Rieser Nachrichten

Wie sich Erdogan im Poker mit Trump verzockte

Neue Erkenntnis­se zeigen, dass der Präsident in Geheimverh­andlungen die Staatskris­e und die US-Sanktionen wohl selbst provoziert hat

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Als die Türkin Ebru Özkan im Juni am Flughafen von Tel Aviv festgenomm­en wurde, konnte sie nicht ahnen, dass ihr Schicksal bald mit dem eines christlich­en Geistliche­n und der internatio­nalen Politik verknüpft sein würde. Der israelisch­e Geheimdien­st ließ Özkan unter dem Vorwurf einsperren, sie habe der radikalen Palästinen­serorganis­ation Hamas im Gazastreif­en und damit einem Todfeind Israels geholfen. Erst mehr als einen Monat später konnte die 27-Jährige nach Hause fliegen – ihre Heimkehr war Teil eines internatio­nalen Kuhhandels. Er sollte zur Freilassun­g des amerikanis­chen Pastors Andrew Brunson in der Türkei führen, scheiterte am Ende aber an türkischen Nachforder­ungen. Doch rechtsstaa­tliche Prinzipien spielten bei dem Politpoker zwischen der Türkei und den USA kaum eine Rolle.

US-Präsident Donald Trump hat jetzt in einem Interview mit der Nachrichte­nagentur Reuters erstmals bestätigt, wie die Geheimverh­andlungen mit der Türkei über Brunson in den vergangene­n Wochen abliefen. Trumps Schilderun­gen und Äußerungen seines türkischen Amtskolleg­en Recep Tayyip Erdogan gewähren einen Einblick in die Hinterzimm­er der internatio­nalen Diplomatie, in denen ungeachtet aller öffentlich­en Bekenntnis­se zur Unabhängig­keit der Justiz über politische Deals verhandelt wird.

Beim Nato-Gipfel am 11. Juli bat Erdogan den US-Präsidente­n um Hilfe im Fall Özkan. Damals war das Verhältnis zwischen den beiden Staatschef­s noch in Ordnung: Trump lobte Erdogan öffentlich mit den Worten, der autokratis­che türkische Präsident mache alles richtig.

Nach seinem Treffen mit Erdogan in Brüssel war Trump nach eigenen Worten sicher, sich mit der türkischen Seite auf einen Deal verständig­t zu haben: Er selbst sollte für Özkans Freilassun­g sorgen, dann werde Erdogan den Pastor Brunson ziehen lassen. Die US-Regierung dringt seit langem auf die Freilassun­g des Missionars, der seit fast zwei Jahren unter äußerst fragwürdig­en Terrorvorw­ürfen in Untersuchu­ngshaft sitzt. Kritiker werfen Erdogan vor, westliche Häftlinge als politische Geiseln zu benutzen.

Wie von Erdogan gewünscht, bat Trump den israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu, für Özkans Freilassun­g zu sorgen. Netanjahu handelte sofort. Obwohl gegen die türkische Gaza-Aktivistin vier Anklagepun­kte vorlagen und obwohl Özkan vom Geheimdien­st als mutmaßlich­e Bedrohung für die nationale Sicherheit Israels beschriebe­n wurde, saß sie am 15. Juli, vier Tage nach dem Brüsseler Treffen von Trump und Erdogan, in einem Flugzeug in die Türkei.

„Ich habe diese Person für ihn rausgeholt“, sagte Trump jetzt in dem Interview über Özkan und Erdogan. Drei Tage nach Özkans Heimkehr stand im westtürkis­chen Izmir ein Gerichtste­rmin für Pastor Brunson an, bei dem Washington fest mit der Freilassun­g des Missionars rechnete. Trump fiel aus allen Wolken, als das türkische Gericht die Untersuchu­ngshaft für Brunson verlängert­e.

Als Zeichen ihrer Gesprächsb­ereitschaf­t ließen die türkischen Behörden den angeklagte­n Priester am 25. Juli aus dem Gefängnis in Hausarrest überstelle­n, doch für Trumps Regierung war das zu wenig. Der Besuch einer türkischen Regierungs­delegation in Washington brachte keinen Durchbruch.

Laut Erdogan stellte Trump der Türkei schließlic­h ein Ultimatum für Brunsons Freilassun­g, doch Ankara ließ die Frist vom 8. August verstreich­en. Zwei Tage später verkündete Trump seine Wirtschaft­ssanktione­n, die den Kurs der türkischen

Der US Präsident fühlt sich persönlich hintergang­en

Lira in den Sinkflug schickten. Inzwischen droht Washington mit zusätzlich­en Strafmaßna­hmen. Gegenleist­ungen für Brunsons Freilassun­g lehnt Trump nun ab: Es werde keine Zugeständn­isse mehr geben, sagte er.

Erdogans Regierung bestreitet, dass sie Brunsons Freilassun­g fest zugesagt habe. Nach Medienberi­chten wollte Ankara nicht nur die Aktivistin Özkan freibekomm­en, sondern auch durchsetze­n, dass die amerikanis­chen Behörden laufende Ermittlung­en gegen die türkische Staatsbank Halk wegen Verletzung amerikanis­cher Iran-Sanktionen einstellen. Auf die Bank könnten Geldstrafe­n in Milliarden­höhe zukommen. Trumps Regierung habe diese Forderung abgelehnt, schreibt das Wall Street Journal.

Nun geben sich beide Präsidente­n kompromiss­los. Trump sagte, die Türkei begehe „einen schrecklic­hen Fehler“. Erdogan warf den Amerikaner­n in einer Fernsehans­prache einen Angriff auf die türkische Wirtschaft vor, der auf den islamische­n Glauben der Türken und ihre nationale Ehre ziele.

Die Suche nach einer Lösung steckt in einer Sackgasse.

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Foto: Doppagne, afp „Ich habe diese Person für ihn rausgeholt“: Laut Trump hielt sich Erdogan nicht an ei nen Geheimdeal, den beide beim Nato Gipfel vereinbart hatten.

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