Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (110)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Er fragte böse: „Und wen hast du im Café Zentrum?“

Einen Augenblick war sie verlegen, dann lachte sie los: „Bist du eifersücht­ig, armer Willi? Nein, du brauchst nicht eifersücht­ig zu sein, ich bleib’ dir treu und laß mich nicht verführen …“

Sie sang es nach einer Schlagerme­lodie.

Leute umher lachten beifällig: „Das Mädchen ist richtig.“

„Komm doch, Hilde“, bat er. Und dachte: ,Und hat sich doch von mir verführen lassen, und wenn von mir, ist auch jeder andere möglich…‘

Eine tiefe Traurigkei­t erfüllte ihn. ,Was hat das denn alles für einen Sinn!‘ dachte er. ,Ich hab’ ja nichts mit ihr zu tun, ich mag sie nicht einmal gerne. Und weswegen denn alles? Wirklich nur, weil sie sich damals nicht mehr sehen ließ und weil ich ein bißchen Mitleid mit ihr hatte? Ach, nur das Fleisch, nur das Fleisch, bei jeder andern wäre es auch noch einfacher und ich

brauch’s nicht einmal, das Fleisch… Wenn man doch rauskäme, fortkäme, wegkäme… Dies geht im Leben nicht gut. Wenn man doch einmal ganz von frischem anfangen könnte!‘

„Woran denkst du?“fragte sie. „An nichts Besonderes“, antwortete er.

Dann aber kamen sie doch nicht mehr zum Tanzen, sondern irgendwie landeten sie in einer kleinen Weinstube und tranken noch eine Flasche Süßwein. Hilde war traurig gewesen und gereizt, übermütig, lustig und geschwätzi­g – jetzt, von der Flasche Wein, wurde sie einfach müde, todmüde, die Augen klappten ihr zu. „Bitte, bring mich nach Haus, Willi, bitte!“

Vor der Haustür stand sie, beinahe wankend vor Schläfrigk­eit, in seinem Arm.

„Noch einen Kuß, Willi. Oh, ich bin müde!“

„Ich aber auch“, sagte er.

Es war, als ermuntere sie sich etwas: „Nicht wahr, du gehst gleich nach Haus, du gehst nicht mehr irgendwo hin.“

„Wohin soll ich denn jetzt noch gehen um vier? Ich hau’ mich sofort hin.“

„Ganz bestimmt?“

„Aber todsicher“, sagte er und versuchte zu lachen.

„Gibst du mir dein Ehrenwort?“„Aber natürlich geb’ ich dir mein Ehrenwort. Ich geh’ gleich nach Haus.“Sie schwieg, irgendwie schien sie unzufriede­n zu sein und nachzudenk­en.

„Also, Hildeken“, sagte er und reichte ihr die Hand.

Sie nahm ihn ganz fest in ihre Arme. „Mein Willi, mein lieber, süßer Willi …“Sie küßte ihn, sie flüsterte: „Komm doch mit, mein süßer Willi, die Eltern gehen nie in mein Zimmer …“

„Nein, nein“, sagte er erschrocke­n.

„Aber warum denn nicht? Ich sehn’ mich so nach dir. Willi, ich halt’ das nicht aus! Was hast du gegen mich? Bis Ostern halt’ ich das nicht mehr aus.“

„Denk’ doch an den Jungen, Hilde. Das geht doch nicht.“

„Ach, der Junge wird nie vor acht wach. Ich weiß das doch. Komm schon. Einmal, nur einmal, Willi.“

„Nein“, widerstand er. „Nein, ich will das nicht. Nachher passiert was, und alle reden über uns.“

„Das tun sie doch schon so. Das kann uns doch egal sein.“

„Nein, ich tu’ es nicht. Sei vernünftig, Hilde, denk’ doch, die paar Wochen bis Ostern!“Er nahm sie in seinen Ann, er tröstete sie (und wußte dabei: jedes Wort war unwahr. Etwas anderes würde geschehen. Was aber das andere war, das geschehen würde, das wußte er nicht.)

„Denk doch daran, wie schön wir es dann haben werden, ganz allein in unserer eigenen Wohnung für uns, ein helles freundlich­es Zimmer. Und ich glaub’ bestimmt, ich schaff es mit den blauseiden­en Steppdecke­n statt der Federbette­n. Dann können wir alle auslachen, und niemand kann uns noch etwas wollen, und es ist alles viel sauberer als so in der Heimlichke­it, und vor deinen Eltern müßte ich mich auch schämen. Jetzt kann ich die doch grade ansehen …“

„Aber du hast doch!“rief sie verständni­slos und erschrocke­n aus. „Du hast doch schon einmal, Willi“Sie sahen sich an.

„Also, ich geh’ jetzt nach Haus“, sagte er böse. „Ich glaub’, du hast einen sitzen, gute Nacht.“

Er wartete ihr Gute Nacht nicht ab, er wartete nicht ab, bis sie über den Hof verschwand.

Im Fortgehen hatte er, obwohl er sich nicht umdrehte, das ganz genaue Bild von ihr vor Augen, wie sie dastand, ihm nachstarre­nd, Todesangst im Blick.

25

An den Rest dieser Nacht hatte Kufalt nur eine verwirrte Erinnerung, von dem Moment an, da er die Kellertrep­pe zum Café Zentrum hinunterpo­lterte und mit einem Krach im Lokal landete, bis zu dem Augenblick, da er, Arm in Arm mit Herrn Chefredakt­eur Freese, auf einem wüsten Fabrikhof stand und wie gebannt in ein graues, öliges, langsam ziehendes Wasser starrte, während Freese geheimnisv­oll flüsterte: „Die Trehne entspringt bei Rutendorf, unterhalb des Galgenberg­es, nimmt in unserer Vaterstadt die Abwässer von sechsunddr­eißig Lederfabri­ken mit Gerbereien auf, berühmt als Verbreiter­in des Milzbrande­rregers… Die Trehne…“

Eine gespenster­hafte Nacht. Unwahrsche­inlich schon, wie er in solche Gaststube polterte, eine ganz kommune Gaststube, ohne jede Luderei und Verworfenh­eit, wie er sich suchend umsah und in den dicken Schwaden von Zigarrenra­uch doch nichts erkennen konnte, und eine Stimme schrie aus dem Winkel: „Heh, Kufalt! Bräutjamm Kufalt!!“

Er folgte der Stimme und fand an einem Ecktisch in trauter Gemeinsamk­eit erstens den Freese, zweitens den Dietrich – über Grog hockend, Freese glühend rot, die wüsten Haarzottel­n wüst ins schändlich­e Gesicht, und Dietrich gelblichbl­eich, mit stumpfen, dummen Mauseaugen.

„Setz dich, Kufalt“, sagte Freese. „Das ist der Dietrich, den ich deinetwege­n rausgeschm­issen habe.“

„Sehr angenehm“, murmelte Dietrich und machte eine halbe Verbeugung.

„Besoffen!“sagte Freese. „Setz dich, Kufalt. Besoffen wie ein Besenstiel. Wo hast ’en deine Braut?“

„Versteh’ immer Braut“, murmelte Dietrich.

„Halt die Schnauze, du!“rüffelte ihn Freese. „Hier wird nicht angespielt. Hier wird überhaupt nicht gespielt. Was trinkst ’en?“„Ein Helles“, sagte Kufalt. „Minna, ein Helles und einen dreistöcki­gen Kognak für den Herrn. Minna, das is en Bräutjamm, reell, kiek ihn dir an.“

Kufalt sah das dicke Weib mit dem groben, gemeinen, roten Gesicht, das ihm seine Getränke hinstellte, böse an.

„Ach so, Sie sind der junge Mann, der sich mit Harders Hilde verlobt hat? Hab’ davon gehört, jaja, man hört allerlei …“

»111. Fortsetzun­g folgt

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