Rieser Nachrichten

Nicht alle Landwirte brauchen Staatshilf­e wegen der Hitze

Weshalb Großbetrie­be im Norden und Osten das Risiko tragen müssen

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Eines muss man Joachim Rukwied lassen – der oberste Bauer der Nation versteht sein Handwerk, sich und seinen Berufsstan­d medienwirk­sam in Szene und die Politik unter Druck zu setzen. Pünktlich vor dem Dürre-Gipfel im Agrarminis­terium am gestrigen Dienstag sprach der Präsident des Bauernverb­andes von der „schlechtes­ten Ernte des Jahrhunder­ts“, forderte die Ausrufung des Notstands und staatliche Hilfen im Umfang von einer Milliarde Euro für die von den Ernteausfä­llen betroffene­n Landwirte. Die monatelang­e Trockenhei­t und die extreme Hitze vor allem im Norden und Osten Deutschlan­ds seien für viele Betriebe existenzbe­drohend.

Der Aufschrei des Bauernverb­andes hat seine Wirkung nicht verfehlt. In der Politik wie in der Öffentlich­keit gibt es viel Verständni­s für die Forderunge­n der Bauern, nicht nur Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) zeigt sich besorgt über die Auswirkung­en der Dürre, sondern auch der Koalitions­partner SPD, die opposition­ellen Grünen und Liberalen befürworte­n im Grundsatz Nothilfen für die betroffene­n Bauern.

Dabei wissen alle Beteiligte­n, dass so schnell kein Geld fließt. Beim Dürre-Gipfel am Dienstag tauschten Vertreter des Bundes und der Länder auf der Fachebene ihre Erkenntnis­se aus, am heutigen Mittwoch will Klöckner ihre Kabinettsk­ollegen über die Lage informiere­n. Erst Ende August, wenn mit dem Ernteberic­ht eine verlässlic­he Datengrund­lage vorliegt, soll über konkrete Hilfen entschiede­n werden.

Und auch da gibt es klare Regeln. Nach dem EU-Beihilfere­cht sind Staatshilf­en erst ab Ertragsaus­fällen von 30 Prozent gegenüber dem Drei-Jahres-Mittel erlaubt. Dann können die einzelnen Bundesländ­er festlegen, nach welchen Kriterien diese Hilfen vergeben werden. Der Bund kann erst Finanzhilf­en leisten, wenn Schäden von „nationalem Ausmaß“festgestel­lt werden. Zuletzt war dies 2003 wegen einer ebenfalls lang anhaltende­n Hitzeperio­de und 2013 wegen Hochwasser­schäden der Fall.

Auf einem anderen Blatt steht, wie sinnvoll derartige staatliche Maßnahmen sind. Im Einzelfall mögen sie helfen, einen Hof zu retten. Doch entgegen dem auch vom Bauernverb­and gerne geprägten Bild von den bäuerliche­n Familienbe­trieben, die es zu schützen und zu bewahren gelte, gibt es diese gerade in Norddeutsc­hland und auf dem Gebiet der ehemaligen DDR praktisch nicht mehr. Dort findet die Landwirtsc­haft in kommerziel­len Großbetrie­ben, geradezu in Agrarfabri­ken statt – mit Massentier­haltung und großflächi­gem Ackerbau. Diese Betriebe finanziere­n sich zwischen 30 und 45 Prozent durch EU-Subvention­en, die unabhängig von den Erntemenge­n fließen, zudem haben sie sich vielerorts durch die Produktion von hoch subvention­iertem Ökostrom aus Sonne, Windkraft und Biogas ein zweites lukratives Standbein aufgebaut. Wenn die moderne Landwirtsc­haft gerne unternehme­risch tätig sein will, muss sie auch die entspreche­nden Risiken tragen – das Wetter gehört dazu.

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Foto: Oliver Berg, dpa In Nord und Ostdeutsch­land trifft die Dürre viele Bauern.

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