„Wir müssen Leute dazu bringen, die Dinge zu hinterfragen“
Mehr als nur Essen und Party: David Wittner und Susanne Vierkorn wollen mit dem Cittaslow-Festival in Nördlingen das Bewusstsein für Ernährung und Regionalität schärfen
Frau Vierkorn, Herr Wittner, „Cittaslow“bedeutet übersetzt „langsame Stadt“. Ist Nördlingen denn langsamer als andere Städte in der Region?
Man muss mit dem Begriff „langsam“ein bisschen vorsichtig sein. Der hat im Deutschen eine negative Konnotation, gerade wenn man ihn beispielsweise in Zusammenhang mit der Stadtverwaltung stellt. Der Begriff kommt aus der „Slow Food“-Bewegung, die im Gegensatz zum „Fast Food“steht. Man müsste es eher mit „entschleunigt“übersetzen. Wobei die Organisation des Festivals eher nicht entschleunigend wirkt.
Das stimmt allerdings.
Also anders gefragt: Ist Nördlingen eine entschleunigte Stadt?
Wittner: Eine Stadt in der Größenordnung von Nördlingen, die eine gewisse touristische Attraktivität besitzt, einen funktionierenden Handel hat und deren Innenstadt so belebt ist, bietet schon eine große Lebensqualität. Man muss so ehrlich sein und sagen: Nördlingen ist eine Kleinstadt in der Provinz. Dafür ist hier viel geboten.
Vierkorn: Wenn man sich mal bewusst macht, was wir hier alles für Rückzugsorte haben – die Frickhinger Anlagen, die Kneipp-Anlage, das wunderschöne Gerberviertel, die Marienhöhe mit dem Freibad – dann verliebt man sich gleich wieder in die Stadt. Das gehört auch zum Cittaslow-Gedanken.
Es gibt auch hier immer mehr Filialen von Fast-Food-Ketten. Gibt es eine Entwicklung weg von der Entschleunigung?
Vierkorn: Das Angebot an Geschäften ist weder durch uns noch durch die Stadt regelbar. Es gibt auch Schnellrestaurants, die sich in unsere Projekte mit einbringen. Wittner: Es lässt sich ja auch rein rechtlich in den meisten Fällen gar nicht verhindern, dass sich eine Fast-Food-Kette ansiedelt. Gleichwohl sollte man das nicht forcieren. Es gibt sowohl vom Marketingverein als auch von der Stadt immer die Intention, eigentümergeführte Gastronomie und Händler zu fördern.
Trotzdem fordern viele Menschen Läden wie H&M für Nördlingen. Wittner: Man sieht ja, was in den sozialen Medien los ist, wenn die Rieser Nachrichten über einen neuen Drogeriemarkt oder andere Modeketten berichten, die in die Stadt kommen sollen. Das sind bei jungen Leuten einfach riesige Themen. Hier kann man aus Cittaslow-Sicht anpacken und versuchen, Bewusstsein zu schaffen.
Das heißt?
Wittner: Wir müssen die Leute dazu bringen, die Dinge zu hinterfragen. Wo kommt meine Semmel her? Was steckt da alles in der Wurst drin? Unter welchen Bedingungen wird dieses T-Shirt in Bangladesch hergestellt und wie kann es nur 3,50 Euro kosten? Die Leute zu sensibilisieren ist das, was Cittaslow leisten kann. Vierkorn: Wir wollen niemanden in eine Richtung drücken, nur dazu anregen, inne zu halten und manche Dinge zu hinterfragen. Wenn jemand seine Tüte aus dem FastFood-Restaurant dann nicht mehr auf die Straße sondern in den Abfalleimer wirft, ist auch schon etwas gewonnen.
Beim Cittaslow-Festival soll es um mehr als nur Essen gehen. Wie wird sich das zeigen?
Wittner: Natürlich gibt es bei so einem Fest immer einen kulinarischen Schwerpunkt, es wird aber auch Stände von Handwerkern geben. Wir haben außerdem Gesprächsrunden und Vorträge geplant, zum Beispiel über das Thema Bienensterben. Es gibt also nicht nur Musik und Party.
Vierkorn: Es ist deutlich mehr geboten als Sitzen auf der Bierbank. Man soll sich an dem Wochenende durch die Stadt treiben lassen.
Wittner: Es geht auch um die einzigartige Stimmung, die in der Stadt entsteht, gerade unter dem beleuchteten Schirm. Wir hoffen, dass neben den schönen Erinnerungen an das Festival auch etwas vom Cittaslow-Gedanken bei den Menschen hängen bleibt.
Wo gibt es in Sachen Entschleunigung und Cittaslow denn noch Nachholbedarf in der Region?
Wittner: Bei vielen Themen, die sich überall zeigen. Eine immer hektischer werdende Arbeitswelt gibt es auch im Ries, darunter leidet letztendlich auch das Ehrenamt. Man kann auch über Monokulturen in der Landwirtschaft und Biogasanlagen reden. Ist das alles typisch fürs Ries? Verbinden wir das mit unserer Heimat? Auch im Hinblick auf die Bewerbung der Region als Unesco Global Geopark wäre das eine Sache, bei der man ansetzen könnte.
Interview: René Lauer
OGesprächspartner David Wittner, Leiter der Nördlinger Tourist Info, und Susanne Vierkorn, Leiterin des Stadtmar ketingvereins, sind für die Organisation des Cittaslow Festivals verantwortlich.