterin Susanne Riedl-Mitterwieser, woran seine Ehe gescheitert sei, warum er heute keinerlei Kontakt mehr zu seinen Geschwistern und zu seinen Kindern hat, antwortet er entweder mit Schweigen oder dem Satz: „Kann ich nicht sagen.“Auch nicht, was der Grund ist, warum er seit seiner Festnahme in der Psychiatrie und nicht im Gefängnis ist.
Beredter ist der Angeklagte, als er von seinen „Patenten“und „Erfindungen“spricht. Sie alle haben etwas mit Strom zu tun und dem Wunsch, angesichts einer bescheidenen Rente Kosten zu sparen. 2017 war man ihm wegen „Entziehung elektrischer Energie“auf die Schliche gekommen. Das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren ist ebenfalls wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden. So will er unter anderem einen „Wundertopf“erfunden haben, bei dem alle Speisen bereits nach eines ner Viertelstunde fertig sind. Seine Nachbarn verdächtigt er, hinter seinen Patenten her zu sein. Sie sollen wiederholt heimlich ins Haus eingedrungen zu sein und ihm etwas in den Kaffee getan haben, damit er müde werde.
Der Mann ist dem Nördlinger Gesundheitsamt bereits seit 2012 bekannt. Er sei aggressiv, habe ein Alkoholproblem und leide zunehmend an Verfolgungswahn, hatten Angehörige berichtet. Als sechs Polizisten ihn einmal abholen wollten, weil er einer Ladung ins Gesundheitsamtes nicht gefolgt war, verschanzte er sich im Wohnhaus. Um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen, zogen die Streifenbeamten, vom Angeklagten wüst beschimpft, wieder ab. Gutachter Gruber hält den Beschuldigten in seiner jetzigen Verfassung für gefährlich. Ob auf Dauer, das wird, sollte ihn das Gericht in die Psychiatrie einweisen, dann von weiteren Gutachten abhängen.