Rieser Nachrichten

Flughafen Chaos wegen eines fehlenden Tütchens

Am ersten Ferientag fallen in München 330 Flüge aus. Weil nach einer Frau gesucht wird, sitzen 32000 Reisende stundenlan­g fest

- VON JOACHIM BOMHARD

München So etwas hat der Münchner Flughafen noch nicht erlebt: Ausgerechn­et an einem der verkehrsre­ichsten Tage des Jahres ging nach einer folgenreic­hen Panne während der Sicherheit­skontrolle­n an Terminal 2 und dem dazugehöri­gen Satelliten-Terminal nichts mehr. Fast 330 von 800 dort am Samstag geplanten Flügen wurden gestrichen. Bis zu 32000 Menschen – in der Mehrheit Kunden der Lufthansa und mit ihr verbundene­r Fluggesell­schaften – saßen fest.

Rund 700 Reisende mussten auch die Nacht zum Sonntag auf dem Flughafen verbringen, wo Feldbetten für sie aufgestell­t wurden. Hunderte weitere wurden in umliegende­n Hotels untergebra­cht. Auch am Sonntag konnte am Flughafen von Normalität längst keine Rede sein.

Das Chaos begann am frühen Samstagmor­gen, dem ersten Ferientag in Bayern. Auf Anweisung der Bundespoli­zei wurde die Abfertigun­g in dem Terminal gestoppt, nachdem eine zunächst unbekannte Frau an den Kontrollen vorbei in den Sicherheit­sbereich des Flughafens gelangt war. Nach Angaben einer Sprecherin des Luftfahrta­mtes Süd als zuständige­r Aufsichtsb­ehörde war die Reisende zunächst ordnungsge­mäß an einem Bodyscanne­r kontrollie­rt worden. Nach Informatio­nen des Bayerische­n Rundfunks beanstande­ten Sicherheit­sleute jedoch ihr Handgepäck. Darin sollen sich Flüssigkei­ten befunden haben, die nicht ordnungsge­mäß in einem vorgeschri­ebenen Plastiktüt­chen verpackt waren. Die Frau wurde zurückgesc­hickt, um sich solch einen Beutel zu besorgen.

Später, so erklärte das Luftamt, sei die Frau ohne das Gepäckstüc­k zurückgeko­mmen und über eine noch nicht besetzte Kontrollst­elle sowie auch vorbei an den dahinter postierten Bundespoli­zisten in den gesicherte­n Bereich gelangt. Wie das passieren konnte, war zunächst unklar. Entgegen einer klaren Anweisung habe das Sicherheit­spersonal keinen Alarm ausgelöst, gab die Sprecherin des Luftamtes zu. Die etwa 40-jährige Frau konnte später mithilfe von Videoaufna­hmen identifizi­ert werden. Ob ihr Konsequenz­en drohen, war unklar.

Erst nachdem die Aufsichtsb­ehörde von dem Vorfall Kenntnis hatte, wurde die Bundespoli­zei informiert, die dann gegen 6.45 Uhr alle weiteren Maßnahmen einleitete. So wurden für die Suche nach der Frau die Abflughall­en komplett evakuiert. Alle bereits kontrollie­rten Reisenden kehrten zurück in den Abfertigun­gsbereich. Fluggäste in gelandeten Maschinen mussten längere Zeit ausharren, bis sie aussteigen durften. Ein Sprecher der Bundespoli­zei verteidigt­e im BR die umfangreic­hen Maßnahmen. Passagiere, die in den Sicherheit­sbereich gelangten, müssten lückenlos kontrollie­rt werden. Das bayerische Verkehrsmi­nisterium wollte sich am Sonntag nicht zu dem Chaos äußern und verwies auf die Stellungna­hmen des Luftamtes. Dazu auch der Kom

mentar. Was die Menschen im Flughafen erlebten, lesen Sie auf

München Eigentlich sollten sie schon längst im klimatisie­rten Flugzeug sein. Und auf dem Weg in die Karibik. Stattdesse­n sitzt der 13-jährige Timo auf einem Rollkoffer und die neunjährig­e Annika auf dem Boden der überhitzte­n Abflughall­e von Terminal 2 des Flughafens München. Mit ihren Eltern sollte es am Samstagmor­gen in die Dominikani­sche Republik gehen – die Sommerferi­en haben gerade begonnen. Doch die Nerven liegen blank. „Wir haben null Infos. Wir stehen hier seit zwei Stunden und wissen nichts“, sagt die Mutter der Kinder. Wie der Familie geht es tausenden Fluggästen, die auf dem Weg in den Urlaub sind.

Der Grund: Eine zunächst unbekannte Frau gelangt am Morgen in einen Sicherheit­sbereich, ohne kontrollie­rt worden zu sein. Die Konsequenz: Die Polizei räumt das Terminal 2 und das damit verbundene sogenannte Satelliten-Terminal. Inzwischen ist die Frau identifizi­ert. Bei ihr handelt es sich nach Angaben der Regierung von Oberbayern um eine etwa 40-Jährige, die laut Bundespoli­zei

Stundenlan­g wissen die Reisenden nicht, was los ist

nicht festgenomm­en wurde und erst einmal auf freiem Fuß blieb. Ob sie mit ihrer Aktion an der Sicherheit­sschleuse einen Fehler gemacht hat oder ob das Sicherheit­spersonal etwas nicht bemerkte, ist unklar. Die Behörden wollen den Fall aufklären. Schließlic­h dürfte der Schaden in die Millionen gehen.

In Lautsprech­erdurchsag­en am Flughafen ist am Samstag nur die Rede von einem Polizeiein­satz. Unsicherhe­it macht sich unter den tausenden Reisenden breit, die eigentlich an diesem ersten Ferientag in den Urlaub fliegen wollen. Das Internet sei am frühen Morgen überlastet gewesen, an Informatio­nen sei man nicht gekommen, erzählt Stefanie Fach, die, wie so viele andere Menschen auch, am Airport festsitzt. „Wir wussten nichts. Die erste Durchsage kam erst spät und man hat sie nicht genau verstanden.“Die Mitarbeite­r an der Gepäckausg­abe hätten sie dann beruhigt. Stunden später herrscht immer noch absolute Ungewisshe­it.

Die Menschen stehen, sitzen und liegen am Mittag im Check-in-Bereich. Kaum einer weiß, wie es wei-

Per Lautsprech­erdurchsag­e werden sie aufgerufen, Ruhe zu bewahren. Es ist heiß. Viele fächern sich mit ihren Flugticket­s Luft ins Gesicht. Etwa 30 Menschen müssen wegen Kreislaufp­roblemen behandelt werden. Manch einer verliert in dem Chaos auch die Nerven. Eine erboste Frau geht einen Flughafenm­itarbeiter an: „Wo ist das Problem? Wo ist das Problem?“Seine Antwort: „Weiß nicht.“

Noel dagegen gibt sich entspannte­r. Der 20-Jährige will eigentlich

nach Spanien fliegen, um mit seinen Kumpels Party zu machen. Daraus wird erst einmal nichts. Mit Sonnenbril­le auf dem Gesicht liegt er auf den Fliesen der Halle und versucht, sich zu entspannen. Anthony Michaels-Moore will mit Frau und seinen zwei Kindern eigentlich ins amerikanis­che Albuquerqu­e fliegen. „Wir wissen nicht, was los ist. Informatio­nen kommen viel zu spät“, sagt der 61-Jährige. Dann hallen konkretere Durchsagen durch das Terminal: Die Polizei habe den Sitergeht.

cherheitsb­ereich der beiden Abflughall­en wieder freigegebe­n. Nicht mehr lange, dann sollen auch wieder Flugzeuge vom Terminal 2 abheben. Doch bis die vielen tausend Fluggäste wieder durch den Sicherheit­s-Check sind, dauert es. Sicherheit­smitarbeit­er drängen sich durch die Menge in der Wartehalle und verteilen Wasser. Mit Großlüfter­n leitet die Flughafenf­euerwehr frische Luft in die Halle.

Ein Sprecher des Flughafens zieht am Sonntag eine vorläufige Bilanz:

etwa 330 Flüge sind ausgefalle­n, rund 450 um eine halbe Stunde oder länger verspätet. Auch der Flug von Familie Fach nach Irland wurde gestrichen. Wann es wie, wo weitergeht – davon haben sie am Samstagnac­hmittag noch keine Ahnung. Die Großeltern kommen zum Flughafen und kümmern sich um die Kinder. „Am Ende müssen sie uns wieder mit heim nehmen“, sagt Stefanie Fach enttäuscht. Den Ferienstar­t hat sie sich anders vorgestell­t.

Linda Vogt und Matthias Balk, dpa

 ?? Fotos: Matthias Balk ?? Tausende Menschen waren am Samstag in Terminal 2 des Münchner Flughafens gestrandet. In der überhitzte­n Halle schlug die Vorfreude auf den Urlaub schnell in Frust um.
Fotos: Matthias Balk Tausende Menschen waren am Samstag in Terminal 2 des Münchner Flughafens gestrandet. In der überhitzte­n Halle schlug die Vorfreude auf den Urlaub schnell in Frust um.
 ??  ?? Noel aus Bremen wollte mit seinen Freunden nach Spanien fliegen. Er versucht, die Situation so gelassen wie möglich zu sehen.
Noel aus Bremen wollte mit seinen Freunden nach Spanien fliegen. Er versucht, die Situation so gelassen wie möglich zu sehen.
 ??  ?? Die Geschwiste­r Timo und Annika harren in der Abflughall­e aus. Am Samstagvor­mit tag sollte es in die Dominikani­sche Republik gehen.
Die Geschwiste­r Timo und Annika harren in der Abflughall­e aus. Am Samstagvor­mit tag sollte es in die Dominikani­sche Republik gehen.

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