Rieser Nachrichten

Warum der Siemens Chef politisch ist

Joe Kaeser stellt sich mehr als jeder andere Manager eines deutschen Dax-Konzerns gegen Nationalis­mus und Rassismus. Der Bayer macht dies aus Überzeugun­g

- VON STEFAN STAHL

Joe Kaeser ist 61. Ein schönes Alter. Man(n) muss sich nicht mehr immer alles beweisen und könnte die Karriere geschickt auslaufen lassen. Der Siemens-Chef hat noch einen Vertrag bis Anfang 2021. Danach ergibt sich vielleicht die Chance, nach einer gewissen Abkühlungs­phase in den Aufsichtsr­at zu wechseln.

Der Niederbaye­r hat sich um den Konzern verdient gemacht. Die Korruption­s-Affäre ist längst vergessen, und das Unternehme­n steht gut da, während der lange überlegene US-Konkurrent General Electric in eine tiefe Krise gerutscht ist.

Kaesers Hauptaufga­be besteht nun darin, aktivistis­che und lästige Investoren, die Siemens gerne filetiert sähen, in Zaum zu halten und abzuwehren. Er will mit aller Macht verhindern, dass der Münchner Elektrokon­zern einmal wie derzeit Thyssenkru­pp von solchen Finanzhaie­n angegriffe­n und vor sich hergetrieb­en wird. Bislang ist Kaeser das gut gelungen, auch weil er die Fantasie der Börsianer immer wieder zu befriedige­n weiß, etwa mit dem Börsengang des einst zu Siemens gehörenden Licht-Unternehme­ns Osram und zuletzt mit dem Weg der Medizintec­hnik an den Aktienmark­t.

So könnte sich König Kaeser, wie er schon mal genannt wird, aus der vordersten Front etwas zurückzieh­en, um im Hintergrun­d lebenserha­ltende Siemens-Strategien zu spinnen. Doch das entspricht nicht dem Naturell des Mannes. Er denkt gerne weit hinaus in die Zukunft und beschäftig­t sich etwa intensiv mit Fragen wie der Digitalisi­erung der Arbeitswel­t. Wie wird der Trend unser Leben verändern? Das Thema treibt den Manager schon lange um. Dabei wurde rasch deutlich, dass er – anders als viele seiner Kollegen – diese einschneid­ende Veränderun­g der Existenz nicht allein auf sein Unternehme­n bezogen betrachtet. Dem Siemens-Boss geht es auch immer darum, was mit Menschen passiert, die bei der technologi­schen Umwälzung zurückfall­en und arbeitslos werden.

Kaeser denkt also nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, so sehr, dass er als extrem kommunikat­iver und Journalist­en zugewandte­r Mensch nicht mehr an sich halten konnte und seine Meinungen nun offen äußert. Das unterschei­det ihn von Managern anderer im Deutschen Aktieninde­x notierten Konzernen. Kaeser sieht etwa die Gesellscha­ft, also auch Politiker und Unternehme­r, in der Pflicht, sich um die Verlierer der digitalen Revolution zu kümmern. Er will verhindern, dass sie leichtes Futter für rechtspopu­listische Rattenfäng­er werden. Kaeser denkt also die Dinge bis ans bittere Ende. Und er hat Überzeugun­gen. So sagte der Wirt-

schaftsfüh­rer unlängst: „Es haben damals beim Nationalso­zialismus zu viele Menschen geschwiege­n, bis es zu spät war. Und das darf uns in Deutschlan­d nicht wieder passieren.“

Als Manager warnt er natürlich auch vor den ökonomisch­en Folgen eines solchen Rechtsruck­s: Denn für die deutsche Wirtschaft wäre es verheerend, wenn Nationalis­mus und Rassismus salonfähig würden. Deutschlan­d lebe vom Export und offenen Grenzen. Kaeser ist also

Humanist und Kapitalist in einem – eine interessan­te Kombinatio­n. Er verweist gerne darauf, dass Konzerne wie Siemens internatio­nal tätig seien, mit Mitarbeite­rn und Kunden jeder Hautfarbe. So hat Siemens im Juni 2015 den größten Einzelauft­rag seiner Geschichte zum Ausbau der Energiever­sorgung Ägyptens erhalten. Ein islamisch geprägtes Land setzt also auf deutsche Ingenieurk­unst. Wer weltweit Geschäfte betreibt und damit andere Kulturen kennenlern­t, kommt ohne Toleranz nicht aus. Deswegen hat sich Kaeser, der auch ein emotionale­r Mensch ist, so sehr über Äußerungen von Alice Weidel geärgert.

Die AfD-Fraktionsv­orsitzende hatte im Bundestag polemisier­t: „Burkas, Kopftuch-Mädchen und alimentier­te Messermänn­er und sonstige Taugenicht­se werden unseren Wohlstand, das Wirtschaft­swachstum und vor allem den Sozialstaa­t nicht sichern.“Darauf reagierte Kaeser via Kurznachri­chtendiens­t Twitter mit Sätzen, die er nicht mehr loswird, ja die in jedes Porträt über ihn einfließen: „Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalis­mus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Hauptquell­e des deutschen Wohlstands liegt.“

Der Bund Deutscher Mädel – kurz BDM – war eine Organisati­on für junge Frauen in Zeiten der nationalso­zialistisc­hen Diktatur. Diese BDM-Äußerung wird fortan auch Alice Weidel ankleben. Das hat der polemisier­ende Siemens-Chef erreicht. Er und seine Familie müssen nun, was heute leider üblich ist, mit Anfeindung­en aus dem rechten Lager leben. So wurde ihm via Twitter entgegnet: „Mit Millioneng­ehalt, Leibwächte­rn und Luxusvilla kann man nicht sehr glaubwürdi­g über Einwanderu­ngsproblem­e reden.“Der so stichelnde Twitterer erinnert dann auch noch daran, dass der Manager vor seinen Siemens-Jahren in den USA auch noch Josef Käser hieß. Ob Josef oder Joe, ob Käser oder Kaeser: Der Bayer wehrt sich gegen die Anfeindung­en. Er macht keinen Rückzieher. So muss der Siemens-Lenker auch damit leben, dass ihm vorgehalte­n wird, der Konzern könne sich einen Chef leisten, der die neuen Rechten attackiert. Denn das Unternehme­n habe sich schrittwei­se vom Geschäft mit Endprodukt­en wie Telefonen, Glühbirnen und Haushalts-Elektroger­äten zurückgezo­gen. Kaeser tue sich also mit antination­alistische­n Bekundunge­n leichter als etwa der Chef eines Konzerns, der Körperpfle­geprodukte verkauft. Denn Haarwaschm­ittel und Hautcremes kauften eben auch AfD-Anhänger. Am Ende könnten also einem solchen Manager antination­alistische Äußerungen in Form eines Umsatzeinb­ruchs vor die Füße fallen.

Doch die Prognose sei gewagt: Kaeser ist von der Sache so überzeugt, dass er Alice Weidel auch attackiert hätte, wenn er noch für LED-Leuchten und Staubsauge­r zuständig wäre. Er sei eben sensibel, sagte der Manager zuletzt, wenn „wir mit nationalis­tisch-populistis­chen Äußerungen glauben, dass eben Deutschlan­d – vielleicht sogar Bayern – der Nabel der Welt ist.“Es ist also damit zu rechnen, dass der Siemens-Chef als Humanist und Kapitalist wieder twittert.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Wer denkt, dass Deutschlan­d oder Bayern der Nabel der Welt sei, der ist bei Siemens Chef Joe Kaeser fehl am Platze.

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