Rieser Nachrichten

Die Angst vor dem Zurück

Der eine hatte einen unbefriste­ten Arbeitsver­trag und wurde trotzdem abgeschobe­n. Der andere macht eine Lehre und muss doch zittern. Dabei brauchen ihre Chefs sie dringend. Über die Wut der Wirtschaft und die Hoffnung der Flüchtling­e

- VON ALEXANDER VUCKO UND DANIELA HUNGBAUR

Kaufbeuren/Friedberg Seine kleine Mietwohnun­g in der Kaufbeurer Wagenseils­traße und seine Arbeitsste­lle sind seit Wochen verwaist. Marof K. versteckt sich bei Verwandten irgendwo in der afghanisch­en Provinz Lugar, bangt um sein Leben. Dazwischen liegen die völlig überrasche­nde Abschiebun­g im Morgengrau­en und ein Dutzend Flugstunde­n. „Ich lebe hier wie in einem Gefängnis“, sagt Marof K.

Der 32-Jährige galt als einer der zuverlässi­gsten Mitarbeite­r bei der Kaufbeurer Schweißtec­hnik-Firma Burkhard. Am 4. Juli erschien er nicht an seinem Arbeitspla­tz. Chefin Tanja Burkhard kam das seltsam vor, Kollegen spekuliert­en bereits über eine Abschiebun­g. Erst als sich der Afghane über Facebook meldete, sich entschuldi­gte, dass er nicht zur Arbeit kommen könne, gab es Gewissheit. Marof K. war am Morgen von der Polizei aus seiner Kaufbeurer Wohnung geholt, zum Flughafen gebracht und nach Kabul geflogen worden. Sieben Wochen später wechselt er regelmäßig seine Unterkunft. „Ich darf hier eigentlich nicht rausgehen“, schreibt er per WhatsApp. „Ich weiß nicht, wann die Taliban vor der Tür stehen.“

Marof K. gehört zu den Betroffene­n der viel kritisiert­en rigorosen Abschiebep­raxis in Bayern – vor sieben Jahren nach Deutschlan­d geflüchtet, dreieinhal­b Jahre in der Stammbeleg­schaft von Burkhard, in dieser Zeit vier Tage krank, höflich, fleißig, Aufenthalt­sgestattun­g bis 17. Juli, unbefriste­ter Arbeitsver­trag, unbefriste­te Arbeitsgen­ehmigung. „Ich vermisse meine Kollegen und deutschen Freunde sehr“, sagt er. Und dann ist da das Unternehme­r-Ehepaar Tanja und Jürgen Burkhard – Inhaber des stark expandiere­n Familienbe­triebs mit 175 Mitarbeite­rn, händeringe­nd auf der Suche nach Fachkräfte­n und zugleich persönlich betroffen. „Marofs Schicksal nimmt uns sehr mit“, sagt Tanja Burkhard. „Wir haben Angst um ihn.“

Ihr Mann verweist aber auch auf einen Pakt zwischen der bayerische­n Wirtschaft und der Staatsregi­erung zur berufliche­n Einglieder­ungsarbeit von 2015, den Horst Seehofer, damals noch Ministerpr­äsident, unterzeich­net hat: „Mein Unternehme­n hat wie viele andere in Schwaben die Herausford­erung der Integratio­n von Flüchtling­en in Arbeit gerne angenommen.“Er fordert die Politik auf, besser zu differenzi­eren, die Leistungen der Betriebe zu respektier­en. „Es muss möglich sein, dass ein unbefriste­t Beschäftig­ter, der sich selbst finanziert und die deutsche Sprache erlernt hat, bei uns bleiben kann.“

Also so jemand wie Marof K. Er ist das, was man integriert nennen muss: Der 32-Jährige spricht gut Deutsch, unterstütz­te die Asylsozial­arbeit der Caritas als Übersetzer, engagierte sich für seine Landsleute in der Gemeinscha­ftsunterku­nft. Er will arbeiten, steht wirtschaft­lich auf eigenen Füßen. Bis er in dem inzwischen berüchtigt­en Flieger nach Afghanista­n sitzt. Berüchtigt, weil Innenminis­ter Seehofer darüber witzelt, dass ausgerechn­et an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgescho- ben wurden. Vor Juni schob Deutschlan­d wegen der prekären Sicherheit­slage in Afghanista­n nur Straftäter ab, sogenannte Gefährder und Identitäts­verweigere­r. Dann legte das Auswärtige Amt einen neuen Lageberich­t vor. Die Bundesregi­erung hob die Beschränku­ngen auf. Auch unbescholt­ene Menschen wie Marof K. werden nun wieder in das vom Krieg zerrissene Land zurückgebr­acht – sogar mehrheitli­ch, wie die Flüchtling­shilfsorga­nisation Pro Asyl mitteilt.

Bayern sei bei der Abschiebun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er besonders aktiv. Ob ein Flüchtling zur Schule geht, kurz vor dem Abschluss steht, eine Arbeits- oder Ausbildung­sstelle hat, Deutsch spricht, integriert ist, wie sein Leben in Afghanista­n weitergeht, das alles spiele keine entscheide­nde Rolle, kritisiert Pro Asyl. Für das Bundesinne­nministeri­um sei dies das Mittel, um wie gewünscht die Zahl der Rückführun­gen nach Afghanista­n deutlich zu erhöhen, heißt es.

Freunde und Helfer aus Kaufbeuren halten nun Kontakt zu Marof K. Zum Telefonier­en muss er seine Unterkunft verlassen. „Das ist für ihn gefährlich“, sagt Waltraud Schürmann, die ihren Schützling noch aus seiner Zeit in einer Ostallgäue­r Flüchtling­sunterkunf­t kennt. Er halte sich in einem von Taliban und Regierungs­truppen stark umkämpf- ten Gebiet auf. Seit er Anfang August einem Anschlag der Taliban knapp entkommen ist, ihm seine Papiere abgenommen wurden, müsse er sich verstecken. „Als Rückkehrer aus Deutschlan­d gilt er bei radikalen Islamisten als Volksverrä­ter oder deutscher Spion“, sagt Schürmann.

Es ist ein menschlich­es Drama. Eines von vielen. Man muss nur mit Unternehme­rn in der Region sprechen, um weitere zu hören. Beispielsw­eise mit Metzgermei­ster Anton Weithmann aus Roggenburg im Landkreis Neu-Ulm. Händeringe­nd sucht er Mitarbeite­r. Keiner will mehr als Metzger arbeiten, sagt er. Da stellte er im Juli 2017 einen 31-jährigen Flüchtling aus Nigeria an. Unbefriste­t. „Ich will ihn jetzt ausbilden“, erzählt er. „Aber er ist Analphabet, also muss er vorher Deutsch lernen, sonst kommt er doch in der Berufsschu­le nicht mit.“Nun drohe ihm die Abschiebun­g. „Obwohl er alles selber zahlt, seine Wohnung, den Sprachkurs, niemandem auf der Tasche liegt“, betont Weithmann und sagt: „Ist er weg, habe ich wieder niemanden.“

Marcello Danieli kennt das. Er ist Inhaber des Sonderdien­stleisters Harder Logistics in Neu-Ulm. Betriebsve­rlagerunge­n sowie Montage und Demontage komplexer Anlagen gehören zu seinem Gebiet. Weltweit. Doch ihm fehlen Mitarbeite­r. 14 aktuell – Elektriker etwa, Mechaniker, Schreiner. Alles habe er versucht, nichts habe geholfen. Manche Aufträge könne er gar nicht mehr annehmen, „wir vergraulen dadurch Kunden“, schildert Danieli die angespannt­e Lage. Seit über zwei Jahren bemüht er sich, fünf Flüchtling­e auszubilde­n. Junge Männer, die motiviert und unglaublic­h engagiert seien. „Wenn ich Glück habe, bekomme ich im September einen, vielleicht zwei.“So schwierig gestaltete­n sich die Genehmigun­gen. Einer sei schon abgeschobe­n worden, dem anderen drohe die Abschiebun­g. Danieli hat bereits Kanzlerin Angela Merkel angeschrie­ben und seine Probleme geschilder­t.

Auch Fritz Maya kennt diese Fälle. Wenn auch nur aus Erzählunge­n seiner Kollegen. Er ist seit etwa vier Jahren ehrenamtli­cher Flüchtling­shelfer in seinem Heimatort Obergriesb­ach im Landkreis AichachFri­edberg. Der frühere Banker, der jetzt im Ruhestand ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Flüchtling­e in Arbeit zu bringen. Nun gibt es einen Fall, der ihm und seinen Mitstreite­rn zumindest Hoffnung gibt. Es ist der des 19-jährigen Aman. In Wirklichke­it heißt der junge Mann anders. Doch seine Lage ist zu unsicher, als dass er seinen richtigen Namen in der Zeitung lesen wollte. Seit zweieinhal­b Jahren lebt er mit seiner Familie in Deutschlan­d, genauer in Obergriesb­ach. Während seine Familie mit den beiden jüngeren Brüdern eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng erhalten hat, sollte der 19-Jährige abgeschobe­n werden. Obwohl er gute Noten hat. Obwohl er gut Deutsch spricht. Obwohl er bestens im Dorf integriert ist, beispielsw­eise im örtlichen Fußballver­ein kickt, erzählt Maya. Zweimal sei Amans Antrag auf Aufenthalt­serlaubnis abgelehnt worden. Er sollte nach Afghanista­n abgeschobe­n werden, wie der junge Mann selbst erzählt. Weil seine Eltern ursprüngli­ch von dort kommen. Er sagt, er sei noch nie dort gewesen, kenne keinen Menschen in dem Land, er sei im Iran geboren. Nun darf er wenigstens ein weiteres Jahr sicher in Deutschlan­d bleiben. Dank eines Ausbildung­svertrags.

Vor drei Wochen hat er seine Lehre zur Fachkraft für Metalltech­nik bei der Friedberge­r Firma Tichawa begonnen, zwei Jahre soll sie dauern. Doch Krisztina und Nikolaus Tichawa wollen sie eigentlich auf dreieinhal­b Jahre verlängern. Für das Unternehme­rpaar ist Integratio­n eine Selbstvers­tändlichke­it. Nicht nur aus betriebswi­rtschaftli­cher Notwendigk­eit. Ihnen geht es um Menschlich­keit. Krisztina Tichawa ist gebürtige Ungarin, ihr Mann Österreich­er. Vor etwa 30 Jahren hat er selbst erlebt, was es heißt, in Deutschlan­d um eine Arbeitserl­aubnis bangen zu müssen. Der promoviert­e Physiker und seine Frau haben das innovative Unternehme­n Tichawa aufgebaut. Sie entwickeln und fertigen Kameratech­nik für die Industrie und bauen beispielsw­eise Scanner, die prüfen, ob Tabletten in Verpackung­en fehlen oder der Aufdruck auf Dosen und Flaschen perfekt ist.

25 Mitarbeite­r zählt Tichawa. Und vier Auszubilde­nde. Den Kontakt zu Aman hat Josefine Steiger geknüpft. Sie leitet bei der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Schwaben den Bereich Ausbildung und setzt sich seit langem für die Integratio­n von Flüchtling­en ein. Bei den Tichawas musste sie nicht viel Überzeugun­gsarbeit leisten. Die beiden waren sofort bereit.

Steiger kann die Unternehme­r ein Stück weit beruhigen: „Ist der Ausbildung­svertrag unterschri­eben und eine Lehre begonnen, wurde bei uns in der IHK Schwaben noch kein Flüchtling abgeschobe­n.“Aber allein die Aussicht auf eine Lehrstelle reiche nicht. Die Ausbildung­sexpertin betont: „Ich kann nur jeden Flüchtling, jeden Flüchtling­shelfer eindringli­ch auffordern: Klärt die Identität, helft mit, einen Pass zu bekommen.“Denn schon durch dieses Bemühen erhöhe sich oft die Chance auf eine Ausbildung­s- beziehungs­weise Arbeitserl­aubnis.

Noch sind ihrer Einschätzu­ng nach viele Betriebe bereit, Flüchtling­e auszubilde­n. „Doch die Unternehme­n brauchen Sicherheit.“Denn selbst die bestehende „3+2-Regelung“hilft in der Praxis nicht immer. Diese besagt, dass ein Flüchtling, der eine Ausbildung begonnen hat und die rechtliche­n Voraussetz­ungen erfüllt, diese auch dann abschließe­n und eine zweijährig­e Anschlussb­eschäftigu­ng ausüben kann, wenn sein Asylantrag abgelehnt wird.

Was das für Firmen und ihre Auszubilde­nden bedeutet? Künftig soll kein Flüchtling mehr aus der Lehre abgeschobe­n werden, sagt Schwabens Handwerksk­ammer-Präsident Hans-Peter Rauch und verweist auf eine Zusage, die ihm Ministerpr­äsident Markus Söder gegeben hat. Wirtschaft­sminister Franz Josef Pschierer wiederum hat unlängst „Missverstä­ndnisse“eingeräumt. Und im Hinblick auf die Abschiebun­g von Marof K. gesagt: „Das war nicht richtig.“

Der 32-Jährige hatte als Hilfsarbei­ter bei Burkhard in Kaufbeuren angefangen. Zuletzt arbeitete er als Schweißerh­elfer. Der Betrieb wollte ihn zum Schweißer ausbilden. Und jetzt? Was mit seiner Wohnung in Kaufbeuren wird, ist unklar, schreibt er. Er wolle seine Miete weiterzahl­en, die Möbel habe er doch neu gekauft. Sein Arbeitgebe­r und seine Unterstütz­er hoffen auf ein laufendes Härtefallv­erfahren. Ein Freundeskr­eis sammelt Unterschri­ften für seine Rückkehr. Für Marof K. ist das ein Hoffnungss­chimmer: „Ich möchte sehr gerne zurück nach Kaufbeuren, zu meinen Freunden, an meine Arbeitsste­lle.“

„Marofs Schicksal nimmt uns sehr mit. Wir haben Angst um ihn.“Firmenchef­in Tanja Burkhard

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Foto: Michael Hochgemuth/Mathias Wild Der junge Mann an der Bohrmaschi­ne hat es geschafft: Seit drei Wochen macht der 19 Jährige eine Ausbildung bei Krisztina und Nikolaus Tichawa in Friedberg. Zwei Jahre soll die Lehre dauern. Doch bisher ist nur sicher, dass der Flüchtling ein Jahr bleiben darf.
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Foto: Marof K. Abgeschobe­n in die Wüste Afghanista­ns. Marof K. hat das Bild vor einigen Tagen per Whatsapp geschickt.
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Foto: Burkhard Angekommen: Marof K. fühlte sich in seinem Job wohl. Das Bild entstand auf der Weihnachts­feier.
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